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Der Kolumnentest: Werden Sie durch die Hölle gehen?

(Con­stan­tin Seibt) —

Dieser Blog­post hat genau ein Jahr Ver­spä­tung. Aber was ist schon ein Jahr im Inter­net?

Etwas ärg­er­lich ist auch, dass er eigentlich Teil 5 ein­er Serie über das Kolum­nen­schreiben ist. Und man eigentlich die anderen Teile im Kopf haben müsste. (Tipp für Ungeduldige: zen­tral ist Teil 3).

Also, falls sie eine Minute Zeit haben, hier:

Die The­o­rie im drit­ten Teil ver­tritt die These, dass eine Kolumne umso schmer­zlos­er schreib­bar ist, wenn man nicht jedes Mal vor einem weis­sen Blatt Papi­er sitzt. Also je klar­er man sich ein­schränkt: durch ein Korsett von The­ma, Stil und Hal­tung.

Bei der Kon­struk­tion des Korsetts sollte man ohne Selb­st­be­trug arbeit­en. Ein Kolum­nenkonzept ist alles andere als eine kleine Entschei­dung. Denn es prägt ein Stück Ihres zukün­fti­gen Lebens.

Sitzt das Konzept, ist die Kolumne eine erfreuliche Arbeit und Geldquelle. Sitzt es nicht, wer­den Sie bei jed­er Kolumne gle­ich drei Mal lei­den: Davor, weil Sie Angst haben. Dann beim Schreiben. Und danach, weil Sie sich schä­men.

Welch­es Konzept klappt? Welch­es nicht? Und warum? Hier die Steck­briefe einiger Kolum­nen, die ich neben der Mon­ster-Kolumne schrieb. (Ein klein­er Tipp: Über­sprin­gen Sie die Beispiele, falls Ihnen Ihre Zeit lieb ist.)

 

1. Fund­stücke («NZZ Folio»)

Diese Kolumne lieferte die bil­dungs­bürg­er­lich­ste Vari­ante von Punk: klas­sis­che Lit­er­atur­fälschun­gen. Sie kor­rigierte die trau­rige Tat­sache, dass die besten Autoren nichts mehr für Zeitschriften schreiben, weil sie tot sind. Also erschien Neues von: Pla­to, Schopen­hauer, Simenon, Frisch, Wilde, Hem­ing­way, etc.

Hon­o­rar: 1000 Franken

Länge: 4400 Zeichen

Erschei­n­ungsweise: monatlich

Laufzeit: knapp zwei Jahre

The­ma: Eine passende Klas­sik­er-Fälschung zum jew­eili­gen Heft­the­ma des «Folio».

Stil: Je nach Autor war die beste Wahl das Genre, für das er berühmt wurde: eine Kurzgeschichte, ein Dia­log, ein Essay, ein Tage­buch, ein Kurzkri­mi. Der Stil blieb sehr nah beim Autor, nur mild über­trieben. Die Illu­sion des promi­nen­ten Ver­fassers wurde durch die Autoren­zeile aufrechter­hal­ten. Mein Name stand nur in der Fuss­note, als Her­aus­ge­ber oder Über­set­zer.

Hal­tung: Einen alten Traum ausleben — die eigene Bib­lio­thek noch ein­mal neu schreiben.

Aufwand: Zwei bis vier Tage. Meis­tens ver­brachte ich vor dem ersten Satz zwei Nächte in Verzwei­flung. Diese Kolumne machte wirk­lich Arbeit. Denn im Grunde waren wed­er The­ma, noch Form, noch Hal­tung definiert. Also wurde sie von Folge zu Folge neu ent­wor­fen. Man musste sich in Stil und Logik des Autors ein­le­sen; dann eine Geschichte oder ein Essay erfind­en; und da die 4400 Zeichen in einem extrem star­ren Lay­out standen, war auch die Schlussredak­tion ein end­lose Bastelei.

Faz­it: Trotz­dem erfreulich. Län­gere Zeit war diese Kolumne meine wichtig­ste Finanzquelle. Ausser­dem war das Pro­jekt (Fälschun­gen im NZZ-Uni­ver­sum) reizvoll. Nicht zulet­zt weil immer wieder Experten darauf rein­fie­len.  Und schliesslich liess sich — zusam­men mit den Kolum­nen meines Brud­ers und Vaters — ein Buch daraus kochen.

Beispiel:

Das grösste Kun­stereig­nis 1929

Von Bert Brecht

IN EINER UMFRAGE der «Lit­er­arischen Welt» haben sich einige Her­ren zum bemerkenswertesten Kun­ster­leb­nis des Jahres 1929 geäussert. Ger­hard Haupt­mann nan­nte die Auf­führung eines (eige­nen) Stücks, Franz Wer­fel sprach sich für die Gedichte sein­er Fre­unde aus, Th. Mann bekan­nte sich zu ein­er Oper.

Ich bedau­re alle drei, zünde meine Zigarre an und stimme für das inter­es­san­teste Spiel der Deutschen Meis­ter­schaft, Schalke 04 gegen Arminia Han­nover, das mit 6 zu 2 endete.

Für den zylin­der­tra­gen­den Betra­chter mag die Wahl eines Sportereigniss­es eine Über­raschung sein. Doch beste­ht der Vorteil mein­er Wahl ger­ade in ihrem Man­gel an Orig­i­nal­ität. Nicht nur wird mein Urteil von 20’000 Kun­stken­nern geteilt, son­dern auch von der Mehrheit der deutschen Fuss­ball­presse, die sowohl dem Sys­tem des Schalk­er Kreisel­spiels als auch den aus­führen­den Kün­stlern Szepan, Kuzor­ra, Tibul­s­ki grösste Hochachtung ent­ge­gen­brachte.

