Von François Lilienfeld — Die Zürcher Leser mögen es mir verzeihen: Wir Berner sind halt etwas gemächlicher als die Limmat-Athener, und ich komme erst jetzt dazu, einen Artikel zu kommentieren, den ich im September 2013 beim Hotelfrühstück in Göttingen gelesen habe. Zum Glück lasse ich mir den Appetit nicht verderben; denn was da ein gewisser Vassily Petrenko, seines Zeichens Dirigent, von sich gab, war schon ein an Schwachsinn und Gemeinheit kaum zu überbietendes Elaborat. Er behauptete doch tatsächlich, Frauen am Dirigentenpult seien abzulehen, weil sie die männlichen Orchestermusiker irritieren würden. Man staunt …
Ganz abgesehen davon, dass es gute und schlechte Dirigentinnen wie auch gute und schlechte Dirigenten gibt: Wie geht Herr Petrenko mit der Tatsache um, dass die Damen (zum Glück!) in den Orchestern immer zahlreicher vertreten sind – sogar bei den Wiener und Berliner Philharmonikern? Wird er da auch irritiert? Vielleicht sollte er sich auf Männerchöre spezialisieren …
Nicht nur dass sein Spruch eine Ohrfeige ins Gesicht der Gleichberechtigung bedeutet, ich möchte aus eigener Erfahrung als Dirigent ganz klar feststellen, dass das Lächeln einer Frau im Orchester mich nicht irritiert, sondern inspiriert, von der Tatsache ganz abgesehen, dass bei vielen Spielerinnen die Art der musikalischen Sensibilität anders ist als bei ihren männlichen Kollegen, was dann auch künstlerisch eine Bereicherung darstellt.
Ich habe letzten Sommer am Radio die Übertragung des 3. Walkürenaktes aus Bayreuth gehört. Dirigent war ein gewisser Vassily Petrenko. Seine Leitung war nicht sehr inspiriert …
… und ein zweiter Karajan Mit diesem Titel wird gelegentlich Valery Gergiev der Chef des Petersburger Mariinsky-Orchesters «gepriesen». Der Vergleich stimmt, ist aber m. E. kein Kompliment.
Lassen wir einmal die nicht unproblematischen Interpretationen der beiden Maestri beiseite und konzentrieren uns auf den Aufbau der Karriere:
Beide Herren bauten/bauen ein Imperium auf ihre Ergebenheit gegenüber einem Regime auf, das die Menschenrechte mit Füßen tritt. Nun sei es fern von mir, Putin mit Hitler gleichzusetzen, jedoch läßt sich nicht leugnen, dass der russische Präsident eine sehr geringe Meinung von Demokratie, Pressefreiheit und Völkerrecht hat. Gergiev aber unterstützt lautstark Putins Kampagne gegen die Homosexuellen und seine Expansionspolitik in der Ukraine.
Einige Leserbriefe zum Thema in der Nummer 11/2014 des Kulturtipps befürworten Gergievs Auftritte in vier Konzerten in der Schweiz, indem sie sich auf die Meinungsfreiheit berufen; diese hört aber dort auf, wo Freiheit und Würde der Anderen eingeschränkt werden! Und mit der Meinungs- und Pressefreiheit steht es gerade in Russland nicht besonders gut …
Da ist ein anderer Leserbrief – in der gleichen Zeitschrift – wohltuend. Ich zitiere seinen Autor, Herrn Dieter Stucky aus Cham ZG:
«Stell dir vor, der Dirigent Valery Gergiev tourt durch die Schweiz, und niemand kommt. Das wäre toll!»
Foto: zVg.
ensuite, Juni/Juli 2014