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Der gefühlte Untergang: Eisbären in der Umweltkunst

Von Michael Engel­hard - Falls eines der Ziele der Kun­st die Verän­derung unser­er Wahrnehmung, unseres Denkens und unser­er Hand­lungsweisen ist, kann sie es sich nicht leis­ten unpoli­tisch zu sein, und soziale oder wirtschaftliche Entwick­lun­gen zu ignori­eren. Bryn­dís Snæb­jörns­dót­tir und Mark Wil­son, die Kura­toren der Ausstel­lung «nanoq: flat out and blue­some» (2004), die das «kul­turelle Leben nach dem Tode» aus­gestopfter Eis­bären the­ma­tisiert, fassen einen releativ neuen Bewusst­sein­swan­del fol­gen­der­massen zusam­men: «In den let­zten zehn Jahren hat sich das Bild des Eis­bären in der Vorstel­lung der Öffentlichkeit von ein­er Ikone der Kraft, der Unab­hängigkeit und des Über­lebens in einem der extrem­sten Leben­sräume unseres Plan­eten zu einem der Zer­brech­lichkeit, Ver­wund­barkeit, und, spez­i­fis­ch­er, zum Sym­bol der glob­alen Krise gewan­delt.» Matrix, das jüng­ste Pro­jekt des englisch-isländis­chen Kün­stler-Duos, befasst sich mit den Win­ter-Schnee­höhlen der Bären in Spitzber­gen, diesen «per­fekt den Bedin­gun­gen der ark­tis­chen Umwelt angepassten Mod­ellen.» Seit der min­i­mal­is­tis­chen Skulp­tur des Rodin-Schülers François Pom­pon – «L’Ours Blanc», (1922) – hat sich die Form­sprache der Eis­bärkun­st erneuert, genau­so wie ihre Ansätze. In Anlehnung an die Zoolo­gie und Physik pla­nen Snæb­jörns­dót­tir und Wil­son Verän­derun­gen in der Architek­tur der Bärenkam­mern zu doku­men­tieren, die Zeichen ein­er Anpas­sung der Tiere an verän­derte Bedin­gun­gen, wie zum Beispiel kürzere Win­ter oder Schnee­man­gel sein kön­nten. Durch das «Über­set­zten» ihrer Erken­nt­nisse für eine grössere Laien-Gemeinde hof­fen die bei­den Kün­stler, Nach­denken und Kri­tik an akzep­tiertem Wis­sen oder Dog­men zu inspiri­eren.

Mit stärk­eren Mit­teln ver­sucht­en die Englän­der Ack­royd & Har­vey nach ihrer Spitzber­gen­reise, mit «Polar Dia­mond» (2009) neue Denkweisen zu provozieren. Für dieses konzeptuelle Kunst­werk ver­bran­nten sie einen Eis­bär­knochen, den sie mit Son­der­genehmi­gung aus Spitzber­gen exportierten, und schufen aus der resul­tieren­den Asche einen kün­stlichen Dia­man­ten. Ihre Arbeit beschle­u­nigte lediglich einen Prozess, der in der Natur Jahrmil­lio­nen dauert. Ihr Kunst­werk stellt die Frage, was Kohle (uns) kostet. Ack­royd & Har­vey glauben, dass dieser Dia­mant «einen Hin­weis auf Ver­lust, und das Wis­sen, dass Sel­tenheit unweiger­lich Wert­steigerung bedeutet» birgt. Das bet­rifft Eis­bären eben­so wie den Edel­stein: die Zahl der Dia­man­ten vom bil­lig­sten Grad liegt in den Zehn­tausenden; die Zahl der verbleiben­den Eis­bären wird auf 20’000 bis 25’000 geschätzt.

Ein weit­eres Kunst­werk muss hier erwäh­nt wer­den, sei es nur wegen seines ungewöhn­lichen Schick­sals. Für sein «Ice Bear Project» schnitzte der Brite Mark Coreth eine Eis­skulp­tur, die das lebens­grosse Bronze-Skelett eines Eis­bären umhüllte. Jedes­mal, wenn das «Fleisch» dahin­schmolz, wur­den die Knochen zunehmend sicht­bar­er, in ein­er Art beschle­u­nigter Ver­we­sung. Als Teil ein­er World Wildlife Fund-Kam­pagne gegen den Kli­mawan­del hat­te die Instal­la­tion in 2009 in Kopen­hagen Pre­miere, bevor sie nach Lon­don, Syd­ney, und Mon­tre­al reiste. Vier Jahre später stahlen Diebe die Skulp­tur im Wert von 23’000 Dol­lar mit einem LKW aus Coreths Garten. Die Polizei glaubte, dass die Gang­ster das Met­all als Schrott zum Ein­schmelzen verkaufen woll­ten. Wieder ein­mal fiel ein poli­tis­ch­er Akt, eine Stel­lung­nahme gegen die Plün­derung der Natur, der Prof­it­gi­er zum Opfer; wie so oft, wur­den Tierkör­perteile zu Geld gemacht.