Für ein­mal fand an einem Kul­tur­ereig­nis kein Nepp statt. Der Gegen­wert für das Ein­tritts­geld wurde geboten. Die einzige Beein­träch­ti­gung des Vergnü­gens bestand in der Abwe­sen­heit des bürg­er­lichen Feuil­letons, dessen Ablehnung son­st jed­er gelun­genen Ver­anstal­tung ihre beson­dere Würde ver­lei­ht.

In der Tat ist die Nachricht noch nicht in die Redak­tio­nen vorge­drun­gen, dass Fuss­ball als Kun­st­form den tra­di­tionellen For­men Lit­er­atur, The­ater, Malerei, Musik bei weit­em über­legen ist. Fuss­ball ist wie alle grosse Kun­st ein­fach. Die Über­sichtlichkeit der Regeln ges­tat­tet es, in Ruhe Details zu studieren, etwa Kuzor­ras Bal­lan­nahme, die Paraden Sobot­tkas oder Tibul­skis Fall­rückzieher. Jed­er Zuschauer ist spätestens nach drei Spie­len Ken­ner. Das Pub­likum ist also auss­chliesslich aus Ken­nern zusam­menge­set­zt.

So ist auch Kri­tik das Marken­ze­ichen des Pub­likums. Während der Smok­ingträger in Konz­erten oder im The­ater­saal auf dem Maul sitzt, tre­f­fen wir in den Sport­sta­di­en auf einen Men­schen, der pfeift, raucht, singt, aber nicht jede Dar­bi­etung zu ertra­gen gewil­lt ist. (Dass das Fuss­ballpub­likum partei­isch ist, ändert nichts an dieser Tat­sache: Unpartei­is­che Beobachter ver­schweigen in der Regel nur, wer sie für ihr Urteil bezahlt hat.)

Nun zeu­gen Rufe wie «Elfme­ter» oder «Schiess doch, du Affe!» von ein­er geisti­gen Beweglichkeit, die diejenige eines Smok­ing­pub­likums bei weit­em über­trifft. Mit­denk­ende Kom­mentare wie: «Pin­seln Sie Ihr Bild abstrak­ter!», «Ophe­lia auswech­seln!» wür­den auch diesem gut anste­hen.

Das hohe Niveau der Fuss­bal­lkun­st basiert auf dem Respekt vor ehrlich­er Arbeit. Ihr Ertrag ist mess­bar: Jedes Spiel ergibt ein Resul­tat. Dass nicht immer der Bessere gewin­nt, spricht für den unbarmherzi­gen Real­is­mus der Fuss­bal­lkun­st. Man kann Wet­ten annehmen. Dem Zufall wird eine Chance gegeben, und das, meine Her­ren, ist im Geschäft­sleben nicht anders. (Mor­gen, wenn Ihr Glück aus­set­zt, kön­nen Sie ver­nichtet wer­den.)

Ger­ade diese Unberechen­barkeit beweist die Über­legen­heit des Fuss­balls gegenüber den tra­di­tionellen Kun­st­for­men, in denen der Aus­gang der Kämpfe fest­gelegt ist: im The­ater schlägt Ham­let Polo­nius jedes Mal, aber im Spiel Schalke — Han­nover kann die Sit­u­a­tion ruhig sein, Szepan bekommt den Ball im Mit­telfeld, startet ein unge­heures Drib­bling um vier Vertei­di­ger und schiesst ein.

Jed­erzeit ist die Katas­tro­phe oder der Geniestre­ich möglich: Fuss­ball lehrt eine Masse in der Möglichkeits­form denken. Sie macht die Erfahrung, dass sich in Sekun­den etwas verän­dern lässt. Fuss­ball ist — zusam­men mit der Erken­nt­nis, dass der Weg ins Spiel fast immer über den Kampf führt — Anschau­ung­sun­ter­richt für Rev­o­lu­tionäre. Auf gutem handw­erk­lichem Niveau — jeden­falls für ein Land, das von einem Rilke, Uhland oder George heimge­sucht wurde — ist auch die Lyrik. Die Songs sind singbar und betont sach­lich («blau und weiss ist ja der him­mel nur / blau und weiss ist unsre fuss­ball­gar­ni­tur»), die Beschimp­fun­gen direkt und wirk­sam («heute hauen wir nach altem brauch / dem fc schalke auf den bauch / lustig lustig tralala / heut ist die arminia mit dem ham­mer wieder da»).

Last, not least wird einem für sein Geld auch ein gesun­der Gegen­wert an Gefühlsaus­brüchen geboten. Keine The­at­er­auf­führung ver­hil­ft auch nur einem Zuschauer zu eben­solch­er Freude wie den 10 000 Anhängern ein Siegestor in der 89. Minute, keine Chopin- oder Hölder­lin-Mat­inée ver­set­zt in so ehrliche Trauer wie der Ver­lust­tr­e­f­fer. Wie bei allen inter­es­san­ten Lebensla­gen zahlt man auch im Fuss­ball den Spass mit dem Risiko eines grossen Ver­lusts. Gutes Amüse­ment hat schon immer Ner­ven und Mut ver­langt.

Aus oben genan­nten Grün­den stimme ich dafür, das Spiel Schalke — Han­nover als Kun­stereig­nis des Jahres 1929 zu wählen, den Stürmer Ernst Kuzor­ra als Kün­stler des Jahres auszuze­ich­nen und Fuss­ball als frucht­barste Kun­st­form des 20. Jahrhun­derts zu sehen.

 

Kleine grosse Welt (Mag­a­zin «Basler Zeitung»)

Da das Basler-Zeitungs-Mag­a­zin zu einem Zeit­punkt anfragte, als ich schon drei Kolum­nen gle­ichzeit­ig schrieb, hat­te ich keine weit­ere Idee. Deshalb tat ich etwas, was ich nie tun wollte: Ich zapfte mein Pri­vatleben als Kolum­nen­stoff an

Hon­o­rar: 600 Franken

Länge: 3000 Zeichen

Erschei­n­ungsweise: alle fünf Wochen

Laufzeit: zwei Jahre

The­ma: Damit die Sache nicht allzu harm­los wurde, schränk­te ich den Stoff ein: Ich schrieb aus­sliesslich über meine Nieder­la­gen.

