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Der Pfeifenraucher

Von Michael Zwick­er — Nein, das ist keine Pfeife, genau­so wenig wie da ein Pfeifen­rauch­er ist. Es ist ein Bild ein­er Pfeife; ein Bild, oder bess­er noch, mein Bild des Pfeifen­rauch­ers. Mein Pfeifen­rauch­er wird diese Pfeife niemals anzün­den, und niemals wird Rauch durch ihren Kör­p­er strö­men. Sollte es in der Brennkam­mer trotz­dem glim­men, so pass mir lieber auf, denn dann wird in Kürze die Pfeife bren­nen, das Feuer wird auf den Pfeifen­rauch­er über­greifen, und schlussendlich wird das Kul­tur­magazin in Flam­men aufge­hen.

Vor weni­gen Stun­den fol­gte ich ein­er Strasse. Vor mir ging ein Pfeifen­rauch­er. In kurzen Abstän­den entwichen sein­er Mund­höh­le Rauch­wolken. Wie eine mit Dampf betriebene Loko­mo­tive bewegte er sich mit beina­he unmerk­lichen Stoss­be­we­gun­gen gemäch­lich vor­wärts. Er legte eine Spur. Ihr Duft entzück­te meine Nase und ver­drängte meine Gedanken. Ich schnüf­felte wie ein Süchtiger und war nicht gewil­lt, die Fährte grund­los aufzugeben. Der Pfeifen­rauch­er bog rechts ab. Ich fol­gte ihm, obwohl ich eigentlich nicht in diese Rich­tung gehen wollte. Plöt­zlich brem­ste er langsam ab und kam neben einem Bücher­an­ti­quar­i­at zum Still­stand. Er dampfte weit­er. Vor dem Anti­quar­i­at stand ein Herr, ein weit­er­er Pfeifen­rauch­er. Der Herr, hielt einen Radier­gum­mi in der Hand, mit dem er Bleis­tift-Gekritzel aus einem mit der anderen Hand umfassten und leicht vergilbten Buch radierte: Auf sein­er Nasen­spitze sass eine Lese­brille, und in seinem Mund­winkel hing eine Pfeife. Die Pfeife hat­te sich, wie mir schien, über die Jahre hin­weg in seine Zähne eingeschlif­f­en. Die bei­den Pfeifen­rauch­er gaben sich die Hand und ich musste, um nicht aufz­u­fall­en, noch einen let­zten Blick auf die bei­den wer­fend, an ihnen vor­beiziehen. Ich hörte, wie sie hin­ter meinem Rück­en Luft durch ihre Dampf­druckpfeifen jagten. Meine Nase schnüf­felte weit­er. Sie beruhigte sich erst als sie, aus ihr unbekan­nten Grün­den, nichts Süsslich­es mehr wahrnahm. Ich ging weit­er. Nach eini­gen unbe­deu­ten­den Pas­sagen erre­ichte ich die Bahn­hof­shalle. Chaos. Die Pas­san­ten strebten ger­adlin­ig, sofern ihnen nie­mand in die Quere kam, auf ihre Ziele zu. Chaos. Ich strebte ger­adlin­ig, ging aber auf ein­er kaum durch eine Funk­tion aus­drück­baren Funk­tion­slin­ie. Ich zog den Fuss zurück als ein Rol­lkof­fer ihn bedro­hte. Ich legte die Arme an den Kör­p­er und drehte den Oberkör­p­er ab, als ich in ein Sand­wich zu ger­at­en dro­hte. Ich duck­te mich als ein Vogel knapp über meinen Kopf hin­weg flog. Auf der anderen Seite angekom­men, inner­lich zerzaust, blick­te ich auf das Lan­desmu­se­um. Pfeifen­rauch­er sind beina­he so sel­ten wie Dampfloko­mo­tiv­en, dachte ich. Sie kom­men aus ein­er anderen Zeit. Sie sind Detek­tive, ich dachte an Sher­lock Holmes, Schrift­steller, ich dachte an Max Frisch, Philosophen, ich dachte an Jaques Der­ri­da, und Kün­stler, ich dachte an Paul Klee. Sie sind diejeni­gen, nach denen ich mich sehne. Ich drehte mich um, kämpfte mich nochmals durch die Bahn­hof­shalle, betrat das Tabak­warengeschäft an der Bahn­hof­sstrasse und kaufte mir Tabak und Pfeife. Als ich zu Hause ankam, stopfte ich die Pfeife und zün­dete sie an. Sie schmeck­te mir nicht. Nach weni­gen Zügen erlosch die Glut. Ich legte die Pfeife weg.

Foto: zVg.
ensuite, Jan­u­ar 2013

 

Artikel online veröffentlicht: 12. Juli 2019