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Die Bernliebigkeit

Von Chris­t­ian Hos­mann — Gerne knüpfe ich an das Edi­to­r­i­al von Lukas Vogel­sang aus der ver­gan­genen Dezem­ber­aus­gabe an; ein­mal mehr schreibt er mir aus dem Herzen.

Er enervierte sich unter anderem darüber, dass die Ver­anstal­ter an das Pub­likum immer höhere Ansprüche stellen, und dass let­ztlich an ihm vor­beipro­gram­miert wird – zum Teil tatkräftig durch Poli­tik­erIn­nen sub­ven­tion­iert.

Vor eini­gen Jahren war ich selb­st Geschäft­sleit­er eines Kul­turbe­triebs im Kan­ton Aar­gau, der sich heute kul­tureller «Leucht­turm» nen­nen darf. Ich wusste eigentlich nie wirk­lich, was darunter zu ver­ste­hen war, mich erfüllt die Ausze­ich­nung trotz­dem mit ein­er Art Stolz. Heute glaube ich immer­hin zu ver­ste­hen, was zum Titel Leucht­turm geführt hat­te.

Kom­men wir zur Stadt Bern und ihrem kul­turellen Leben, das ich seit nun über 20 Jahren, teil­weise exzes­siv, aufzusaugen pflegte, teil­weise aus gesun­der Dis­tanz beobachtete, aber auch mit eigen­em Engage­ment zu bere­ich­ern ver­suchte.

ch möchte vorauss­chick­en, dass ich in den weit­eren Aus­führun­gen jegliche Art von Kleinkun­st auss­chliesse, denn in diesem Bere­ich braucht sich Bern nicht zu ver­steck­en, man kön­nte beina­he von ein­er Kleinkun­sthaupt­stadt sprechen. Solange Bern hier­für noch über genü­gend Plat­tfor­men ver­fügt, und die Inno­va­tion­skraft bei den Kün­stlern und Klein­ver­anstal­tern nicht ver­siegt, dann ist gut, für den Kitt ist gesorgt. Sor­gen macht mir vielmehr die Sub­ven­tion­spoli­tik der grossen Häuser.

Viele Ver­anstal­ter sind heute – das ist zumin­d­est meine Wahrnehmung – sehr mit sich selb­st beschäftigt, zu sehr darauf fix­iert, Sub­ven­tio­nen für ihr immer aus­gek­lügel­teres Pro­gramm zu erhal­ten, sich gle­ichzeit­ig über sink­ende Besucherzahlen ärg­ernd, aber kaum unternehmerisch han­del­nd. Inhalte wer­den zu wenig nach aussen getra­gen, von Diskurs ist kaum mehr die Rede. Es fehlen Syn­ergieef­fek­te und eine kri­tis­che öffentliche Auseinan­der­set­zung. So wird unser kul­turelles Ange­bot kaum als Teil eines Stan­dort­mar­ket­ings ver­standen, jedoch von den Steuerzahlen­den nur als kosten­verur­sachende Krake ohne klaren Mehrw­ert wahrgenom­men. Kul­tur­poli­tis­che Anliegen haben es dadurch zunehmend schw­er­er, Unter­stützung zu find­en.

Ich bin der Mei­n­ung, die Stadt sollte ihre Leis­tungsverträge kri­tis­ch­er hin­ter­fra­gen. Was bringt ein hoher Out­put ohne Out­come, tolle Pro­gramme ohne Besuch­er? Noch bess­er müsste sich die Poli­tik zuerst die Frage stellen, was mit einem Kul­turhaus über­haupt bezweckt wer­den soll, und ob echter Bedarf beste­ht? Denn ein Leis­tungsver­trag ohne Wirkungsindika­toren ist nut­z­los und unter­stützt bloss die Beliebigkeit und Abhängigkeit. Die Ver­anstal­ter tra­gen eine Ver­ant­wor­tung. Sie haben einen echt­en, gesellschaftlichen Mehrw­ert, ja, eine bre­ite gesellschaftliche Wirkung zu erzie­len. Bei einem Sub­ven­tions­bud­get in zum Teil sieben­stel­liger Höhe sollte aber mein­er Mei­n­ung nach zumin­d­est eine nach­haltige Ausstrahlung über die Kan­ton­s­gren­zen hin­aus Bedin­gung sein. Punkt.