Stil: Auf gedrängtem Platz kon­nte man nur straight erzählen. Und zuweilen leicht poet­isierend.

Hal­tung: Das “leicht poet­isierend” sagt schon viel: ein gewiss­er fre­undlich­er Abend­son­nen­schein lag über allen Geständ­nis­sen. Vor allem, weil die beschriebe­nen Nieder­la­gen meist schon länger zurück­la­gen. Das Konzept war zu wenig radikal. Es tat nicht mehr weh. Ich fing mich an zu lang­weilen. Erst erzählte ich ein paar Anek­doten über Fre­unde und Fam­i­lie, dann begann ich sie als Rohstoff für Short-Sto­ry-Skizzen zu nützen. Damit fing die Kolumne an, wieder Spass zu machen.

Aufwand: Zwei bis fünf Stun­den.

Faz­it: Leicht­es Geld.

Beispiel:

Berlin. Bor­dell. Unschuld.

Sie trat­en unter der hell erleuchteten Markise des Restau­rants her­vor in die Nacht. Frank war etwas betrunk­en, es war in Berlin, sein 18. Geburt­stag, und er war etwas schock­iert, weil ihm sein Vater eben die erste Nacht seines Lebens vorgeschla­gen hat­te. «Man muss mit allem ein­mal anfan­gen», hat­te er gesagt. «Also warum nicht sofort?»

Sie gin­gen durch Strassen, es nieselte, bis ihm sein Vater vor ein­er Kneipe einen Hun­dert­er in die Hand drück­te. «Okay?», sagte er. Frank steuerte auf eine pralle Blonde zu — nicht sein Typ, aber man war bess­er emo­tion­al nicht allzu beteiligt. Ein paar Trep­pen später stand er in einem Zim­mer aus Plüsch mit Spiegeln, das ihn irri­tierte: Es sah genau so aus, wie er es sich vorgestellt hat­te. Ein Klis­chee als Wirk­lichkeit. So etwas passierte son­st nie. «Willst du ein Bier?», fragte die Blonde. Frank nick­te. Sie sagte: «Das macht dann 8 Euro extra. Zieh dich schon mal aus.» Sie blieb ziem­lich lang weg, Frank lag mit Unter­hose und Brille auf dem Bett, star­rte in den Spiegel und dachte daran, dass er ein­gentlich geglaubt hat­te, dass im Bor­dell sich die Frau ausziehe. Schliesslich kam sie rein, stellte das Bier auf den Nacht­tisch, stülpte ein Kon­dom über und begann an seinem Schwanz herumzubeis­sen. Es fühlte sich nicht nicht ganz so an wie beim Zah­narzt, aber ähn­lich. Frank dachte: «Immer­hin, näher bist du ein­er Frau noch nie gekom­men.» Er sagte: «Warum machen wirs nicht nor­mal?» — «Das kostet 70 extra.» — «Die hab ich nicht.» — «Dann tut es mir Leid», sagte die Blonde. «Aber das sind mal die Tar­ife.»

Frank set­zte sich auf und griff zum Bier. Die Blonde griff nach ein­er Zigarette und sagte: «Wir sind auch nicht glück­lich, wenn der Kunde nicht glück­lich ist … Woher kommst du?» — «Aus Zürich.» — «Toll, aus Zürich haben wir wenige.» — Sie raucht­en. Dann fasste sich die Blonde ein Herz und sagte: «Mit Mäd­chen hat­test du nicht viel und so … nicht?» — «Nein, ich bin nur betrunk­en», sagte Frank und dachte: O Gott, auch das noch.

Dann betrat er die Kneipe um die Ecke, die nach Essen roch. Sein Vater stand an der leeren Theke vor einem Glas. Er war viel zu gut gek­lei­det für seine Umge­bung. «Wie wars?», fragte er. — «Okay.» — «Glück­wun­sch zum Geburt­stag», sagte sein Vater. «Sags nur nicht dein­er Mut­ter.» Frank schüt­telte den Kopf und sah seinem Vater über den Spiegel hin­ter der Bar ins Gesicht. Es war das­selbe wie seins, nur hager­er, bess­er geschnit­ten und müde.

Und plöt­zlich wusste Frank, dass das auch ein­mal sein Gesicht sein würde. In einen paar Wochen würde Schluss sein mit der Schule und irgend­wann auch mit der Schüchtern­heit, er würde eine Fre­undin haben, einen Job haben, vielle­icht Kinder, vielle­icht ein Haus und irgend­wann würde ihn dieselbe Müdigkeit über­fall­en wie seinen Vater. Frank wusste mit einem Mal, dass ihm nichts erspart wer­den würde, keine Demü­ti­gung, keine Nieder­lage und keine Lüge.

Er war so glück­lich wie nie zuvor in seinem Leben.

 

Jour­nal­is­mus-Kolumne («Werbe­woche»)

Die Vor­läufer­kolumne zu diesem Blog.

Hon­o­rar: 300 Franken

Länge: 3800 Zeichen

Erschei­n­ungsweise: alle fünf Wochen

Laufzeit: über zwei Jahre

The­ma: Tricks (und ein paar Frech­heit­en) zu Artikeln, Kar­riere und Zeitungs­machen.

Stil: So knapp, trock­en und iro­nisch die Kolumne war, so anders getak­tet waren Anfang und Schlussab­satz. Dort wurde der Leser jew­eils mit ein­er kleinen Ver­beu­gung mit «Mbwana» (afrikanisch für: Gebi­eter) ange­sprochen. Diese Anrede löste das zen­trale Prob­lem  der Kolumne: das Arro­ganzprob­lem. Also dass eigentlich nicht einzuse­hen war, warum ger­ade ich erfahre­nen Profis etwas rat­en sollte.

