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Der Sri Lanker, der Ski lenkte

Von Luca Zac­chei — Diese Erzäh­lung begin­nt wie ein Witz: «Ein Türke, ein Ital­iener und ein Tamile gehen zum ersten Mal zusam­men Ski­fahren…» Die Geschichte ereignete sich vor zir­ka zwanzig Jahren in der Lenk-Region. Der Ital­iener war ich. Es war mein erstes Ski­lager über­haupt. Bis zur 7. Klasse hat­te ich ital­ienis­che Schulen in Bern und in Ital­ien besucht, und Ski­er waren mir fremd. Ich kan­nte sie nur aus dem Fernse­hen, als sich Tom­ba la bom­ba mit Paul Acco­la duel­lierte. Unser Klassen­lehrer hat­te die Grup­pen nach Geschick­lichkeit unterteilt. Mesut, Kanaan und meine Wenigkeit waren die bluti­gen Anfänger. Ich erin­nere mich noch gut daran, wie der mutige Schüler aus Sri Lan­ka die erste Tal­fahrt antrat, noch bevor der Lehrer uns den Stemm­bo­gen zum Brem­sen erk­lärt hat­te. Lustig, wie wir Kanaan aus dem Tief­schnee gefis­cht haben. Schön gepud­ert war er. Er liess sich aber nicht ein­schüchtern, und am Ende der Woche kon­nte er die schwarze Piste wie ein Welt­meis­ter herun­ter­bret­tern: Der Sri Lanker in der Lenk wurde somit zum Sri Lenker. Das Schul­lager war bis ins kle­in­ste Detail organ­isiert. Alles klappte per­fekt. Fest­gelegte Ter­mine wur­den minuten­ge­nau einge­hal­ten, und am Schluss schrubbten die Putze­quipen der Schüler das Chalet pic­co bel­lo. Nur das Essen liess jew­eils zu wün­schen übrig. Aber ich war kuli­nar­isch von zuhause aus ver­wöh­nt, und Piz­za mit Blät­terteig kan­nte ich bis zu diesem Zeit­punkt noch nicht.

Zwis­chen den schweiz­erischen und ital­ienis­chen Schulen gab es dur­chaus noch weit­ere Unter­schiede. In der Schweiz waren Com­put­er vorhan­den. Und die ganze Zeit strömte die Elek­triz­ität, damit diese auch funk­tion­ierten. Und es gab Druck­er. Mit Papi­er im entsprechen­den Fach dazu. Und eine mod­erne Turn­halle, welche mit Sport­geräten und Bällen bestückt war. Und die Krei­den (sog­ar far­bige) fehlten im Schulz­im­mer eben­falls nicht. Die Lehrer waren auf ihren Schlacht­feldern, noch bevor die Glocke gebim­melt hat­te. Diese Ord­nung war für einen Schweiz­er Schüler eine Selb­stver­ständlichkeit, für mich hinge­gen nicht.

Die 5. und 6. Klasse besuchte ich in Ital­ien. Es war aben­teuer­lich und hat meinen Hor­i­zont nach­haltig erweit­ert. In der Grund­schule holte uns jew­eils ein ver­beul­ter Bus ab. Er war sel­ten pünk­tlich. Unser Haus war näm­lich am Ende der Strecke, und unter­wegs gab es immer einen schläfrigen Schüler, welch­er sich mor­gens ver­spätet hat­te. Oder es war der grim­mige Bus­fahrer, der es am Mor­gen mit den Abfahrt­szeit­en nicht so genau nahm. Oder der alte Bus streik­te beim Anlassen. So genau weiss ich es nicht mehr. Rechtzeit­ig kamen wir auf alle Fälle sel­ten an. Das wussten wiederum die Lehrer bere­its im Voraus. Deshalb rech­neten sie zur Sicher­heit ein Zeit­pol­ster ein und erschienen min­destens eine Vier­tel­stunde später in der Klasse…

Wir hat­ten damals keine Schulmap­pen, son­dern Ruck­säcke. In der Schweiz wurde ich wegen meines überdi­men­sion­ierten Invic­ta gehänselt. Aber wir mussten Ruck­säcke tra­gen: In Ital­ien wur­den näm­lich die Büch­er von zuhause aus mit­geschleppt und nicht in der Schule deponiert. Das Durch­schnitts­gewicht eines Ruck­sack­es betrug 10 Kilos, je nach Schüler im schlimm­sten Fall somit bis ein Drit­tel des eige­nen Kör­pergewicht­es. Ich fand übri­gens meinen Invic­ta schön­er als diese schweiz­erischen Schulmap­pen, welche mit Kuh­fell bezo­gen waren. Eine tote Kuh so sicht­bar zur Schau zu tra­gen scheint mir noch heute mak­aber.

Für die Znüni-Pause, welche in Ital­ien die Zehni-Pause war, nah­men wir Pani­ni von zuhause mit. Unter den Schülern gab es einen Wet­tbe­werb, wer die leck­er­sten Brötchen hat­te: Pani­no mit Span­fer­kel, mit ungarisch­er Sala­mi oder mit frit­tierten Auberginen waren hoch im Kurs. Wer mit Piz­zaresten vom Vortag kam, war auss­er Konkur­renz. Das schwere Essen blieb einem im Magen steck­en. Aber wir mussten uns stärken, weil die Mit­tagspause erst um 13.30 Uhr begann. Damit wir die Kost bess­er ver­dauen kon­nten, spiel­ten wir während des Sportun­ter­richts meis­tens Fuss­ball. Die Spiel­stätte war aber mehr Ack­er als Fuss­ballfeld: das Unkraut wuchs in die Höhe und wir mussten die Pflanzen aus­dribbeln. So kom­binierten wir Sport- mit Pflanzenkunde.

Obwohl die Ital­iener in der Regel viel und gerne reden, heisst das noch lange nicht, dass sie gut kom­mu­nizieren. Als unser Rek­tor beispiel­sweise im Win­ter die Fen­ster der Schule erset­zen wollte, wur­den die alten zwar wie geplant ent­fer­nt, aber auf­grund eines Missver­ständ­niss­es ver­spätete sich die Liefer­ung der neuen um eine Woche. Während den Lek­tio­nen haben wir wegen der Kälte unsere Män­tel und Win­terkap­pen getra­gen. Da es mit Hand­schuhen schwierig war, einiger­massen leser­lich zu schreiben, erhiel­ten wir schliesslich ein paar Tage frei. Wie heisst es doch so schön: Jedes Unglück hat auch sein Gutes! Nur mit dieser Ein­stel­lung kann man in Ital­ien gut leben. Und dies ist kein Witz, son­dern die ungeschmink­te Real­ität.

Foto: zVg.
ensuite, Jan­u­ar 2013

 

Artikel online veröffentlicht: 14. Juli 2019