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Der gestürzte König auf der Piazza

Wuchtig fol­gt die vir­tu­ose Kam­era aus der Vogelper­spek­tive der Edelka­rosse über Schweiz­er Land­strassen, hin­auf durch bewaldete Ser­pen­ti­nen – als Bild ein­er gepflegt erschlosse­nen Heimat. Man wäh­nt sich auch in einem span­nen­den „Tatort“. Doch ist der nobel Chauffierte unter dem Helikopter kein Ver­brech­er, kein­er, der sich die Hände schmutzig macht, son­dern ein poli­tis­ch­er Täter – der die Struk­turen der Schweiz in zwei Jahrzehn­ten vom lib­eralen Rechtsstaat zum Boll­w­erk des Nation­al­is­mus verän­derte, aber­mals zum Reduit mit­ten in Europa.

Wie ein Alpenkönig hält er Hof auf Schloss Rhäzüns und schwimmt täglich durch den 20m-Pool sein­er Vil­la in Her­rliberg – zur Entspan­nung und Ertüch­ti­gung als Feld­herr in ‚heiliger’ Mis­sion: Die Bewahrung der Schweiz vor der Mod­erne und allem Frem­den. Ausgenom­men die Geschäfte sein­er EMS-Chemie mit Fer­nost.

Auch die gold­e­nen Zierblu­men am Zaun zeigen: Da hat es ein­er nach ganz oben geschafft – neues Geld über­bi­etet altes! Doch dem Pub­likum auf dem Lande und in den Vorstädten verkün­det er treuherzig, er sei ein­er der ihren. Wer’s glaubt – ist nicht sel­ber schuld: Denn die Wer­be­bud­gets in Mil­lio­nen­höhe für die Mis­sion ein­er ver­schlosse­nen Schweiz zeigen längst Wirkung: 30% wählen die SVP. Doch wie entste­ht ein solch­er „Auf­trag“, den kaum ein Volk einem Einzel­nen ver­liehe, wenn nicht durch stete Manip­u­la­tion, durch die Bewirtschaf­tung sein­er Äng­ste? Welche Sehn­süchte treiben einen solchen Ein­peitsch­er von Feind­bildern an, aus welch­er Ohn­macht will er an die Macht? – Um sie wie „Fischer’s Fruh“ (Grimm) als Lehrstück der Arro­ganz am 12. Dezem­ber 2007 wieder abgeben zu müssen.

„Noch nie drang ein Film tiefer in die Pri­vat­sphäre eines Schweiz­er Poli­tik­ers als dieser Doku­men­tarfilm,“ erstaunte sich die Neue Zürcher Zeitung nach der Urauf­führung auf der Piaz­za in Locarno. Aber wis­sen wir nach der filmis­chen Erfahrung von Blocher und sein­er Frau wirk­lich mehr über Christoph und Sil­via? Ihre ein­sil­bi­gen Worte während der Aut­o­fahrten, vor und nach Ter­mi­nen, im Tri­umph eben­so wie in der Nieder­lage tun es nicht. Dafür sind die Polit­stars zu rou­tiniert. Sie geben sich keine Blösse. Selb­st ein Franzö­sis­chfehler bei Blochers Vor­bere­itung sein­er Rede im Fond seines Autos gerät zum lau­ni­gen Bon­mot, macht ihn noch sym­pa­this­ch­er. Genau das ist Blochers Meis­ter­schaft, die Vor-täuschung sein­er Unschuld inmit­ten beträchtlich­er Schuld. Wir vergessen, dass er ein Täter ist. Dass an diesem Mann, wenn nicht Blut, so doch Schick­sale und Verzwei­flung hän­gen. Nicht nur in der Asyl­frage – nicht nur die Kasernierung, Krim­i­nal­isierung und Ausweisung Tausender Unbescholtener. Son­dern auch die Aufhe­bung sozialer Errun­gen­schaften für die eige­nen Land­sleute, für das „Volk“, auf das er sich so gern beruft, bei gle­ichzeit­iger mas­siv­er Senkung von Steuern für eine Elite von Super­re­ichen. – Es gilt nicht mehr die Unschuldsver­mu­tung!

Was also untern­immt der Regis­seur und Doku­men­tarist Jean-Stéphane Bron, um hin­ter die Fas­sade der Unschuld und Blochers stets, wenn auch nur (schein­bar) schlüs­sige Rhetorik zu kom­men? Wenn nicht im zu wohlwol­len­den Inter­view mit offen­sichtlich­er Beis­shem­mung möglich, so wäre es doch die Auf­gabe der Bilder, nach den Beweg­grün­den dieses Täters nation­al­is­tis­ch­er Het­ze zu sicht­en. Doch die Kam­er­afahrten wer­den kaum fündig. Dafür sind sie zu ästhetisch – wie ihre Objek­te höfis­ch­er Zier: weite Räume, Aus­blicke in die Ferne und auf edle Kun­st. Auch ein kri­tis­ch­er Betra­chter erliegt solch­er Aura des Reich­tums, dem Charis­ma eines Mächti­gen. Der nur mit dem Fin­ger schnip­pen, mit ein­er kurzen Anweisung die Welt zum Schlecht­en verän­dern kann. Bron rückt seinem poli­tis­chen Geg­n­er so nah wie nur möglich auf die Pelle, er filmt ihn gar im Schlaf. Wieder steigt die Unschuldsver­mu­tung auf, die Müdigkeit eines getriebe­nen Kämpfers in der Stille ver­leit­en zum Mit­ge­fühl: Hat er nicht doch Recht mit sein­er Mis­sion, mit seinem „Auf­trag“ vom „Volk“ zur recht­sna­tionalen Vertei­di­gung der Gren­zen – jet­zt, da Gen­er­al Guisan nicht mehr darum besorgt ist. Hat er nicht Recht mit seinem Lied von ver­gan­gener Zeit und Idylle, wie sie Albert Anker malte – wie es doch nie war. Trotz all dieser Nähe lichtet sich keines der Geheimnisse. Die Nähe selb­st ist das Prob­lem. Blocher tri­um­phiert mit dem Lächeln des Siegers: „Sie ken­nen meine Geheimnisse nicht.“ Doch die ‚Home­sto­ry’ über den König ist im Kas­ten und Kino.

