• zurück

Denkmal für Billy

Von Hans Bau­mann - Der Name Bil­ly ist die Kose­form des Vor­na­mens William und wird auch gerne als Pseu­do­nym ver­wen­det.  Aber es gibt ihn auch als Fam­i­li­en­na­men, als Ort­sna­men und er beze­ich­net eine Hun­derasse, ein Com­put­er­spiel und eben das Regal­sys­tem von IKEA. Bil­ly klingt san­ft, fre­und­schaftlich, kumpel­haft, und so passt er zu einem ele­mentaren Möbel­stück, das einen ein Leben lang begleit­en kann.

Ent­wor­fen wurde Bil­ly 1978 vom schwedis­chen Design­er Gillis Lund­gren, ins Sor­ti­ment kam es ein Jahr später. Man wun­dert sich eigentlich, dass es für dieses Regal über­haupt einen Design­er brauchte, so ein­fach ist es. Ein Imbuss­chlüs­sel reicht zur Mon­tage. Aber das Ein­fache ist nicht immer das Selb­stver­ständliche.

Was geschah in diesem Jahr 1978?  Das erste Retorten­ba­by wird geboren, der ital­ienis­che Poli­tik­er Aldo Moro wird ent­führt und später ermordet, der Öltanker Amo­co Cadiz verur­sacht in der Bre­tagne eine ver­heerende Ölpest, Argen­tinien wird Fuss­ball­welt­meis­ter. Von Mar­tin Walser erscheint „Ein fliehen­des Pferd“ und Chris­tiane F. veröf­fentlicht „Wir Kinder vom Bahn­hof Zoo“, der Dis­co-Sound erobert auch Europa. Willy Ritschard ist Bun­de­spräsi­dent und am Beginn des fol­gen­den Jahres entste­ht der Kan­ton Jura.

Seit der Lancierung wurde Bil­ly über 50 Mil­lio­nen Mal verkauft. 1990 sollte es aus dem Sor­ti­ment genom­men wer­den, doch nach ein­er Protest­welle von Kun­den wurde es wieder aufgenom­men. Stellte man alle diese 80 Zen­time­ter bre­it­en Regale nebeneinan­der, ergäbe das den Erdum­fang. Aber nicht nur in der Vorstel­lung, son­dern auch in der Real­ität ist Bil­ly erdumspan­nend, denn es ist auf allen fünf Kon­ti­nen­ten vertreten. So verbindet es die unter­schiedlich­sten Kul­turen und Gesellschafts­for­men. Es ist reizvoll, sich selb­st die Vielfalt von Häusern und Woh­nun­gen auszu­malen, in denen ein Bil­ly ste­ht, und sich die per­sön­lichen Gegen­stände vorzustellen, die darauf ihren Platz find­en.

Es ist keine Frage: Bil­ly ver­di­ent ein Denkmal. Aber ein unsicht­bares Denkmal, wie es Christoph Balmer real­isiert: ist das nicht ein Wider­spruch in sich? Nicht unbe­d­ingt. Es gibt ein gross­es und berühmtes Gegen­beispiel: die Ter­rakot­taarmee in der Nähe von Xi’an in Chi­na. Der Kaiser Qin Shi­huang­di hat um 210 vor Chr. Tausende von Rit­ter­fig­uren schaf­fen lassen, die sein unterirdis­ches Grab beschützen soll­ten. Erst 1974 sind sie erst­mals zum Vorschein gekom­men. Auch aus heutiger Zeit gibt es Beispiele für unterirdis­che Kunst­werke (und ein Denkmal ist ja immer auch ein Kunst­werk), freilich beschei­denere. Wal­ter de Maria schuf für die doc­u­men­ta 6 1977 den Ver­tikalen Erd­kilo­me­ter – mas­sive, fünf Zen­time­ter dicke Mess­ingstäbe wur­den einen Kilo­me­ter tief in den Boden ein­ge­lassen. Sicht­bar ist davon nur der bodenebene Quer­schnitt des ober­sten Stücks. Und in Biel hat der Bild­hauer Raf­fael Benazzi hat für die vierte Plas­tikausstel­lung 1966 das Biel­er Loch geschaf­fen, eine unterirdis­che Skulp­tur neben dem Kon­gresshaus.

Wäre nicht doch ein sicht­bares Denkmal sin­nvoller? Der öster­re­ichis­che Schrift­steller Robert Musil hat sich in einem Auf­satz mit Denkmälern beschäftigt. Diese wer­den gestal­tet und aufgestellt, um Aufmerk­samkeit zu erweck­en. Aber: „Das Auf­fal­l­end­ste an Denkmälern ist näm­lich, dass man sie nicht bemerkt.“ Der Grund: sie wer­den rasch zur ver­traut­en Kulisse, die man im All­t­ag, wie vieles andere, nicht mehr wahrn­immt. Das Denkmal für Bil­ly jedoch ent­ge­ht diesem Schick­sal, weil es gar nie sicht­bar gewor­den ist. Bloss eine Mess­ing­plat­te wird darauf hin­weisen. Wer sie sieht, wird sich aber das Denkmal in sein­er Phan­tasie vorstellen, und dort kann es wirkungsvoller wer­den als in der Real­ität.

Und es gewin­nt eine neue Chance. In Hun­derten oder Tausenden von Jahren wird es von Archäolo­gen aus­ge­graben und als Zeug­nis des 20. und des 21. Jahrhun­derts iden­ti­fiziert wer­den. Und dann wird man endlich erken­nen, wozu die bekan­nten IKEA-Imbuss­chlüs­sel dien­ten, die man schon tausend­fach gefun­den hat und die zu einem Leito­b­jekt unser­er Epoche wur­den: zur Mon­tage von Bil­ly!  Dies wird dann, nach dem phänom­e­nalen Verkauf­ser­folg, sein zweit­er Tri­umph sein.

Foto: Lukas Vogel­sang, 5.2.2018 — der heilige Ort in Lyssach.

Pressekon­takt:
Christoph Balmer, balmer@konzeptkunst.ch

Artikel online veröffentlicht: 5. Februar 2018