Hal­tung: Ein But­ler, der seinen Lord mit scho­nungslos­er Höflichkeit berät.

Aufwand: Vier bis sechs Stun­den

Faz­it: Eine recht fröh­liche Arbeit, aber vol­lkom­men echo­los, da im falschen Medi­um. Ursprünglich nahm ich an, dass die «Wer­be­woche» von Wer­bern und Jour­nal­is­ten gele­sen wer­den würde. Aber es waren auss­chliesslich Wer­ber.

Beispiel:

Der 100-Mio.-Dollar-Tresor

Es ist ziem­lich unhöflich, Mbwana, durch die Räume Ihrer Gast­ge­ber zu gehen und zu fra­gen: Bei wem haben Sie das alles gestohlen? (Je inter­es­san­ter die Antwort, desto sicher­er wer­den Sie nicht mehr ein­ge­laden.) Gehen wir durch imma­terielle Räume der Ideen, ist die gle­iche Frage ein Kom­pli­ment: Bei wem haben Sie das geklaut?

Seit jeher war Kul­tur eine Kette von Dieb­stählen — die ein­fach­ste Def­i­n­i­tion eines Klas­sik­ers ist, dass er von sehr vie­len Leuten beklaut wurde. Gute Ideen bleiben gute Ideen, auch wenn es anfangs nicht die eige­nen sind. Ein Kön­ner, laut Bert Brecht, ist jemand, der Gelun­ge­nes nicht noch ein­mal macht. Das blieb bei Brecht keine The­o­rie: Mehrere Dutzend der frech­sten Verse sein­er Dreigroschenop­er stam­men von Kipling und Vil­lon.

Ängstliche Geis­ter nen­nen Dieb­stahl nicht beim Namen: Sie benützen lieber Worte wie Inspi­ra­tion oder Import-Export. Export­land Num­mer eins für Erfolg ver­sprechende Ideen ist zweifel­los Ameri­ka. Ob beim Bank­ing, in der Musik oder im Jour­nal­is­mus: Ohne den amerikanis­chen Chew­ing-Gum hät­ten die deutschsprachi­gen Gehirne einen stren­gen arischen Mundgeruch.

Heiss­es­ter Kan­di­dat für aktuelle Dieb­stäh­le ist ein neure­ich­er Dol­lar-Mil­lionär: Michael Moore. Immer­hin knack­te sein Schlager «Fahren­heit 9/11» als erster Doku­men­tarfilm die magis­che 100-Mil­lio­nen-Dol­lar-Gren­ze. Aus ihm und Moores son­stigem Werk lässt sich für den Schweiz­er Markt einiges importieren:

1. Erstaunlich viel Pub­likum inter­essiert sich für Infor­ma­tion, für Poli­tik und Polemik — sofern sie es unter­hal­ten.

2. Was Moore liefert, ist das Big Pic­ture: grosse Poli­tik und kleine Leute zugle­ich. Er liefert das, was die Medi­en nicht liefern — einen Überblick im Chaos der Einzelmel­dun­gen, ‑mei­n­un­gen und Lokalberichte. Mit sim­plen Schnit­ten von Wash­ing­ton­er Strate­gen zu des­ori­en­tierten Sol­dat­en im Irak, von Gen­er­al-Motors-Man­agern zu Betrei­bungs­beamten in Detroit schafft er die Antwort zu der in Medi­en oft ver­nach­läs­sigten Frage: Was, zum Henker, geht uns das Hick­hack der Poli­tik, was der Jar­gon der Wirtschaft an?

3. Für Kopis­ten inter­es­sant ist, dass Moore mit gross­er Kom­plex­ität unter­hält. Er springt im Höl­len­tem­po zwis­chen der­art ver­schiede­nen Gen­res wie Kom­men­tar, Trick­film, Reportage, Satire, Experten­mei­n­ung, Selb­stin­sze­nierung und men­schlichem Dra­ma hin und her. Der Mix von offizieller Poli­tik und Lokalre­port, Ernst und Humor, Fak­ten und Fik­tion wird vom Block­buster-Pub­likum offen­sichtlich geschätzt und ver­standen. Das Faz­it für uns: Viele Schweiz­er Medi­en­pro­duk­te sind zu sauber und zu wenig mutig. Sie ziehen Argu­men­ta­tion und Ton­fall von Anfang bis Ende durch. (Acht­en Sie mal drauf, Mbwana, wie sel­ten in Reporta­gen die Per­spek­tive gewech­selt wird. Kaum je ein Schwenk zwis­chen Mikroskop und Blick vom Mars und zurück. Ger­ade Qual­ität­sjour­nal­is­mus liebt die sichere, saubere Halb­dis­tanz des Schreibtischs: nie rohes Fleisch, nie das kalte Auge Gottes, stattdessen Val­i­um mit Niveau.)

4. Prak­tis­cher­weise kam soeben ein How-to-Buch von Moore auf den Markt: «Hur­ra Ameri­ka!». Der Titel entspricht lei­der Moores Schreib­stil: Schriftlich sind seine Gags so plump wie ein poli­tis­ch­er Fas­nacht­sred­ner. Umso sen­sa­tioneller der Stoff: Pfan­nen­fer­tige Ideen, wie man selb­st insze­nierte Reporta­gen machen kann. So erkaufte sich Moores Sendung «TV Nation» bei einem Kon­gress­lob­by­is­ten für 5000 Dol­lar einen eige­nen, Ameri­ka-weit­en Feiertag, fragte bei neolib­eralen Repub­likan­ern nach, ob sie die per­sön­lich erhal­te­nen Sub­ven­tio­nen zurück­zahlen wür­den, liess einen Ex-KGB-Spi­on ermit­teln, ob Nixon wirk­lich tot sei.

Einiges in diesem Buch, Mbwana, ist höchst brauch‑, also klaubar. Was genau? Nun, da ich vorhabe, mich bald selb­st zu bedi­enen, lasse ich genauere Angaben lieber dort, wo wir Diebe uns wohl fühlen: im Grau der Nacht.

