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Der Nachfolger von Herbie Hancock

Von Anto­nio Suárez Varela und Luca D’Alessandro — Gon­za­lo Rubal­ca­ba stammt aus Kuba, der Heimat des Bolero und Son Mon­tuno. Wer noch nie eine sein­er CDs gehört hat, wird ihn instink­tiv einem Rubén Gon­za­les oder Chu­cho Valdés zuord­nen. Und je nach CD, die man von ihm zum ersten Mal hört, liegt man mit dieser Annahme richtig oder völ­lig daneben. Denn Rubal­ca­ba ist kein Pianist, der sich mit einem Genre beg­nügt. Dafür ist er zu leb­haft. Raf­finiert schlän­gelt er sich durch die Stile, von Funk über Rock bis Jazz, von Sam­ba über Sal­sa bis Son – er beherrscht sie und demon­stri­ert es auf der Bühne mit ein­er ausseror­dentlichen Tech­nik.

Stan­dard-Jazz-Lieb­haber bekun­den ihre Mühe zu Rubal­cabas Musik. Zu abge­hoben sind die Stücke, beson­ders jene auf seinem let­zten Album «Solo». Ein der­ar­tiges Album zu machen braucht viel Mut und vor allem die Zuver­sicht, einen Abnehmer für die abstrak­te Botschaft zu haben, und das in ein­er Zeit, in der die Musik­branche fast auss­chliesslich auf Main­stream set­zt. Ver­mut­lich ist ger­ade diese Courage der Grund, weshalb das Urgestein des Jaz­zpi­anos, Her­bie Han­cock, grosse Achtung vor Rubal­ca­ba hat. Han­cock wurde einst gefragt, wer eigentlich in Frage käme, die Nach­folge der drei grossen Pianis­ten Chick Corea, Kei­th Jar­rett und Her­bie Han­cock anzutreten. Während sich Experten darüber stre­it­en, kommt Han­cocks Antwort wie aus der Kanone geschossen: «Rubal­ca­ba. Als Jaz­zpi­anist hat er die Tür zum ein­undzwanzig­sten Jahrhun­dert geöffnet.»

Als Sohn des Pianis­ten Guiller­mo Rubal­ca­ba und Enkel des Kom­pon­is­ten Jacobao Gon­za­les Rubal­ca­ba begin­nt Gon­za­lo schon früh damit, Instru­mente auszupro­bieren. Zunächst spielt er mit Perkus­sions- und Schla­gin­stru­menten, später kommt er in den Genuss ein­er klas­sis­chen Musikaus­bil­dung, studiert fast gle­ichzeit­ig Perkus­sion, Klavier und Kom­po­si­tion — ein Studi­um, das er 1983 am Havana Insti­tute of Fine Arts abschliesst.

Diese abwech­slungsre­iche Gestal­tung des Stu­di­en­plans erweist sich am Ende als Vorteil für Gon­za­lo. Sie bringt ihn auf einen Weg voller Verästelun­gen und Kur­ven, die er für sich selb­st zuerst zurecht­biegen muss, bevor er richtig losle­gen kann. Eine Her­aus­forderung für den jun­gen Pianis­ten, der instink­tiv den Spa­gat zwis­chen den ver­schiede­nen Aus­prä­gun­gen zeit­genös­sis­ch­er Musik schafft und alles in ein­er Vision zusam­men­schnürt, die in der Anfangsphase zwar noch den gängi­gen Mod­en entspricht, zunehmend aber der Abstrak­tion weicht. Er find­et den Kon­sens und achtet darauf, dass kein Stil zu Gun­sten eines anderen in den Hin­ter­grund rück­en muss. Seine Reisen durch Lateinameri­ka, dem Sub­kon­ti­nent der Extreme, und die Zusam­me­nar­beit mit dem kolumbian­is­chen Sal­saorch­ester «Orques­ta Aragón» haben dieses Gespür gefes­tigt. Die Erfahrun­gen von damals scheinen sich alle in seinem 2006 erschiene­nen Album «Super­no­va» niederzuschla­gen: Impro­visierend schlen­zt Rubal­ca­ba durch die Karibik und Südameri­ka und drückt dem Danzón, dem Bolero, dem Son, dem Chachacha und dem Rum­ba seinen ganz per­sön­lichen Stem­pel auf.

