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Die Beiläufigkeit des Ausnahmezustandes

By Tilman Hof­fer

Ciu­dad Juárez, die mexikanis­che Stadt direkt an der Gren­ze zu den USA und Heimat der Kün­st­lerin Tere­sa Mar­golles, galt bere­its in alten West­ern oder in den Songs von John­ny Cash als gefährlich. Gle­ich­wohl sehnt man sich heute wahrschein­lich die fast noch unschuldige Des­per­a­do-Roman­tik jen­er Tage zurück. Als Haup­tum­schlag­platz des Dro­gen­schmuggels war Juárez nicht nur beson­ders hart vom wah­n­witzi­gen “war on drugs» betrof­fen, der ins­ge­samt 70’000 Tote forderte. Mit Ein­führung der Nor­damerikanis­chen Frei­han­del­szone begann eine Art Indus­tri­al­isierung auf Speed. US-Fir­men zogen Fab­riken hoch, Arbeit­er strömten in die Stadt; inner­halb weniger Jahre schnellte die Bevölkerung von 100’000 auf 1,5 Mil­lio­nen. Bars und Nacht­clubs macht­en auf, um die von ihren Fam­i­lien getren­nte Armee von Arbeit­skräften bei Laune zu hal­ten. Sicher­heit­skräfte und Polizei erwiesen sich als chro­nisch über­fordert, was den Kon­trast zum nördlichen Nach­barn teil­weise nur noch ver­grössert hat (El Paso, Texas, nur eine zehn­minütige Aut­o­fahrt von Juárez ent­fer­nt, ist infolge sein­er Polizeiaufrüs­tung inzwis­chen die sich­er­ste Stadt der USA).

Obwohl die Sicher­heit­slage sich all­ge­mein leicht zu bessern scheint, kam inner­halb der let­zten bei­de Jahrzehnte ein neuar­tiges Phänomen auf: Junge Frauen, die meis­ten von ihnen Arbei­t­erin­nen, Stu­dentin­nen und Schü­lerin­nen, ver­schwinden in gross­er Zahl; wenn man sie find­et, sind sie bis zur Unken­ntlichkeit entstellt und oft­mals enthauptet. Verbindun­gen zur organ­isierten Ban­denkrim­i­nal­ität mag es geben oder nicht, auf jeden Fall liefern sie nicht den Schlüs­sel zur Aufk­lärung. Die Beze­ich­nung “Fem­i­nizid» wurde für diese Ver­brechen einge­führt, denn das ist in der Tat alles, was sie gemein­sam haben: Die Tat­en sind ausseror­dentlich bru­tal, und die Mor­dopfer sind auss­chliesslich Frauen.

Sinnlose Bar­barei

Die Motive der anhal­tenden Gewalt­serie, die neben Mexiko noch andere südamerikanis­che Staat­en bet­rifft, liegen weit­er­hin im Dunkeln. So wie das Wehk­la­gen oder das Geschrei unter­halb der Ebene der Sprache liegen, so sinken auch die Spuren auf einem ver­stüm­melten Kör­p­er unter die Ebene der Zeichen. Es sind keine Botschaften über irgen­det­was, son­dern Hin­weise auf eine buch­stäblich sinnlose Bar­barei. Man ken­nt Gesellschaften, in denen eine beson­ders stumpf­sin­nige Form von Machis­mo vorherrscht und wo dementsprechend die Verge­wal­ti­gung noch mehr oder weniger als Kava­liers­de­likt gilt. Doch die mass­lose Grausamkeit der Fem­i­nizide entzieht sich ein­er kul­tur­al­is­tis­chen Erk­lärung. Eben­so irrt man sich, wenn man solche Aus­brüche bes­tialisch nen­nt. Die Bestie, das Tier, nach gängiger Auf­fas­sung nur an Selb­ster­hal­tung und Fortpflanzung inter­essiert, hat über­haupt keinen Sinn für die sadis­tis­che Quälerei, für blind­en Hass. Denn darum geht es: ein Max­i­mum an Lei­den zu verur­sachen, die Frau so umfassend wie möglich zu demüti­gen, sie noch über den physis­chen Tod hin­aus als Per­son zu ver­nicht­en. Diese Art der Krim­i­nal­ität ist zutief­st irra­tional, doch eben­so wenig lässt sie sich nach klas­sis­chen Mustern auf äussere (Ver­ro­hung der Gesellschaft) oder innere Fak­toren (Trieb­struk­tur der Täter) reduzieren. Sie ist eine per­verse Begleit­er­schei­n­ung ein­er alles in allem ziem­lich aus den Fugen ger­ate­nen Gemen­ge­lage.

