Von Guy Huracek - Wenn man sich den Film «Geierwally» anschaut, ist es, als ob man in einen tiefen Abgrund blickt, in den man wie magisch runtergezogen wird. Der krampfhafte Versuch umzuschalten oder den Blick vom Bildschirm zu reissen ist vergebens. Dies ist das, was «Geierwally» so unglaublich faszinierend macht. Noch nie war ein so schlechter Film so gut.
Geier waren bis anhin in den Tiroler Bergen eine grosse Plage, denn sie griffen immer wieder Schafherden an. Deshalb versuchte man die Greifvögel auszurotten. Durch einen erbitterten Kampf mit solch einem Vogel bekam die Bäuerin Anna Knittel ihren Spitznamen Geierwally. Die Bäuerin sorgt mit ihrer emanzipierten Haltung für Aufsehen im Dorf. Als sie sich weigert, eine Zwangsehe einzugehen, wird sie in eine abgelegene Berghütte verbannt. Ihr Herz gehört nicht dem vom Vater erwünschten Erbschleicher Vinzenz, der einen Rasierpinsel am Hut trägt, sondern dem mutigen Jäger Bärenjosef, der seine Perücke auf einem Miniatur-Waschbrett wäscht. Es kommt, wie es kommen muss: Vinzenz versucht sich den Hof von Geierwally unter den Nagel zu reissen. Diese kann ihn nur mit Müh und Not verjagen. Es folgen Missverständnisse, weil Geierwally die heimliche Tochter des Bärenjosefs für seine Geliebte hält. Daraufhin beschliesst sie ihren Angebeteten und Vinzenz umzubringen. Vinzenz hingegen will aus Eifersucht den Bärenjosef umbringen. Dieser wird von Geierwally gerettet und gesteht ihr seine Liebe. Kurze Zeit später gehen die Beiden den Bund der Ehe ein und werden glücklich. Zum Schluss wird das Chaos perfekt: Vor der Kirche reisst Bärenjosef ihr die Kleider vom Leib, um seiner Liebe körperlichen Ausdruck zu verleihen, wodurch ein als Nonne verkleideter Mann ohnmächtig wird. Am Hochzeitstisch, auf dem Garfield-Pappbecher und eine aufblasbare Hochzeitstorte stehen, wird mehr erbrochen als gegessen, und endlich endet der Film. Die letzten zwei Sätze unterstreichen den selbstironischen Inhalt der Parodie: «Weisst Josef, manchmal glaub ich, ich bin in einem schlechten Film.» «Ach, weisst Wally, es gibt schlimmere.»
Der Film ist eine Parodie des Heimatromans «Die Geierwally» von Wilhelmine von Hillern. Eine erste Verfilmung des Romans erfolgte bereits 1921. Zwei weitere solche Heimatfilme, basierend auf der Grundlage dieses Buchs, erschienen später in den 40er- und 50er-Jahren. Die hier beschriebene satirische Verfilmung von Walter Bockmayer erschien 1988. Der deutsche Regisseur wirkte unter anderem beim Kultfilm «Im Himmel ist die Hölle los» mit, einem weiteren Schreckgespenst des vernünftigen Filmemachens .
Es ist hohe Kunst, bewusst einen schlechten Film zu drehen. Schrille Töne, quietschende Stimmen, beängstigende Bekleidung, Gummipuppen und ein Postbote in einem gelben Tutu vergewaltigen unseren bis dahin jungfräulichen Geschmack. Doch das Schlimmste kommt noch: Es ist ein Musical. Walter Bockmayer, der den Wahnsinn verbrochen hat, bringt das schrecklich Schrille in Einklang. Der Film widerlegt das Klischee ästhetischer Bilder und verwischt die Grenzen zwischen gut und schlecht, schön und hässlich.
Wer will denn schon hübsche Schauspieler, die auch noch gut singen können?
Dieser Trash ist nicht einfach nur Abfall. Beim genaueren Durchwühlen findet man allerlei Delikatessen. Sehr sympathisch ist beispielsweise schon der Anfang: Einzelne Schauspieler stellen sich und ihre Rolle vor. Quält man seine Sehnerven ein wiederholtes Mal mit «Geierwally», so entdeckt man scheinbar unauffällig skurrile Gegenstände. Beispielsweise trägt Bärenjosef im ersten Akt ein Stofftier-Schwein als Rucksack und die traditionellen Trachten sind mit Playmobilfiguren, Kuscheltieren oder Puppen verziert. Beim genaueren Hinhören fällt nicht nur die donald-duck-artige Vertonung auf, sondern auch die Phantasiesprache der Schauspieler: «In der Bibela steht’s gschribi». Dies ist das Argument des Vaters von Geierwally für die Zwangsehe. An anderer Stelle schreit Geierwally «Ja Tanterl, bist dann jetzt fei übergschnappata oder was? Ja was hoppsast dann auf’m Hof ummi-neini wie a aufgepritschte Hexe?» Der absurde Dialekt wurde vom Bayrischen abgeleitet.
Der Film hat Charakter. Dies zeigt sich unter anderem dadurch, dass Filmpatzer bewusst nicht rausgeschnitten wurden. Hierzu zwei Beispiele: Als Geierwally von ihrem Vater auf den Hof gezerrt wird, fällt die Kamera bei der Verfolgung mehrmals um und beim Streit zwischen Geierwally und Vinzenz können die Beiden ihr Lachen kaum unterdrücken. Es scheint, als funkle in der surrealen Umgebung ein wenig Authentizität. Es sind wahrscheinlich die unzähligen Gegensätze, die miteinander im Einklang sind, die den Film derart auszeichnen. Die schrille, absurde Umgebung, die Volkslieder und Pop-Parodien, die Trachtentradition und Männer in Frauenkleidern brechen die gewohnten Genres.
Die Parodie ist ein gelungenes Wagnis. Meiner Meinung nach könnten sich einige Filmschaffende eine Scheibe davon abschneiden und über ihre eigenen Filme eine Prise Provokation streuen. So würden die Zuschauer wenigstens niesen.
Ein guter Film kann auch gut sein, wenn er zum Kotzen ist.
Foto: zVg.
ensuite, April 2009