 

Aus dem Labor von Dr. Zork («Luzern­er Kul­tur­magazin»)

Das zen­trale Prob­lem, das diese Kolumne nie ganz löste, war: einen Beitrag für ein lokales Mag­a­zin ein­er Stadt zu schreiben, die ich nicht kan­nte.

Hon­o­rar: 150 Franken

Länge: 3000 Zeichen

Erschei­n­ungsweise: monatlich

Laufzeit: ein Jahr

The­ma: Die Prob­leme der Men­schheit, der Kul­tur und der Stadt Luzern wer­den mit­tels Chemie und Physik gelöst.

Stil: Die Kolumne hat­te drei gle­icher­weise intel­li­gente wie ide­al­is­tis­che Helden: Dr. Zork, seine vernarbte, aber schöne Assis­tentin Simone plus die Labor­rat­te Her­bert. Ein per­fek­tes Team von hart arbei­t­en­den, furcht- und nei­d­losen, nur der Erken­nt­nis, der Höflichkeit und dem Opti­mis­mus verpflichteten Wesen. Auch wenn sie wegen der Grösse der zu lösenden Prob­leme manch­mal von Melan­cholie ange­focht­en wur­den.

Hal­tung: Ein Schuss Albern­heit. Aber vor allem pos­i­tiv, kon­struk­tiv, voller Fre­undlichkeit.

Aufwand: Zwei bis zehn Stun­den. Es war manch­mal knif­flig auf die (pseudo-)wissenschaftliche Pointe zu kom­men, die dann der Kolumne den Dreh gab. Also etwa das Prob­lem der Milchun­verträglichkeit japanis­ch­er Touris­ten zu lösen. Diese wer­den eine Woche durch die Schweiz gekar­rt, essen abends die rahm­re­ichen Nation­al­speisen (Fon­due, Raclette, Zürcher Geschnet­zeltes) und übergeben sich, weil sie kein Enzym zur Milchei­weisss­pal­tung besitzen, am näch­sten Tag im Bus. Die Lösung von Dr. Zork und seinem Team war so ein­fach wie genial. Sie erset­zen in den fraglichen Pro­duk­ten Kuh­milch durch Stier­milch.

Das Faz­it: Die Kolumne blieb ohne ein jedes Echo. Nur ich allein fing an, sie wirk­lich gern zu haben, beza­ubert durch die Fre­undlichkeit der drei Helden. So war die Kolumne kein Erfolg, aber eine Freude.

Beispiel:

Weise Wei­h­nacht

24. Dezem­ber. Das Labor war fes­tlich geschmückt. Eine Bat­terie von auf klein­er Flamme bren­nen­den Bun­sen­bren­nern erleuchtete den son­st so nüchter­nen Raum.

Dr. Zork streck­te seine lan­gen Beine, für ein­mal in einen Smok­ing gehüllt, unter den Esstisch. Seine Assis­tentin Simone Urgh trug die tra­di­tionelle, geheimnissvolle Tra­cht ihres Lan­des. Die Labor­rat­te Her­bert hinge­gen war frisch geföh­nt und gewaschen.

“Geföh­nt sieht Her­bert aus wie ein Ango­ra-Meer­schwein”, bemerk­te Dr. Zork. Selb­st am Heili­gen Abend, während des Truthahn-Essens, funk­tion­ierte seine wis­senschaftliche Beobach­tungs­gabe!

“Dafür sehen Sie im Smok­ing aus wie ein Dok­tor der Geis­teswis­senschaften”, gab Her­bert ele­gant zurück.

“Keinen Stre­it, bitte!” sagte Simone. Sie wusste um den feinen, aber entschei­den­den Unter­schied zwis­chen exak­ten und wortre­ichen Wis­senschaften… “Geis­teswis­senschaftler” war lei­der kein Kom­pli­ment!

Aber Dr. Zork nahm nur eine weit­ere Gabel Truthahn zu sich. “Wenn Gott seine Geschöpfe nach seinem Angesicht gestal­tet hat”, sagte er, “dann muss er also die Knop­fau­gen Her­berts mit mein­er markan­ten Nase und den zarten Ohren Simones verbinden”, sagte er.

Simone und Her­bert lächel­ten in ihre Servi­ette. Dr. Zork begab sich tat­säch­lich auf dem speku­la­tiv­en Par­kett der Geis­teswis­senschaft, sog­ar auf das speku­la­tivste der speku­la­tiv­en Gebi­ete: der The­olo­gie.

“Noch etwas But­ter-Sosse?”, fragte Simone.

“Gerne”, sagte Dr. Zork und fuhr fort: “Und sein Kör­p­er müsste Brüste, Brusthaare und diverse Schwänze auf ein­mal haben.”

“Dr. Zork beruft sich auf das Mod­ell von Angelus Sile­sius”, sagte Simone.

“Alles in einem, eins in allem”, ergänzte Her­bert zer­treut, der ger­ade an das Auswick­eln der Geschenke dachte.

Bald war es soweit: Simone erhielt einen Guc­ci-Laborkit­tel, Her­bert mehrere Sorten franzö­sis­chen Käse und Dr. Zork zwei ele­gante, säurefeste Kra­vat­ten.

Schliesslich deuteten die treuen Mitar­beit­er auf einen drei Meter lan­gen, zylin­drischen Gegen­stand in rosa Geschenkpa­pi­er, in dem Dr. Zork zu sein­er grossen Freude eine von ihm selb­st entwick­elte, aber mod­i­fizierte Mit­tel­streck­en­rakete fand.

“Die grösste Sivlvester­rakete Europas”, freute er sich. “Damit wird Luzern am 2. Jan­u­ar in allen Schlagzeilen sein!”

