Matthias Kuchta vom «Lille Kartofler Figurentheater» im Gespräch mit Magdalene Seyerle, Puppenspielstudentin an der Ernst Busch-Hochschule, Berlin:
Matthias Kuchta spielt international erfolgreich Figurentheaterinszenierungen: Mit Vorliebe inszeniert er altbekannte Märchen mit textilen, fast lebensgrossen Puppen. Das Besondere seiner Stücke sind nicht zuletzt die ausgeprägten, komisch-skurrilen Charaktere. Auf der Bühne sind dabei keine lebensfernen Märchenhelden zu sehen, sondern am Alltag orientierte Figuren, in welchen sich Jung und Alt im Publikum wiedererkennen. Das Interview war ursprünglich in der Zeitschrift «Puppen Menschen & Objekte» Nr. 93 im Jahr 2005 abgedruckt, gekürzt und bearbeitet für ensuite hat den Text Nina Knecht.
Wie kamst Du zu der Grosspuppenform, und hast Du Dein erstes Stück schon mit dieser Puppenform gespielt?
Die Grundidee entstand, als ich in den 70er-Jahren eine kanadische Theatertruppe sah, die mit kniehohen Figuren auf dem Boden spielte. Ihr Stück «The Miller» begeisterte mich. Die Spieler bewegten sich auf der Bühne wie Schachspieler in ihren Feldern. Auch Peter Kirschs Arbeit mit Ganzkörpermasken faszinierte mich sehr. Ich suchte also eine Form dazwischen mit einer Grösse der Figuren, die es erlaubt, überall zu spielen und die kein Bühnenbild/ Hintergrund benötigt. Um so den Kindern beim Spielen nah sein zu können.
Das Äussere der Figuren, was siehst Du in ihnen? (Du hast ja auch den Ruf der hässlichen Puppen – das kann ich nicht teilen!)
Welches interessante Gesicht ist schon schön? Ich mag Gesichter mit Lebensspuren, sowohl von Kindern als auch von Erwachsenen. Sie zeigen den Charakter der Menschen. Diese Besonderheiten der Gesichter, diese Charaktere auch bei Puppen zu zeigen, das möchte ich mit meinen Figuren. Ich orientiere mich oft an dem Fotografie-Buch «Fellinis Faces», die Dargestellten sind meist Laien, aber auch Schauspieler, die Fellini für seine Filme gecastet hat. Auch von Karikaturen (Wilhelm Busch, Dormier u.a.) und Comicsammlungen lasse ich mich inspirieren. Aber auch Prominente und Zeitungsgestalten fliessen in meine Arbeit ein. Wohl aber auch meine Nachbarn und die Familie sehen sich so manches Mal in einer Figur wieder.
Dein Hauptrepertoire sind Märcheninszenierungen für Kinder. Warum?
Die meisten meiner Stücke sind von Andersen und Grimm. Märchen sind wahnsinnig spannend, sie spiegeln alle zwischenmenschlichen Konflikte – auch Generationskonflikte – wider: vom Geborenwerden und Grosswerden, über das Alleinsein zum Hoffen, Glauben, Sterben. Alle diese Regungen sind in den Märchen gespiegelt. Auch die alttestamentarischen Texte sind für mich mit einem Märchencharakter belegt. Märchen sind für mich keine Einschränkung, sondern sie sind ein riesengrosses Feld von interessanten Themen. Nicht nur Kinder brauchen Märchen (Bettelheim), Kinder und Erwachsene brauchen sie. Wenn jeder sein Leben einmal überdenkt, so findet er sicher vieles in den Märchen wieder. Ich versuche, in meinen Stücken die Sprache der Kinder zu sprechen, verwoben mit der Sprache der Erwachsenen. Ich meine nicht gesprochene Sprache, sondern die Metasprache der Stücke. Ich möchte Theater machen für alle Altersgruppen, für alle Individuen. Sodass jeder seine Lesemöglichkeiten, Erlebmöglichkeiten hat!
Wie ist es für Dich, in Ländern zu spielen, wo Du nicht Deine Muttersprache einsetzen kannst?
Auf den Tourneen spiele ich in Englisch sowie Französisch. Unlängst habe ich in Florenz ein erstes Mal auch auf Italienisch gespielt. Das Publikum reagiert in der Regel nicht negativ, findet es eher passend und interessant, wenn ein Spieler nicht in der Sprache zuhause ist. Und viele Veranstalter sagen, dass genau das gut zu den Figuren passt. Es verfremdet zusätzlich, das geschieht natürlich unfreiwillig, ist sozusagen ein neues dramatisches Element. Ich sehe es jedes Mal als Herausforderung und bin wahnsinnig aufgeregt. Ich muss ganz viel spontan entscheiden und das unter erhöhtem Adrenalinausstoss. Es ist aber eine grosse Bereicherung für mich, so arbeiten zu können.
Gab es auf Deinen Tourneen Begebenheiten, die Dich besonders berührt haben?
Einmal haben wir auf Einladung des Goethe-Instituts auf den Philippinen gespielt in einem Bereich von Manila, der Smoky Mountain heisst, das ist die Abfallhalde von Manila. Dort leben 30’000 Menschen. Wir spielten in einem katholischen Bildungszentrum, wo Kinder handwerkliche Tätigkeiten erlernten, zu einem Fest für die Ärmsten der Armen «Die Bremer Stadtmusikanten», eine Hoffnungsgeschichte. Um uns herum sassen und standen Hunderte von Menschen. Diese Kinder waren geprägt von ihrem Umfeld, sie hatten viele Narben am Körper von der Suche nach Essen im Abfall. Es war wundervoll, die Freude und das Lachen zu sehen, wenn unser Spiel ihre ernsten Gesichter für einen Augenblick verwandelte. Dieses Glück in den Gesichtern zu sehen, hat mich sehr bewegt. Das sind sehr bereichernde Augenblicke. Das ist das Geschenk des Publikums an mich.
Matthias Kuchta war vom 10. bis 14. April 2010 mit «Hänsel und Gretel» im Theater Stadelhofen in Zürich zu sehen.
www.theater-stadelhofen.ch
Foto: zVg.
ensuite, April 2010