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Der Schnitt

Von Mor­gane A. Ghi­lar­di – Edit­ing in der Entste­hung des Films: Wenn man ein Kino ver­lässt, hört man sel­ten, wie sich jemand über den Schnitt beklagt. Aller­höch­stens wird nach einem Thriller oder Action­film lamen­tiert, dass die Filme immer schneller geschnit­ten wer­den, sodass das Auge fast nicht mehr mitkommt. Oft bleibt der Schnitt jedoch unbe­merkt vom Zuschauer, als sei er unsicht­bar, auch wenn er die filmis­che Qual­ität stark bee­in­flusst.

Filmhis­torisch gese­hen gibt es einiges über den Schnitt zu sagen. In den Entste­hungs­jahren des Films, also kurz vor der Jahrhun­der­twende, gab es näm­lich so gut wie keinen Schnitt. Man stellte eine Kam­era hin und set­zte davor die Akteure in Bewe­gung. Alles war sta­tisch. Als die Idee pop­ulär wurde, dass man den Film auseinan­der schnei­den und neu zusam­menset­zten kann, verän­derte sich einiges. Man begann, anders zu denken, denn plöt­zlich wurde es zum Beispiel möglich, das Ver­hält­nis von Zeit und Ort in ein­er Sto­ry mit der Par­al­lel­montage klar­er darzustellen. Dementsprechend wurde auch die Kam­era anders gehand­habt, denn man kon­nte dank des Schnitts auch mehr Fokus auf Details wie Gesichter set­zten und später die Bilder mit anderen in einen Zusam­men­hang set­zen. Zu den Beispiel­w­erken dieser filmisch rev­o­lu­tionären Zeit gehören Eisen­steins «Bro­nenossez Potjomkin» oder D.W. Grif­fiths «The Birth of a Nation».

Die ästhetis­che Qual­ität des Films verän­derte sich sehr stark, wom­it auch viele The­o­rien zum Ein­satz und der Wirkung der Film­mon­tage ent­standen. Schnitt ist rel­e­vant für das Ver­ständ­nis der Zuschauers, für die Entste­hung von Span­nung, für den Rhyth­mus des Films und vieles mehr. Eine konkrete Auseinan­der­set­zung mit dem Meth­ode war also nötig.

Filme machen wurde kom­pliziert­er. Sobald ein­mal alle Bilder im Kas­ten waren, begann der aufwändi­ge Prozess des Schnei­dens, auch Edit­ing genan­nt. Die Anord­nung des gefilmten Mate­ri­als kann verän­dert wer­den; gewisse Teile wer­den möglicher­weise ganz ent­fer­nt. Zwei Film­stücke kön­nen überklebt wer­den, sodass der Über­gang ein­er filmis­chen Sequenz zur anderen eine Überblendung zweier Bilder ist. Der Cut­ter oder Schnitt­tech­niker hat hier ver­schieden­ste Möglichkeit­en. Früher musste man die Film­rollen noch müh­sam zer­schnei­den und mit Kleb­band wieder zusam­men­fü­gen; heute arbeit­et man mit dem Com­put­er, das heisst man schnei­det per Mausklick die dig­i­tale Kopie des Films.

Mit all diesen Möglichkeit­en wer­den auch Fra­gen bezüglich der Ver­ant­wor­tung aufge­wor­fen. Hat nicht der Cut­ter die endgültige Macht über den Film? Wer darf als Cut­ter agieren? Oder anders, wer sagt dem Cut­ter, was er zu tun hat? Heute gehen wir schnell davon aus, dass der Regis­seur, der die Macht über die Schaus­piel­er und die Kam­era hat, auch hier die Fäden in der Hand hält. Mit der Dig­i­tal­isierung ist es auch möglich, dass der Regis­seur nach einem Tag Dreh gle­ich die Szene oder zumin­d­est den Prozess bess­er überwachen kann. Im alten Hol­ly­wood hat­te der Regis­seur sehr wenig Autorität über die Entwick­lung des Films. Das Stu­dio bes­timmte einen Cut­ter, der Pro­duzent äusserte seine Bedürfnisse, und dann wur­den die Auf­nah­men dem Regis­seur aus den Hän­den geris­sen. Alfred Hitch­cock ver­suchte den schnei­d­freudi­gen Stu­dios einen Strich durch die Rech­nung zu machen, indem er ihnen so wenig Film­ma­te­r­i­al wie möglich zur Ver­fü­gung stellte.

So genan­nte Director’s Cuts sind auch inter­es­sant, also Filme, die nach­dem sie für das Kino von frem­den Hän­den geschnit­ten wur­den, später nochmals vom Regis­seur selb­st geschnit­ten wer­den. «Blade Run­ner» ist ein berühmtes Beispiel, denn wenn man die ursprüngliche Kino­fas­sung mit Rid­ley Scotts Director’s Cut ver­gle­icht, sieht man, dass sich seine kün­st­lerische Vorstel­lung klar von der­jeni­gen der Pro­duzen­ten unter­schei­det.

Bei wie vie­len Fil­men ist also der Schnitt für die Gesamtqual­ität des Filmes ver­ant­wortlich? Ein gutes Beispiel aus jün­ger­er Zeit ist «The Love­ly Bones». Meis­ter­regis­seur Peter Jack­son hat damit ein nicht sehr zufrieden­stel­len­des Werk abgeliefert. Über die The­matik hin­wegse­hend, ist der Film geprägt von ein­er stilis­tis­chen Inkon­sis­tenz, die man auf den Schnitt zurück­führen kann. Wer trägt die Ver­ant­wor­tung? Jack­son selb­st, die Drehbuchau­toren, die Pro­duzen­ten, der Edi­tor selb­st – alle kön­nten bei der Entste­hung des Films reingep­fuscht haben.

Es kann also inter­es­sant sein, sich nach einem Film bewusst Gedanken über den Schnitt zu machen, und ihn nicht nur als unsicht­bare Gegeben­heit zu akzep­tieren, son­dern als Teil des Grundgerüsts des Filmemachens.

 


Christof Scherten­leib
Geboren 1958. Schulen in Meikirch und Bern. Vier Semes­ter Ger­man­is­tik, Psy­cholo­gie und Jour­nal­is­tik an der Uni­ver­sität Bern. 1981 bis 1988 Fil­makademie in Wien. Spezial­isierung in den Fäch­ern Regie und Schnitt. Jour­nal­is­tis­che Tätigkeit für ver­schiedene Zeitun­gen in der Schweiz und in Öster­re­ich. Mitar­beit als Filmtech­niker bei diversen Fil­men. Als Cut­ter unter anderem bei Fil­men von Ulrich Sei­dl und Michael Glawog­ger. Seit 1990 freis­chaf­fend­er Regis­seur, Cut­ter und Autor.

Foto: zVg.
ensuite, April 2010

Artikel online veröffentlicht: 25. Oktober 2018