So war es auch. Sie starteten Punkt Mit­ter­nacht die Rakete durch eine Abschuss­rampe im Labor­garten. Sie stieg kerzenger­ade in den Him­mel, kippte lei­der wegen eines Mate­ri­alfehlers bei Abspren­gung der 2. Stufe um 182 Grad und set­zte bei ihrem Auf­schlag die Kap­pel­brücke in Brand.

Um Schlagzeilen würde man sich in Luzern nicht zu sor­gen brauchen.

So ging die Labor­crew etwas nach­den­klich zu Bett. Hat­te Angelus Sile­sius mit sein­er The­o­rie Recht, musste Gott musste ein Genie wie Dr. Zork sein, sich­er, aber auch ein Ver­sager.

 

Die Woche war wieder nicht gut («WOZ»)

Nach etwa fünf Jahren Laufzeit lang­weilte mich mein grösster Hit, die satirische Mon­ster-Kolumne. Und ich wollte etwas Neues, noch Härteres schreiben, ich Dummkopf.

Hon­o­rar: 200 Franken

Länge: 4000 Zeichen

Erschei­n­ungsweise: wöchentlich

Laufzeit: sechs Monate

The­ma: Eine fik­tive Zeitungsredak­tion («Die Woche»), die jew­eils ein Ereig­nis der let­zten Tage ver­ar­beit­et.

Stil: Eine Kurzgeschichte mit fes­tem Ensem­ble von ca. zehn Pro­tag­o­nis­ten, angelehnt an reale Vor­bilder in der Presse.

Hal­tung: Illu­sion­s­los. Zynisch. Ohne Kom­pro­misse. Keine einzige der Haupt­fig­uren hat­te auch nur einen liebenswerten Zug.

Aufwand: Zehn bis achtzehn Stun­den

Faz­it: Der grösste Flop, den ich je pro­duziert habe. Die Kolumne zu schreiben war ein Alp­traum. Erstens funk­tion­ierte der Fort­set­zungsef­fekt, also die Wieder­erkennbarkeit der Helden, im Wochen­rhyth­mus über­haupt nicht. Zweit­ens war das wöchentliche Aus­denken ein­er Kurzgeschichte mit Pointe eine echte Qual. Drit­tens inspiri­erte das aktuelle Ereig­nis, um das die Sto­ry kon­stru­iert wurde, kaum – im Gegen­teil: Die Aktu­al­ität frass unglaublich viel Zeilen und Energie. Viertens waren die Helden überzeu­gend wider­lich. Meist arbeit­ete ich eine Nacht und einen hal­ben Tag für die Kolumne durch. Erfol­gre­ich war sie nie. Und richtig gut auch nicht.

Beispiel:

Rosé, Rosa, Rot

Frank begleit­ete die Wirtschaft­sredak­torin Iri­na Kor­pcek im Speisewa­gen zur Roche-Pressekon­ferenz. Sie war hager, nervös, tablet­ten­süchtig und für die Fak­ten zuständig. Frank dage­gen sollte einen Kas­ten über die Atmo­sphäre schreiben.

Es war eine hek­tis­che Fahrt, schon wegen des Rosés. Iri­na bestellte dreimal einen Vier­tel. Frank beschloss, etwas gegen den zunehmenden Nebel zu tun, und bestellte eine Bratwurst mit Ketchup. Iri­na hielt in ihrem tschechis­chen Akzent eine Rede, dass so etwas unge­sund sei. Dabei kippte sie sein Glas um. Frank wis­chte sich die Hose ab und beschmierte seinen Ell­bo­gen mit Ketchup.

«Hässlich, Frank», sagte Iri­na, «hässlich, du hast Ärmel voll Blut. Und von das ganze Nitrat in diesem Wurst bekommst du Knochen­schwund …»

Frank antwortete, dass der Ver­lust von Rück­grat im Jour­nal­is­mus kein Kar­ri­ere­hin­der­nis sei.

«Blödsinn. Scheisse reden iss auch nicht gut für Kar­riere», sagte Iri­na und schenk­te Frank ein neues Glas ein. «Wägen Leuten wie uns, die immer arbeit­en, machen Roche und andere so ein Geschäft. Wir brauchen zum Aus­gle­ich Vit­a­mine.»

Sie schüt­telte neck­isch ein Mul­ti­vi­t­a­m­in­röhrchen. Frank ver­suchte sich auf die Unter­la­gen zu konzen­tri­eren, während Iri­na weit­er über Gesund­heit redete. Eigentlich lag der Fall klar. Roche hat­te zusam­men mit BASF, Rhône-Poulenc und den Japan­ern eine Preis­ab­sprache über Vit­a­mine getrof­fen, und alle hat­ten jahre­lang abkassiert. Jet­zt fol­gte eine 750-Mil­lio­nen-Franken-Busse und das für ein paar Tage das An-den-Pranger-Stellen der Betrof­fe­nen.

«Junger Mann, junger Mann, man kann nie genug Vit­a­min haben», sagte Iri­na. Frank dachte, dass sie Recht hat­te. Er nahm das Röhrchen, öffnete es und kippte den Inhalt in den Mund.

«Nicht, Idiot!», schrie Iri­na, als Frank mit dem Rosé nach­spülte. «Idiot!», brüllte sie, «das seien Aufheller!» — «Aufheller?» — «Aufheller! Sofort Magen aus­pumpen! Du Arschloch!», schrie sie und fing an zu weinen.

Sie hörte auch im Taxi nicht auf zu kla­gen, Frank wusste nicht, ob seinetwe­gen oder wegen des Ver­lusts ihrer in Roche-Röhrchen ver­steck­ten Anti­de­pres­si­va. Er warf seine rosa Zigarette aus dem Fen­ster, legte ihr den salat­grü­nen Arm um die Schul­tern und brummte beruhi­gend: «Alles wird rosa.»