Nun, wir beobacht­en tat­säch­lich ein Ver­hal­ten der Kul­turkon­sumenten, das nur von weni­gen Ver­anstal­tern wirk­lich antizip­iert wird. Mehr und mehr versinken wir im Ange­bot ein­er pen­e­tran­ten Beliebigkeit und geben uns mit dem Mit­tel­mass zufrieden, oder wir pfle­gen für teures Geld und kaum exis­tente Ziel­grup­pen superbe Spezial­häp­pchen, und kreieren damit – um auf den ein­lei­t­en­den Text zurück­zukom­men – lei­der keine Leucht­türme. Wir bewun­dern sie hinge­gen in anderen Städten, und bauen unseren Stolz darauf, dass wir in der schön­sten Stadt der Schweiz leben, immer­hin.

Leucht­türme sind dazu da, Ori­en­tierung zu schaf­fen. Sie haben eine Daseins­berech­ti­gung, alleine dank des Umstands, dass sie eine unwider­leg­bare Wirkung erzie­len. Sie sind strate­gisch sin­nvoll posi­tion­iert und wer­den von weit­em wahrgenom­men. Ihr Licht tastet die Umge­bung ab und bringt noch nie Gese­henes zum Vorschein. Der Aufwand, einen Leucht­turm zu bauen und zu betreiben, ist jedoch beträchtlich; das braucht Mut, Überzeu­gung, Ein­satz und ein dick­es Porte­mon­naie. Ober­fläch­lich betra­chtet ist ein Leucht­turm dem­nach nicht ökonomisch, denn für sich selb­st gener­iert er kaum Mehrw­ert, er schafft höch­stens dem Wärter eine Stelle und bere­ichert meinetwe­gen das Land­schafts­bild. Trotz­dem, als Fels in der Bran­dung ist er Iden­ti­fika­tion­spunkt und Denkmal zugle­ich, ein­mal erbaut und pro­fes­sionell betrieben kaum mehr wegzu­denken.

Auf das kul­turelle Leben der Stadt Bern über­tra­gen ist es kein Wun­der, ver­fügt die Bun­desstadt über keinen – richtig, keinen einzi­gen(!) – Leucht­turm, mit weni­gen auf­flack­ern­den Aus­nah­men. Der Grund liegt in erster Lin­ie darin, dass es an Herzblut, Posi­tion­ierung und Pri­or­isierung fehlt. Den Poli­tik­ern fehlt der Mut, mal nein zu sagen, während den Ver­anstal­tern der Mut fehlt, mal ja zu sagen. Eine Stadtthe­ater­sanierung beispiel­sweise ist kein Zuck­er­schleck­en. Doch wenn man dies tut, dann sollte man Ver­gle­iche mit anderen solchen Sanierun­gen aus anderen Kan­to­nen ziehen, und man würde fest­stellen: Das Bud­get ist – trotz der enor­men Höhe – für einen zukün­fti­gen Leucht­turm halb­herzig.

Anderes Beispiel ist das fehlende 2500er-Konzert­lokal für Pop­ulärkul­tur. Die Fes­thalle hat die Akkustik ein­er Bade­wanne. Seit Jahren hat die Stadt keine Lösung auf Lager für einen musikalis­chen Leucht­turm. Dies ist nicht ein­mal halb­herzig, das ist trau­rig.
Es gäbe ver­schiedene weit­ere Beispiele von let­zlich poli­tis­chen Halb­herzigkeit­en, die uns dor­thin gebracht haben, wo wir nun ste­hen.

Die Bern­liebigkeit grassiert. In diesem Sinne, Bern: «Reduce to the max» – dafür aber bitte mit Voll­gas!

Foto: zVg.
ensuite, Jan­u­ar 2014