Von Luca D’Alessandro — Anshelle – dieser Name hat in der Berner Pop-Rock-Szene immer mehr an Bedeutung gewonnen. Das erstaunt nicht, schliesslich macht die fünfköpfige Band alle zwei Jahre mit Neuerscheinungen von sich reden. Gegenwärtig tut sie es mit der CD «Betty’s Garden», die letzten April erschienen und auf Platz einunddreissig der Schweizer Hitlisten gelandet ist. Eine Platte, die durchaus das Potenzial hat, weiter aufzusteigen.
Wer den Namen Anshelle zum ersten Mal hört, denkt vermutlich an eine «One-Woman-Show». Falsch geraten: Dahinter stecken fünf Personen, eine komplette Combo, bestehend aus Frontsängerin Michèle Bachmann, dem Pianisten Sandro Marretta, Martin Kissling am Schlagzeug, Phil Küffer und André Brügger an den Saiten. Alles Profimusiker, die ihr Know-how in dieses Bandprojekt stecken und wissen, worauf es im Musikbusiness ankommt. Dies zeigt sich bereits bei der Produktion: Für die Herstellung der aktuellen CD «Betty’s Garden» haben sie Schützenhilfe aus der Entourage von Züri West erhalten, namentlich vom Produzenten Gert Stäuble. Den grösseren Teil jedoch hat der Londoner Hit-Produzent Steve Lyon erledigt, der sich als Berater für The Cure, Depeche Mode, Reamonn und Laura Pausini einen Namen gemacht hat.
Wer weiss, vielleicht befinden sich die Berner auf dem Weg an die Spitze der Hitlisten? ensuite — kulturmagazin hat die Chartstürmer noch vor der grossen Erfolgswelle an Land gezogen und sich mit Frontsängerin Michèle Bachmann und dem Pianisten Sandro Marretta während eines Sommergewitters im Berner Rosengarten unterhalten.
ensuite — kulturmagazin: Michèle und Sandro, wir befinden uns im Berner Rosengarten, hätten uns aber auch in Betty’s Garden treffen können.
Michèle: Es gibt in Bern ein paar sehr schöne Orte, in denen wir dieses Gespräch führen könnten, der eigentliche Garten jedoch befindet sich in meinen Gedanken…
Deshalb der Albumtitel «Betty’s Garden»?
Michèle: Letztes Jahr, als ich die Liedtexte für das jetzige Album schrieb, stellte ich fest, dass ein paar davon thematisch zu einer bestimmten Person aus meinem Leben – ich nenne sie Betty – passen. Das habe ich nicht so gewollt, die Texte sind einfach so entstanden. Wie der Name suggeriert, geht es um Betty, um eine semi-fiktive Person, und um den Garten, in dem sie lebt mit all ihren Träumen. Wie gesagt, Betty ist eine Frau aus meinem Leben. Eine Person, die mich immer wieder inspiriert, mutig und vorausschauend, die ihre sieben Sachen packt, die Schweiz verlässt, um nach ihren Zielen zu suchen. Sie gibt niemals auf. Deswegen ist das Album auch so melancholisch.
Wonach sucht denn ihr?
Sandro: Auf der Suche sind wir eigentlich nicht, vielmehr versuchen wir uns weiterzuentwickeln, neue Wege zu begehen, um zu schauen, wie unser Sound auf die Menschen wirkt. Wir haben es geschafft – und die vergangenen Alben belegen es – immer wieder etwas Neues zu bringen. Das neue Album ist gesamthaft ein bisschen rockiger, wenn nicht frecher. Darin sehe ich die Weiterentwicklung. Wir haben das Rad nicht neu erfunden.
Ihr ruht euch nicht auf den Lorbeeren aus?
Michèle: In unserer Band gab es in den vergangenen Jahren etliche Wechsel, eine Weiterentwicklung hat sich daraus automatisch ergeben. Jedes neue Bandmitglied bringt seine eigene Geschichte mit und lässt die Erfahrungen einfliessen. Gewissermassen bin ich aber froh, dass wir in diesem vierten Album dieselbe Besetzung haben wie im dritten. Wir verstehen uns sehr gut, weil wir ähnliche Ziele und einen gemeinsamen Horizont vor Augen haben.
Ein Horizont, den ihr mit der aktuellen Produktion enorm erweitert habt. Dies zeigt sich mit der Wahl der Produzenten: Gert Stäuble von Züri West und der Londoner Hit-Produzent Steve Lyon, der unter anderem Depeche Mode und Reamonn zum Erfolg verhalf.
Sandro: Ja, diese Kombination ist durch Zufall entstanden. Gert Stäuble hat uns schon beim dritten Album geholfen, für dieses vierte Album hatte er aber nur wenig Zeit. Deshalb mussten wir uns anderweitig umschauen, am Ende sind wir auf Steve Lyon gestossen. Zuerst kam er für die Produktion der ersten zwei Songs nach Bern, denn er wollte wissen, wer wir überhaupt sind und was wir machen. Und auch wir wollten wissen, wie er arbeitet. Wir haben uns schliesslich gefunden und uns für eine zweite Session verabredet.
Auf «Betty’s Garden» kommen Elemente aus dem Britpop vor, namentlich aus dem Repertoire von Reamonn. Hat das möglicherweise mit Steve Lyons Einfluss zu tun?
Sandro: Steve gab der Produktion zwar seine Farbe mit hinein, das Element des Britpop kommt aber nicht von ihm. Die Vorproduktionen haben wir selber gemacht, Steve hat uns lediglich angewiesen und Tipps gegeben. «Nehmt an dieser Stelle die akustische Gitarre; hier würde ich ein akustisches Piano nehmen und hier den Synthi.» Bei vielen Songs hat er aber auch ganz einfach nur «Record» und «Stop» gedrückt, und das war’s auch schon…
Michèle: Wenn ich noch auf Reamonn zurückkommen darf: Das Lied «Supergirl» gehört zu jenen Stücken, die wir regelmässig selber hören. So gesehen passt Steve Lyon als Produzent gut zu uns. Allerdings möchte ich unsere Gruppe nicht als Nachahmung von Reamonn verstehen.
Habt ihr Reamonn über Steve Lyon persönlich treffen dürfen?
Michèle: Ja, während der Aufnahmen hatten wir die Möglichkeit, Reamonn live in Zürich zu erleben. Diese Begegnung hat uns näher an das Konzept und den Stil dieser britischen Band gebracht. Obwohl wir uns nicht als Imitat sehen, ist Reamonn die Band, mit der wir uns am ehesten identifizieren. Reamonn besteht wie wir aus einem Leadsänger mit einer starken Stimme und einer Band im Hintergrund. Die Jungs bieten eine Show ohne Schnickschnack, es geht nur um die Songs, die mit viel Liebe, Leidenschaft und Power performt werden, und das gefällt uns.
Diese Philosophie lebt ihr auf der Bühne?
Sandro: Ja, und den Leuten gefällt es. Es kommt immer besser, mit unserem aktuellen Album erreichten wir Platz 31 der Swiss Music Charts. Zuvor befanden wir uns in etwa auf Platz sechzig. Wenn wir mit jedem Album dreissig
Plätze Wett machen, stehen wir irgendwann ganz vorne. (lacht)
Dieser Logik zufolge muss das nächste Album auf Platz eins stehen.
Sandro: Träumen darf man ja…
ensuite, September 2009