Die Roche-Pressekon­ferenz war ein voller Erfolg. Fritz Ger­ber, der 70-jährige Präsi­dent, hat­te qui­etschgelbe, buschige Augen­brauen, eine Designer­brille, eine beruhi­gend blaue Gesichts­farbe und einen Mund, als wäre er für den Wel­treko­rd im Kiefer­krampf bezahlt wor­den.

Frank fühlte, dass er erleuchtet war, und stand auf. «Ich bin Reporter von der ‘Woche’», sagte er, «Sie predi­gen Mark­twirtschaft und prak­tizieren Sozial­is­mus, oder?»

Bevor Ger­ber antworten kon­nte, stand auch Iri­na Kor­pcek auf: «Ich bin 68 vor Sozial­is­mus geflo­hen! Mit nichts als ein­er Kof­fer!», schrie sie.

«Rot­er Mörder», brüllte Frank gut gelaunt.

«Mit ein­er Kof­fer mit nix!», ergänzte Iri­na.

«Sie stehlen Kindern Vit­a­mine!», schrie Frank.

«Wie Lenin. Dieb! Mörder!», echote seine Chefin.

Es ging Frank erstaunlich gut, obwohl er sich ger­ade auf die Füsse des Sicher­heits­man­nes erbrach. Dieses Gefühl blieb, bis er die Abend­nachricht­en gese­hen hat­te.

 

Der poli­tis­che Schun­dro­man («Welt­woche»)

Die «Welt­woche» hat­te mir ein Ange­bot gemacht, das ich nicht ablehnen kon­nte. Das Hon­o­rar für die Kolumne über­stieg den Lohn für meinen 100-Prozent-Job bei der «WOZ». Ich hat­te ein schlecht­es Gewis­sen (immer­hin schrieb ich für die direk­te Konkur­renz) und war verkrampft. Also kopierte ich das Konzept der Mon­ster-Kolumne, die ich nach dem obi­gen Flop wieder schrieb. Jeden Mon­tag­mor­gen von sechs bis zehn Uhr machte ich mich an die Arbeit.

Hon­o­rar: 800 Franken

Länge: 4000 Zeichen

Erschei­n­ungsweise: Wöchentlich

Laufzeit: Sechs Monate

The­ma: Ein Promi­nen­ter aus Poli­tik, Wirtschaft oder Medi­en wird in eine fik­tive Schun­dro­manumge­bung hineinge­zo­gen.

Stil: Alle Sorten von Bil­li­gro­ma­nen

Hal­tung: Dummköpfe bekom­men die Welt, die sie ver­di­enen.

Aufwand: Drei bis vier Stun­den

Das Faz­it: Ein totaler Flop, nur finanziell nicht. Die Kolumne blieb extrem blass – der neben mir kolum­nierende Chefide­ologe der SVP, Christoph Mörgeli, schlug mich punc­to Schärfe, Präzi­sion, Lei­den­schaft und Stil ver­nich­t­end. Er hat­te gut Lachen. Jeden­falls bis er, wie man mir erzählte, eines Tages erfuhr, dass er 300 Franken weniger pro Woche bekam als ich. Wie im Bank­ing gibt es auch im Jour­nal­is­mus keinen Zusam­men­hang von Gehalt und Ver­di­enst. Mörgeli ver­langte danach Gehalt­ser­höhung.

Beispiel: (lieber nicht!)

 

Das Wort zum Don­ner­stag («Welt­woche»)

Zu mein­er Verblüf­fung gab mit die «Welt­woche» eine zweite Chance.

Hon­o­rar: 800 Franken

Länge: 2200 Zeichen

Erschei­n­ungsweise: wöchentlich

Laufzeit: achtzehn Monate

The­ma: Ein Jesuit­en-Pater berät Promi­nente aus Poli­tik, Wirtschaft und Medi­en.

Stil: Ein extrem dichter Mem­o­ran­dumsstil, sehr konzen­tri­ert, sehr struk­turi­ert nach den Punk­ten: Adres­sat, die Lage, das Prob­lem, der Rat und schliesslich ein PS mit klas­sis­chem Zitat.

Hal­tung: Nach dem Flop mit der punk-linken Mon­ster-Kopie ver­suchte ich das totale Gegen­teil. Ich suchte meine kon­ser­v­a­tivst mögliche Per­spek­tive und Stimme. Und wählte das Gegen­teil des flap­si­gen Stils: ohne Schnörkel, ohne Scho­nung, aber auch ohne Bösar­tigkeit, glasklar, so wie der Rat eines Mannes aus­fällt, der ein­er Organ­i­sa­tion ange­hört, die Jahrhun­derten Erfahrung mit den Machthabern der Welt hat.

Aufwand: vier bis sechs Stun­den

Faz­it: Der Blick des Paters, die knap­pen Sätze, das Mem­o­ran­dum­for­mat und das Vor­spiegeln von Erfahrung machte wirk­lich Spass.

 Beispiel:

Das Wort zum Don­ner­stag
Heucheln heute

Memo von: Pater Maun­zinger

An: Christoph Blocher, Bun­desrat

Ihr Prob­lem: Die Kirche kri­tisierte die Ver­schär­fun­gen des Asyl­rechts; Sie war­fen der Kirche Heuchelei vor.

Die Lage: Sie haben in Ihrer Kar­riere der Presse, der bürg­er­lichen Konkur­renz, dem Bun­desrat, also ziem­lich allen, Heuchelei vorge­wor­fen. Und sich oft mit Stolz dazu geäussert, dass Sie nicht zu den Son­ntagspredi­gern und Gut­men­schen gehörten. Son­dern sagten, was Sache ist.

Ihren Heuchelei-Vor­wurf gegen die Kirche begrün­de­ten Sie damit, dass diese «redet, ohne Ver­ant­wor­tung zu übernehmen». Das ist lei­der dop­pel­ter Unfug. Stimmt Ihr Satz, dürfte nie­mand reden: auss­er Behör­den und Bossen. Und zweit­ens ist die Kirche eine der weni­gen Organ­i­sa­tio­nen, die sich mit Wort, Tat und Geld um Flüchtlinge küm­mern.