Nor­mal­ität des Mon­strösen

Ein früheres Werk von Tere­sa Mar­golles, “Bor­der lines» betitelt, zeigte in ein­er Col­lage ver­schiedene Naht­stellen auf men­schlichen Kör­pern, die von chirur­gis­chen Oper­a­tio­nen her­rühren. Mar­golles war zu dieser Zeit noch Mit­glied der Kün­st­ler­gruppe Seme­fo (Ser­vi­cio Médi­co Forense), und ihr Stil noch härter, kon­fronta­tiv­er. Doch poli­tis­che Ein­deutigkeit und Radikalität der Bild­sprache hat im Bere­ich der Kun­st stets etwas Zweis­chnei­di­ges. Die Gefahr beste­ht darin, in plumpe Gewalt­pornogra­phie abzu­gleit­en, oder, noch schlim­mer, in einen rührseli­gen Betrof­fen­heit­skitsch, der durch seine Auf­dringlichkeit die ästhetis­che Dimen­sion des Kunst­werks zu erstick­en dro­ht.

La búsque­da, ihr nun in Zürich aus­gestelltes Werk, ent­ge­ht diesen bei­den Gefahren müh­e­los. Mar­golles wählt bewusst eine Per­spek­tive, die nicht das Mon­ströse der Gewaltver­brechen in den Vorder­grund stellt, son­dern im Gegen­teil deren schle­ichen­des Ein­sick­ern in die Nor­mal­ität (im Durch­schnitt wer­den in Mexiko 30 junge Frauen pro Woche ent­führt). In einem abge­dunkel­ten Raum trifft der Betra­chter auf acht Glass­cheiben in der Grösse von nor­malen Schaufen­stern. Sie stam­men aus Juárez und sind über­sät mit Ver­mis­s­te­nanzeigen. Die Mäd­chen und jun­gen Frauen sehen sich, wenn man ehrlich ist, extrem ähn­lich, und die Fotos sind klein und von schlechter Qual­ität. Obwohl Name, Alter und per­sön­liche Merk­male genan­nt wer­den, bleiben die mut­masslichen Opfer let­ztlich anonym. Auch der prak­tis­che Nutzen der Steck­briefe scheint eher ger­ing zu sein, zumal in ein­er Mil­lio­nen­stadt. Auf Erk­lärun­gen oder Kom­mentare wird gän­zlich verzichtet. Dieser Min­i­mal­is­mus, den man nicht ein­mal doku­men­tarisch nen­nen kann (denn es han­delt sich ja um ready mades und damit ger­ade nicht um Doku­men­ta­tion, also Bear­beitung des Mate­ri­als), ist keine unre­flek­tierte Ästhetisierung. Die Hil­flosigkeit und auch die Alltäglichkeit der Ver­mis­s­te­nanzeigen auf Glass­cheiben, kom­biniert mit der befremdlichen Loslö­sung aus ihrem gewöhn­lichen Umfeld und ihrer Über­führung in die asep­tis­chen Muse­umshallen, zielt unverkennbar auf einen starken emo­tionalen Effekt. Es ist jedoch zugle­ich die Weigerung, sich der schrillen Logik der Steigerung und Übertrei­bung zu unter­w­er­fen, die den sinnlosen Mor­den selb­st inhärent ist.

Der eigentlich dominierende Aspekt der Instal­la­tion ist allerd­ings kein visueller, son­dern ein akustis­ch­er. Die tosende Sound­kulisse, in die der Raum getaucht ist, beste­ht aus Geräuschen eines Güterzuges, der täglich von Juárez nach El Paso fährt. Motoren, die hin­ter den schwarzen Rah­men der Glas­fen­ster befes­tigt sind, bewirken deren Klir­ren und Schep­pern und simulieren damit den Eisen­bah­n­verkehr. Dieser Lärm legt ein­er­seits eine gereizte Unruhe über das Ganze. Er trägt darum wesentlich zur Authen­tiz­ität der Atmo­sphäre der Indus­tri­es­tadt bei. Zum anderen erzeugt er jedoch auch den Ein­druck von gross­er Pro­fan­ität. Die Züge fahren eben weit­er. Die Mis­chung aus Inten­sivierung und Banal­isierung macht Tere­sa Mar­golles’ Werk schliesslich zu dem, als was man es wohl ver­ste­hen muss: zu ein­er para­dox­en Meta­pher für die Beiläu­figkeit des Aus­nah­mezu­s­tandes.

RSS-Quelle:: http://www.kulturkritik.ch/2014/teresa-margolles/

Artikel online veröffentlicht: 26. Mai 2014 – aktualisiert am 18. März 2019