Wider­sprüche häufen sich schnell. Sachver­halte wer­den schnell kom­pliziert. Inspiri­ert durch die geometrischen Fig­uren der Naz­ca Ebene in Peru und durch Kinderze­ich­nun­gen, hat eine andere Islän­derin, Bjargey Ólafs­dót­tir, mit umwelt­fre­undlichem Lebens­mit­tel­farb­stoff einen gigan­tis­chen Eis­bär-Umriss auf die Haut des Langjökull Gletsch­ers geze­ich­net. Die Aktion war Teil ein­er Ini­tia­tive von Kün­stlern und Umweltschützern, die Aufmerk­samkeit auf die Kli­mawan­del-Kon­ferenz der Vere­in­ten Natio­nen in Can­cun im Jahr 2010 zu lenken. Aus der Vogelper­spek­tive sah das aus, so als ob wir Erdlinge Ausserirdis­chen sig­nal­isieren woll­ten, dass uns unsere Tier­welt äusserst wichtig ist.

Nicht ein­mal ein halbes Jahr später erschoss die isländis­che Küstenwache einen Eis­bären, der, von Eiss­chollen getra­gen, an der Nord­küste der Insel stran­dete – was schon seit Wikingerzeit­en ab und zu passiert ist. Man befürchtete, dass dieser Bär im Nebel unter­tauchen und in ein dichter bevölk­ertes Gebi­et wan­dern kön­nte, wo er eine Gefahr für die Bewohn­er darstellen würde. Ein Teil der Bevölkerung war entset­zt, und schlug vor, ges­tran­dete Bären stattdessen mit Funksendern auszus­tat­ten (eine gängige Prax­is in der zool­o­gis­chen Forschung), um sie bess­er ver­fol­gen zu kön­nen. Man sollte sie nur im Not­fall erschiessen. Oder man sollte sie betäuben, und dann in den Zoo von Reyk­javík ver­fracht­en. Oder man sollte sie fan­gen, und in Käfi­gen nach Grön­land schick­en – wo sie natür­lich auch gejagt wer­den kön­nen, offiziell, von den Eski­mos, die eine jährliche Quote bekom­men. Ein isländis­ch­er Unternehmer bot sog­ar sein Pri­vat­flugzeug an, um die Unkosten für den Trans­port eines «Prob­lem­bären» zurück in die Ark­tis zu bezahlen. Kri­tik­er im Insel­staat und im Aus­land fan­den es «bedauern­swert», dass Islän­der Eis­bären töten, während der Rest der Welt (und einige promi­nente Islän­der) glauben, dass die Bären beson­dere Schutz­mass­nah­men ver­di­enen.

In der Poli­tik des neuen Mil­le­ni­ums spie­len Eis­bären somit die Rolle, die Wale in den Achtzigern des vorigen Jahrhun­derts gespielt haben. Aus der Per­spek­tive des the­atralis­chen Protestes lässt sich der men­schenähn­liche Bär bess­er verkör­pern als ein Wal, oder der Regen­wald. Green­peace-Aktivis­ten sind nicht die einzi­gen Men­schen, die Eis­bär-Kostüme tra­gen, um uns zu beun­ruhi­gen und zum Han­deln aufzu­rufen. Mit ihrer Solo-Show «Ode to the Polar Bear» (2009) bietet die Inu­pi­aq Eski­mo-Rap­perin und darstel­lende Kün­st­lerin Alli­son War­den eine unmissver­ständlich-indi­gene Per­spek­tive auf Kli­mawan­del und Indus­tri­al­isierung. Bere­ichert durch die Erfahrun­gen und Geschicht­en ihrer Stammesäl­testen trauert sie um das Schwinden dieser Tier­art und viel­er Tra­di­tio­nen ihrer Kul­tur. Im Lauf ihres Monologs schlüpft sie in ver­schiedene Verklei­dun­gen, unter anderem auch in ein Eis­bärkostüm, die Abgren­zung Mensch/Natur tran­szendierend wie ehe­dem die Schama­nen.

Die Art und Weise, wie Avant­garde-Kün­stler Eis­bären instru­men­tal­isieren, um den Kurs und die Ziele unser­er Gesellschaft zu hin­ter­fra­gen, beweist erneut die Lan­glebigkeit dieses Tieres als Sym­bol. Seine Funk­tion im poli­tis­chen Kon­text ist lediglich eine der vie­len, die wir Men­schen dem charis­ma­tis­chen Fleis­chfress­er Jahrtausende hin­durch zugewiesen haben. Es beste­ht zumin­d­est die Hoff­nung, dass die lebende Tier­art unsere jüng­sten Darstel­lun­gen über­dauern kann.

 

Michael Engel­hard ist ein ehe­ma­liger Eth­nologe, der in Fair­banks lebt und jet­zt Wild­nis­touren in der Ark­tis Alaskas leit­et und organ­isiert. Er ist der Autor von Amer­i­can Wild: Explo­rations from the Grand Canyon to the Arc­tic Ocean und von Ice Bear: The Cul­tur­al His­to­ry of an Arc­tic Icon.

Infos: www.michaelengelhard.com

Artikel online veröffentlicht: 1. November 2016 – aktualisiert am 28. Januar 2019