Über „L’Expérience Blocher“ (CH, 2013) schreiben heisst in jedem Fall in die Falle tap­pen: Man beachtet einen, der ver­achtet. Das ist das grund­sät­zliche Dilem­ma dieses Films, auch sein­er öffentlichen Förderung. Ander­sherum – hätte der Leader der Schweiz­er Recht­en seine Selb­st­darstel­lung auch noch sel­ber finanziert, liefe eine solche niemals auf der Piaz­za in Locarno. Also liess Blocher einen aus­gewiese­nen „Linken“ an sich ran: Das legit­imiert den Film nach allen Seit­en. Gle­ichzeit­ig ist ihm Bron bis auf wenige kri­tis­che Kom­mentare aus dem über­hör­baren Off (die inter­na­tionale Presse ver­stand sie kaum!) als Reporter für einen intellek­tuell vere­del­ten Report vom Hofe der Blochers nüt­zlich. Der Linke erlag aus den Umstän­den zwangsläu­fig der Aura des Gast­ge­bers, der seinen Gast mit­samt Film bei zuviel Kri­tik jed­erzeit vor die Tür set­zen kon­nte…

Liefen die Fra­gen des redlich bemüht­en Autors nicht in Blochers Schweigen leer, hätte der Filmemach­er diese lauter gestellt und szenisch doku­men­tiert – als Gegen­macht der Bilder zu des Königs höfis­chen Rit­ualen – die Leichen im Keller des robusten Auf­steigers in den Olymp der Schweiz: So etwa Blochers Sup­port des Aparthei­dregimes am Kap, als Nel­son Man­dela noch Gefan­gener auf Robben Island war, oder seine Rolle mit dem Banker Mar­tin Ebn­er bei der Zer­schla­gung der Alusu­isse inklu­sive Masse­nent­las­sung: Die Türe von Blochers Schloss wäre ins Schloss gefall­en, die Zug­brücke zum Schweiz­er Film­schaf­fen unnah­bar oben.

So stellt sich nach diesem gle­ich­wohl her­vor­ra­gend gemacht­en Doku­men­tarfilm die Frage: Tri­um­phiert die Bauern­schläue wieder ein­mal über die Intel­li­genz? – Geht Blochers neue Strate­gie der Ein­bindung sein­er Kri­tik­er, der von ihm einst ver­höh­n­ten „Linken und Net­ten“ als „embed­ded“ Hof­berichter­stat­ter und Gäste sein­er führen­den Bilder­samm­lung von Albert Anker und Fer­di­nand Hodler auf? – Wenn sich Intel­li­genz als kom­plex­es Denken definiert, dann ist Bauern­schläue eines Pop­ulis­ten zielo­ri­en­tiert: das Auge auf die Börse, das Ohr am Stammtisch: Die poli­tis­che Leis­tung Blochers beste­ht in der Liai­son zwis­chen dem Ultra- und Neolib­er­al­is­mus der Hoch­fi­nanz und schlichteren Schicht­en, ohne dass let­ztere ihre Instru­men­tal­isierung durch­schaut­en. Das ist Mar­ket­ing vom Gröb­sten und gle­ichzeit­ig vom Fein­sten. Ähn­lich­es tat sich in den 30er Jahren in Deutsch­land, als die Stahlbarone mit den Agrari­ern zusam­mengin­gen und einen kra­kee­len­den Gefre­it­en an die Spitze set­zten.

Soweit kann es nicht kom­men in der anti­monar­chis­chen Schweiz: Der König ist gestürzt. Es lebe die Plu­tokratie. Die Ser­pen­ti­nen unter dem Helikopter führen nicht auf den Ober­salzberg bei Bercht­es­gaden, son­dern lan­den in der filmis­chen Psy­cholo­giesierung von Mitleid für einen Alten, aber keineswegs Altersmilden, der immer noch auszieht, jene das Fürcht­en zu lehren, die ihn einst als Bauern-tölpel belächel­ten, die auch den Vater – einen poltern­den Pfaf­fen aus dem nahen Aus­land (!) von der Kanzel stiessen, in Lau­pen am Rhe­in­fall unweit der Gren­ze. Vielle­icht ist ihm die Schweiz deshalb soviele Mythen wert von der Tell­splat­te bis nach Marig­nano. Vielle­icht muss er sich auf diese Weise jeden Tag wieder beweisen, dass er ein Schweiz­er ist. Nun ist aber genug – er gehört zu ihnen.

Nach der Abwahl von Bun­desrat Christoph Blocher 2009 meinte sein heutiger Statthal­ter im Wal­lis, Oskar Freysinger: Die Schweiz würde ihm einst auf dem Bun­de­shaus­platz ein Denkmal set­zen als einem ihrer wichtig­sten Bewahrer.
Auf ein Denkmal ganz im Real­is­mus eines Albert Ankers müssen wir wohl noch etwas warten – einen grandiosen Film zu Blocher’s Grandeur haben wir schon!

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