Von Simone Weber — Angeblich stellt sie für Männer ein unergründliches Geheimnis dar, obwohl das Mysterium wohl eher ihrem Inhalt gilt, als der Handtasche an und für sich. Für Frauen ist sie kein schwarzes Loch im Kleideruniversum, sondern mindestens genauso elementar wie die Unterwäsche. Sie ist neben den Schuhen das beliebteste Mode-Sammelobjekt des weiblichen Geschlechts. Jede Frau hat eine, einige besitzen gar zwanzig oder dreissig oder noch mehr. Die Handtasche gehört zum weiblichen Geschlecht wie die Körbchengrösse oder lackierte Fingernägel. Aber, liebe Männer, haltet euch fest: eingeführt habt IHR das Frauenteil schlechthin. Ja, im Mittelalter trugt ihr sie stolz am Gürtel, der euern Rock an der Hüfte hielt. Inspiriert vom männlichen Vorbild, hängten sich auch Frauen ab dem 15. und 16. Jahrhundert kleine Täschchen ans Hüftleder. Diese Stoff- oder Lederdinger waren beutelartig, und eher praktisch als elegant. Heute würde man sie wahrscheinlich abschätzig als Sack bezeichnen. Vorerst wurden diese schlichten Beuteltaschen versteckt unter dem Kleid getragen. Als die Röcke der Frau im Laufe der Zeit allmählich enger und transparenter wurden, verfrachtete man die Säckchen hinauf an die Arme, womit sie erst für jedermann sichtbar wurden. Und sie machten sich gut an weiblichen Schultern. Schon hundert Jahre später, als die Frau sich in Mieder zu zwängen begann, gehörte die Handtasche zur modischen Grundausrüstung. Vom Beutel zur Tasche wurde das etwas formlose Beutelchen erst durch die Verwendung eines Metallrahmens, der in den Stoff genäht wurde. Diese neue fixe Form schaffte der Handtasche ihre grosse modische Bedeutung. Sie erfuhr eine Aufmerksamkeit und Liebe, die bis heute keinem anderen Accessoire zuteil wurde. Übrigens kommt ihr männliches Stiefkind, der Rucksack, in punkto Style, Eleganz oder Ausdruck von Individualität niemals an die Handtasche heran, er ist sozusagen das unerwünschte Balg in der Taschenfamilie. Praktisch und rückenfreundlich zwar, aber auch plump und nichtssagend.
Die Handtaschen gibt es in unserem Jahrhundert, wie fast alles, im unüberschaubaren Überfluss, in jeder erdenklichen Farbe und Form, in verschiedener Qualität, zu unterschiedlichsten Preisen, schlicht und extravagant. Es gibt Handtaschen, die aussehen wie grosse Schokoladentafeln, wie Wassermelonen, überdimensionale Disketten oder wulstige Lippen. Egal für welches Modell sich die Trägerin entscheidet, die Handtasche ist eine Aufwertung, sie vollendet ein Outfit ähnlich wie die Schuhe. Mal muss sie gross sein, mal ganz klein, mal aus Leder, dann aus Stoff, uni oder kariert, mit Schnallen oder ohne, kurzen Trägern, langen Trägern oder Schulterband. Aber – und dies ist das Wichtigste – sie muss all das aufnehmen können, was Frau im Laufe eines Tages so benötigt, und vielleicht noch etwas mehr. Vermutet werden die üblichen Verdächtigen wie Hausschlüssel, Handy, Geldsack, Nastücher, vielleicht noch Zigaretten, je nach Grös-se der Tasche ein Fläschchen Wasser, ein gutes Parfüm, etwas Lipgloss. Über den tatsächlichen Inhalt weiss aber meist nur die stolze Trägerin bescheid – und natürlich das Check-In Personal am Flughafen. Bei der schonungslosen Durchsuchung kommt dann vielleicht auch einmal ein zerknittertes Damenhöschen, das in einem versteckten Reissverschluss eingesperrte OB-Notfallsäckchen, eine allzeit bereite Insulinspritze, oder ein angefressenes Irgendwasbrötchen zum Vorschein, viel zu persönlich und intim, um offengelegt zu werden. Jetzt aber genug der Spekulationen, wir wollen hier ja nicht indiskret werden, schliesslich wird der Handtasche jedes Geheimnis anvertraut, weil sie es für sich behalten kann.
Auch ein Geheimnis war einmal die Zeichensprache, für die ihre Hoheit, die Königin von England, Queen Elisabeth die Zweite, ihr Handtäschchen missbraucht. Die Königin soll tatsächlich an formellen Anlässen über die Handtasche mit ihren Mitarbeitern kommunizieren. Baumelt das Ding am linken Handgelenk ist alles in Ordnung, kein Grund einzugreifen. Der Queen geht’s gut, sie fühlt sich wohl. Wenn die Tasche aber den linken Arm verlässt und an die rechte Seite wandert, fühlt sie sich von ihrem Gesprächspartner gelangweilt und will gerettet werden. Stellt sie die Tasche auf den Tisch, möchte sie unverzüglich gehen.
Viel interessanter als diese Zeichen finden Untertanen den ganzen Karsumpel, der sich im Beutelchen der Queen tummelt. Es gibt sogar Internetforen, in denen leidenschaftlich über den Inhalt der hoheitlichen Handtasche spekuliert wird. Ganz versaute Zeitgenossen vermuten in Elisbeths Täschchen Kondome in den Farben des Union Jack.
Vermutungen sind erlaubt. Gar nicht königlich wäre es, heimlich in die Handtasche einer Frau zu schielen. Schon die New York Times wusste 1945: «Jede Frau wirft einem einen unbehaglichen Blick zu, wenn man in ihre heiligen Gemächer zu schielen versucht. Ein Kavalier sollte deswegen immer taktvoll wegsehen, wenn seine Begleiterin ihre Handtasche öffnet».
Foto: zVg.
ensuite, Dezember 2010