Ihr Abscheu gegen Heuchelei ist eine alte Fig­ur in der poli­tis­chen Rhetorik, die Han­nah Arendt bere­its für die dreis­siger Jahre beschrieb: als Bünd­nis von Mob und Elite. Einig darin, dass Mass- und Her­zlosigkeit­en «ohne Heuchelei» aus­ge­sprochen wer­den soll­ten, ver­bün­de­ten sich gelang­weilte Intellek­tuelle und Mit­glieder der Ober­schicht mit den rabi­at­en Emporkömm­lin­gen in Poli­tik und Halb­welt: zur Attacke gegen die «ver­lo­gene» bürg­er­liche Mit­telschicht.

Let­ztere geschäftete zwar keineswegs so moralisch wie ihre Son­ntagside­ale. Aber sie musste sich zumin­d­est nach dem Mot­to «Heuchelei ist die Ver­beu­gung der Tugend vor dem Laster» recht­fer­ti­gen. Hier liess sich leicht spot­ten. Doch das bürg­er­lich-moralis­che Winden hat­te zwar keine Ele­ganz, aber seinen Sinn: Dass bru­tale Offen­heit keineswegs eine mildere Form von Bru­tal­ität ist, zeigte sich später.

Mein Faz­it: Ehrlichkeit und Klarheit sind eher Tricks als Tugen­den. In der Tat ist es nach dem neuen Asylge­setz kaum mehr möglich, als Flüchtling legal einzureisen. Dafür kann man Men­schen ohne Delikt bis zu zwei Jahre inhaftieren. Und dies mit Hil­fe von Lib­eralen und Christ­demokrat­en. Also von Bürg­er­lichen, die längst nicht mehr Ide­ale heucheln, son­dern Härte. Dage­gen sind geheuchelte Güte oder Lib­er­al­ität fast erfrischend.

PS, für Sie als Nichtheuch­ler: «Überzeu­gun­gen sind gefährlichere Feinde der Wahrheit als Lügen» (Niet­zsche).

 

Dead­line (Blog, «Tages-Anzeiger»)

Hon­o­rar: 1800 Franken monatlich

Länge: 3000–15’000 Zeichen

Erschei­n­ungsweise: im Schnitt vier Mal pro Monat

The­ma: Sämtliche Momente im Beruf­sleben – beim Schreiben wie in der Branche selb­st – bei denen ich ein Prob­lem hat­te oder habe.

Stil: So prak­tisch, so direkt wie möglich. Ohne Schwurbel, aber mit ein paar Exkursen, weil ich mich auch amüsieren will. Das zen­trale ästhetis­che Prob­lem dieses Pro­jek­ts ist – wie in der «Werbewoche»-Kolumne zehn Jahre zuvor – die Legit­i­ma­tions­frage. Wie komme ich dazu, mit Rat um mich zu wer­fen? Beim Pro­to­typ ver­suchte ich, das Prob­lem durch eine But­ler-Ver­beu­gung am Anfang und Ende des Textes zu lösen. Dies­mal entsch­ied ich mich dage­gen: Zu graume­lierten Haaren passt das nicht mehr. Den Vor­wurf, nicht legit­imiert zu sein, ver­suche ich durch eine diszi­plin­ierte Kaltschnäuzigkeit im Stil zu kon­tern.

Hal­tung: Zur Sache, Schätzchen. Aber zuweilen ein paar anek­do­tis­che Erhol­ungss­paziergänge. (In diesem Post wurde über­trieben.)

Aufwand: Ein bis drei Nächte, Ten­denz steigend. Da die Dinge, bei denen ich mir tod­sich­er bin, langsam zur Neige gehen. Und zunehmend The­men kom­men, bei denen ich mir halb­sich­er bin. Und ich deshalb vor dem Schreiben recher­chieren und nach­denken muss.

Faz­it: Der Blog frisst etwas zu viel Schlaf. Dafür gilt man plöt­zlich als Experte.

 

Der Test

Kurz: Aufwand und per­sön­lich­er, ästhetis­ch­er, finanzieller Ertrag ein­er Kolumne kön­nen enorm vari­ieren. Das Zen­trale beim Schreiben ein­er Kolumne ist, ob Ihnen die The­men schnell zufliegen oder nicht. Und danach: Ob Sie sich mit der Hal­tung, in der Sie die Kolumne schreiben, wohlfühlen oder nicht.

Deshalb lohnt es sich, vor dem Start Ihrer Kolum­nenserie einen dop­pel­stöck­i­gen Test zu machen:

  1. Set­zen Sie sich eine halbe Stunde hin und schreiben Sie mögliche The­men für Ihre Kolumne auf einen Fresszettel. Kom­men Sie spie­lend auf mehr als zehn Fol­gen mit dem Gefühl, lock­er auf weit­ere zwanzig zu kom­men, geben Sie sich grünes Licht. Bei weniger als zehn, mit dem Gefühl, schon jet­zt an Ideen­man­gel zu lei­den, stop­pen Sie das Pro­jekt. Sie wollen nicht jede Woche rat­los dasitzen.
  2. Schreiben Sie in ein­er vernün­fti­gen Frist, also in zwei, drei Stun­den eine Probekolumne. Fühlen Sie sich in Ton und Hal­tung wohl? Macht es Spass? Fällt Ihnen etwas ein, was Sie selb­st über­rascht? Dann leg­en Sie los. Wenn Sie aber bei jedem zweit­en Satz harzen, ändern oder begraben Sie das Pro­jekt.

Denn son­st lei­den Sie. Monat für Monat. Oder Woche für Woche.

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Dieser Beitag wurde automa­tisch per RSS auf unsere Web­seite gestellt. Der Orig­inal­text ist über den Tage­sanzeiger, dem Blog von Con­stan­tin Seibt — http://blog.tagesanzeiger.ch/deadline — zu find­en.