Von Dr. Regula Stämpfli - Der Kulturanthropologe David Graeber hat vor zwei Jahren ein grosses Buch über Bullshitjobs, Beraterhöflinge und den zeitgenössischen Neofeudalismus geschrieben. Er erzählt von der unglaublichen strukturellen Dummheit moderner Geschäftsführung. Er erklärt den Staatskapitalismus, der „Marktfreiheit“ blökt, aber Menschen einsperrt. Deprimierend sein Schluss: Leistung zählt nicht, Effizienz zählt nicht und wer sich dagegen wehrt, wird ins Gefängnis gesteckt oder – noch schlimmer – verliert seinen Job.
Klingt bekannt, nicht wahr? Ich hätte da zwar schon ein, zwei, drei Vorschläge, wie die neue schöne Welt von innen gestürzt werden könnte, aber mir hören selbst die Rebellen nicht zu, da sie meist doch noch von einem starken Staat träumen, der ihnen die Arbeit abnimmt. Dies nur als Nebenbemerkung, denn eigentlich will ich von einem grossen Schunken schwärmen, den Sie sofort kaufen sollten.
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„Da sehen Sie, was für eine hübsche Pariser Dame ich bin.“ Dies ist das 19. Kapitel des über 1000seitigen, hochamüsanten, wissenschaftlich anregendenden und champagnermässig guten Buch des begnadeten (Autorenneid kann mir echt niemand vorwerfen) Leonhard Horowski. „Das Europa der Könige“ ist definitiv die „Vogue“ für Intellektuelle – oder wenn Sie es bodenständiger mögen: BrandEins unter allen Wirtschaftsmagazinen. Allein beim ersten Abschnitt macht es: „Bäng.“ „Das Europa der Könige war ein eigenartiger Kontinent. Ein König von England, der kein Englisch sprach, konnte hier auf die Idee kommen, die Pläne eines kein Spanisch sprechenden Königs von Spanien zu durchkreuzen, indem er dem kein Polnisch sprechenden König von Polen anbot, König von Sizilien zu werden.“
Vergangene Zeiten mit einem solchen Panorama zu skiziieren, ist ganz, ganz grosse Kunst und ich verneige mich vor Leonhard Horowski. Seine Materialfülle und historisch akribische Recherche ist köstlich verpackt mit Geschichten, in denen Höflinge sich um die Hocker in der Nähe des Königs streiten und der König sich auf seinen nächtlichen Streifzügen im Schloss mehrfach verläuft. Mätressen sind hier ebensowichtig wie die Minister zweiter Reihe. Wir erfahren von Madame de Maintenon, die es zur heimlichen Ehefrau Ludwigs XIV. gebracht hat und nebenbei durch kluge Verwandtschaftspolitik auch Spanien im Sinne Frankreichs regieren liess. Wir führen den kleinen Ludwig XV an der Seidenleine, die in den Händen von Madame de Parabère und dem Herzog von Orléons liegt. Wir kriegen einen Hauch von Ahnung davon, dass es als Adeligen im 17./18. Jh punkto der Frauenrolle um einiges besser ging als im mittelalterlich-sexistischen 19. Jahrhundert. Nicht zuletzt, weil sich die Männer um ihr Aussehen ebenso kümmern mussten wie die Damen, oh pardon, nein! Das männliche Geschlecht war viel eitler — ganz abgesehen von der exquisiten Fähigkeit, als Mann auch auf hohen Stöckelschuhen majestätisch zu trippeln…
Daneben erfährt man alles über ein Klientelsystem, das sich auch heute noch in Form von „Beratern“ über den ganzen Globus erstreckt.
Fazit:
Wer schreien und analysieren will, ist bei David Graeber perfekt bedient, wer sich amüsieren und viel wissen will, bei Leonhard Horowski. Beide Autoren verdienen es, sofort gekauft, gelesen und diskutiert zu werden. Denn was gibt es Schöneres als der Gegenwart nicht ständig in die Augen blicken zu müssen, sondern dies mit einem Fernrohr aus der Vergangenheit trotzdem zu tun.
- David Graeber: Bürokratie. Die Utopie der Regeln. Stuttgart 2016.
- Leonhard Horowski: Das Europa der Könige. Macht und Spiel an den Höfen des 17.und 18. Jahrhunderts, Hamburg 2017.