Im Laufe sein­er Kar­riere kommt er mit Dizzy Gille­spie in Kon­takt, der ihn am Ende indi­rekt dazu bewegt, die Karibikin­sel zu ver­lassen und nach Flori­da zu ziehen, wo Rubal­ca­ba heute noch mit sein­er Frau und seinen drei Kindern lebt. Wirk­lich sesshaft ist Gon­za­lo aber nie gewor­den. Berufs­be­d­ingt kommt er viel herum, er tourt durch die Welt, meist an der Spitze eines Trios. Am Jaz­zfes­ti­val Bern jedoch führt er ein Quin­tett an mit exzel­len­ten Musik­ern, die alle auf sein­er Wellen­länge reit­en und so manche Exper­i­mente mit­tra­gen. Ein­er davon ist der junge kuban­is­che Sax­o­fon­ist Yos­vany Ter­ry, der sich auf Chu­cho Valdés, Sil­vio Rogríguez und Fito Páez berufen kann.

In Bern ste­hen also schon bald fünf Her­ren auf der Bühne, die jene Verästelun­gen wider­spiegeln, die Rubal­ca­ba in der Ver­gan­gen­heit zu bün­deln ver­mochte. Den Beweis, dass er das noch ein­mal kann, wird er am Jaz­zfes­ti­val erbrin­gen.

Nachgefragt

Gon­za­lo Rubal­cabas Zeit ist knapp bemessen. Trotz­dem hat er ensuite — kul­tur­magazin ein paar Minuten gewid­met. Ein Kurzge­spräch über kuban­is­che Folk­lore und Jour­nal­is­ten, die ihn nur als Jaz­zpi­anis­ten sehen.

ensuite — kul­tur­magazin: Gon­za­lo Rubal­ca­ba, in Ihrer Jaz­zkar­riere haben Sie so einiges aus­pro­biert. Entsprechend schwierig ist es, Sie musikalisch einzuord­nen. Ver­mut­lich aus Grün­den der Ein­fach­heit wer­den Sie von den Jour­nal­is­ten «lediglich» als Jaz­zpi­anist beze­ich­net. Als was sehen Sie sich?

Gon­za­lo Rubal­ca­ba: Ich habe mich stets an der kuban­is­chen Folk­lore, jen­er der Karibik und der Südamerikas ori­en­tiert. Gle­ichzeit­ig habe ich den Blick nach Nor­den und West­en gewagt und mich mit europäis­chen und nor­damerikanis­chen Gen­res befasst, ins­beson­dere mit dem Jazz. Das hat die Aufmerk­samkeit der Jazzzeitschriften erweckt, die in der Folge meine Botschaft in die ganze Welt getra­gen haben. Insofern werde ich heute fast auss­chliesslich mit dem Jazz in Verbindung gebracht. Das ist nicht unbe­d­ingt falsch, weil ich die Tra­di­tion, die Sprache und die Ästhetik des Jazz lebe. Trotz­dem habe ich mir zum Ziel geset­zt, stets neue Fra­gen über meinen Stil aufzuw­er­fen. Wenn die Leute über meine Musik spekulieren, bin ich sehr glück­lich.

Gibt es etwas, das Sie noch nicht erlebt oder aus­pro­biert haben?

Ich zwinge mich stets, neue Türen und Fen­ster zu öff­nen, um sie dann wieder zu schliessen. Ich bege­he Pfade, die meine Phan­tasie anre­gen. Dadurch «riskiere» ich aber, mich zu verän­dern und neue Dinge zu ent­deck­en.

Es scheint, als hät­ten Sie in den let­zten Jahren den Weg zurück­ge­fun­den zu Ihren kuban­is­chen Wurzeln. Weshalb diese Ori­en­tierung?

Ich kann nicht behaupten, ich hätte den Weg zurück­ge­fun­den, zumal ich meine aktuellen Arrange­ments nicht als Rück­kehr empfinde. Kubaner nehmen meine Musik grund­sät­zlich als die ihrige wahr. Klar, manch­mal ist der kuban­is­che Ein­fluss so stark, dass es ein­fach ist, die Stereo­typen darin zu erken­nen. In anderen Arrange­ments wiederum ist der Link zu Kuba nicht evi­dent. Hörerin­nen und Hör­er bekom­men dann oft das Gefühl, ich hätte mich von meinen Wurzeln ent­fer­nt. Das stimmt nicht, da der Bezug zu Kuba auch im Detail liegen kann. Meine Heimat wird immer ein Teil von mir bleiben.

Schon bald wer­den Sie Ihr Kuba nach Bern brin­gen. Am Jaz­zfes­ti­val sind zehn Konz­erte vorge­se­hen.

Und darauf freue ich mich. Ich habe gute Erin­nerun­gen an die Schweiz und an das wiss­be­gierige und zugle­ich sehr kri­tis­che Pub­likum. Ver­mut­lich werde ich ein paar Neuheit­en ins Pro­gramm streuen, die ich in mein näch­stes Album aufnehmen möchte. Es gibt also viel Neues zu ent­deck­en.

Info: http://www.g‑rubalcaba.com/

Foto zVg.
ensuite, Mai 2009

Artikel online veröffentlicht: 11. August 2018