Von Sonja Wenger — Alles, was Ibrahim Gezer in seinem Leben wollte, war ein schönes, harmonisches Leben mit seiner Familie führen, am besten so geordnet wie in einem seiner vielen Bienenstöcke. Das Schicksal, die Umstände oder wie immer man es nennen will haben anderes gebracht. Denn Ibrahim Gezer wurde 1946 im türkischen Teil Kurdistans geboren. Der Freiheitskampf seines Volkes, der in den achtziger Jahren zu einem offenen Bürgerkrieg entbrannte, nahm ihm alles: seine Frau, zwei seiner elf Kinder, und den bescheidenen Wohlstand, den der gelernte Imker mit seinen bis zu 500 Bienenvölkern für die Familie erwirtschaftet hatte. Das türkische Militär verfolgte ihn, so dass er sich sieben Jahre in den kurdischen Bergen verstecken musste, es zerstörte sein Haus, seine Bienen, und trieb die verbleibenden Mitglieder der Familie letztendlich ins Exil.
Heute lebt Ibrahim Gezer in der Schweiz, allein in einer einfachen Einzimmerwohnung in Basel. Sieben seiner Kinder haben mit ihren Familien ebenfalls Zuflucht hier gefunden. Es ist Gezer nach einigen Widerständen der Schweizer Behörden, die die Imkerei nicht als Beruf anerkennen, dennoch gelungen, sich mehrere Bienenvölker zu besorgen. Und inzwischen kann er als Rentner seiner einstigen Profession und Leidenschaft wieder unbehelligt nachgehen.
Diese berührende, wechselhafte, ja «unglaubliche» Biografie hat der kurdische, in der Schweiz lebende Filmemacher Mano Khalil in seinem neuen Dokumentarfilm «Der Imker» nachgezeichnet. Drei Jahre lang hat der Regisseur Gezer begleitet, filmte ihn bei seinen Begegnungen mit der Familie und bei Freunden, innerhalb der kurdischen Gemeinschaft in Basel und vor allem und immer wieder bei der Arbeit mit seinen Bienen, die Gezer bei Andermatt auf der Realp untergebracht hat.
Doch es ist nicht so sehr Gezers aussergewöhnliche Lebensgeschichte, der bedächtige und besinnliche Grundton von «Der Imker» oder seine ungekünstelten Bilder, die den Film zu einem eindrücklichen Erlebnis machen. Es ist der Mensch an sich. Ibrahim Gezer, der in seinem Leben viel Leid, Schmerz, Verlust und Demütigungen hinnehmen musste, ist erfüllt von einem unerschütterlichen Vertrauen zu den einzelnen Menschen, egal welcher Herkunft sie sind. Er, der kaum Deutsch spricht, lernt überall schnell Menschen kennen, wird in ihre Häuser und Herzen aufgenommen und findet Freunde. Das sei so, sagt Gezer im Film, weil er Menschen gerne habe. «Und wenn man Menschen gerne hat, mögen sie einen auch.» Diese Liebe könne man im Gesicht lesen. Er habe sich sein Leben lang bemüht, ehrlich, treu und respektvoll mit den Menschen umzugehen, denn: «So wie du den Menschen behandelst, so behandelt er dich.»
Ungewöhnliche Worte mit einem angenehmen, ja befreienden Nachklang – besonders in einer Gesellschaft, die zumindest auf den ersten Blick geprägt scheint von Misstrauen und Zurückhaltung. Das zeigt sich besonders bei Gezers oftmals demütigenden Behördengängen und beim fragwürdigen «Arbeitsprogramm», das ihm aufgezwungen wurde. Wie es kommt, dass er vor dem Hintergrund solcher Erfahrungen wie auch der eigenen Geschichte das Vertrauen und die Liebe zum Menschen nicht verloren hat, ist in der Tat eine unglaublich schöne Geschichte, die rührt und berührt.
Dass viele Menschen auch in diesem Land ein offenes Ohr für Gezers Worte haben, zeigt die Resonanz, die «Der Imker» bisher auf Filmfestivals genoss. So wurde er bei den diesjährigen Solothurner Filmtagen mit dem hochdotierten Prix de Soleure ausgezeichnet, für die «Positivität» des Werkes und seinen «ausgeprägten Humanismus». Ab Juni darf sich nun auch der Rest der Schweiz von Gezers Herzenswärme begeistern lassen.
«Der Imker – Die unglaubliche Geschichte von Ibrahim Gezer», Schweiz 2013. Regie: Mano Khalil. Länge: 107 Minuten. Ab dem 6. Juni in Deutschschweizer Kinos.
Foto: zVg.
ensuite, Juni/Juli 2013