Von Anna Vogelsang - Interview mit Valerian Maly, künstlerischer Co-Leiter vom BONE Performance Art Festival: Das Wort «Performance» hat eine extrem breite Verwendung, und dies erweist der Kunst nicht unbedingt einen guten Dienst. Heute hat alles eine Performance vorzuweisen: Von einem PC bis zu einem Auto, von einem Manager oder Politiker bis zu einem ganzen Betrieb, von einem Tennisschläger bis zum Sportler.
Innerhalb der Künste ist die Lage auch nicht absolut klar: Was war da heute auf der Bühne, fragt sich mancher Theaterbesucher? Ist es eine Performance, wenn die Schauspieler sich in der Blutlache des abgeschlachteten Schweins wälzen? Und was bedeutet es, wenn im Programm «Tanz/Performance» steht, und die Aufführung weder einem klassischen Ballett entspricht, noch die unabdingbaren Grundlagen der puren Performance vorweist? Und so tappt unser verwirrter Theatergänger nach Hause.
Auf dem Platz Bern kämpft Performance Art, trotz seiner langen und glorreichen Geschichte, bei den kulturpolitischen Behörden noch immer um Anerkennung. Wie kann man sonst erklären, dass die Bundesstadt die Subventionierung des ältesten hiesigen Aktionskunstfestivals «BONE», dessen 16. Ausgabe Anfang Dezember stattfindet, in Frage stellt, diese zumindest von den beiden subventionierenden Kommissionen mehr als kontrovers diskutiert wird? Gut, lassen wir die Finanzen beiseite. Sprechen wir zuerst über Inhalte und den Sinn eines solchen Festivals. Im November traf ensuite – kulturmagazin den Co-Leiter des BONE Performance Art Festivals, Valerian Maly.
Was gehört heute unter den Begriff «Performance Art» und was nicht?
Für mich heisst Performance Art immer noch «reale Handlung»: keine gefakte Handlung, kein Rollenspiel, kein «so tun als ob». Der Performer agiert im echten Zeit-Raum mit einem Messer, und der Schauspieler benutzt ein Plastikmesser. Zwar kommt es im heutigen Theater oft vor, dass die Schauspieler in die reale Handlung getrieben werden, aber das bleibt für mich ein Regietrick.
In den 70er Jahren ging es im Wesentlichen um kunstrelevante Fragen, um das Überschreiten, das Erweitern der Genregrenzen, sei es in Film, Theater oder Malerei, und nicht, wie man es heute gerne behauptet, um Politisches. Es ging ums Hinterfragen der Kunst: Zum Beispiel: male ich heute noch, oder begebe ich mich mit dem Pinsel über die Leinwand in eine Aktion hinein? Heute sind diese Fragen obsolet geworden, und es treten die politischen, gesellschaftlichen Fragen in den Vordergrund. Die Genregrenzen sind sehr verwischt. Im Theater treffen wir performative Aspekte und in der Performance Art vermehrt die Theaterprojekte an. Die Trennung ist nur noch institutionell nachzuvollziehen. Die Künstler fragen sich nicht: «Gehöre ich jetzt zur Theater- oder zur Bildende Kunst-Seite?»
Trotz diesen verwischten Grenzen will sich «Performance» von anderen darstellenden Künsten abheben. An der Hochschule der Künste wird seit einigen Jahren ein Master of Contemporary Arts Practice (CAP) im Studienbereich Performance Art angeboten. Inwiefern macht dies Sinn?
Diese Frage habe ich mir schon bei der Gründung des Studienbereichs Performance Art an der HKB gestellt. Diese Kunst wurde als anti-institutionelle geboren, und nun wird sie von uns wieder institutionalisiert. Was passiert mit Performance Art an einer Hochschule, wo es Eingangs- und Ausgangskompetenzen zu überprüfen gilt? Wird es gleich laufen wie mit dem Jazz? Dem Jazz ist mit der Verschulung der Groove abhandengekommen und er wurde immer komplizierter. Frank Zappa sagte mal: «Jazz is not dead, it just smells funny». Ich glaube nicht, dass das gleiche mit der Akademisierung von Performance Art passiert. An der HKB haben wir inzwischen sehr gute Erfahrungen gemacht, und es zeichnet sich eine positive Entwicklung ab. Das gleiche gilt für BONE.
Warum bietet, Ihrer Meinung nach, ein Theaterfestival keine genügende Plattform für Performance Art?
Das ist eine berechtigte Frage. Performance Art hat eine eigene Geschichte seit den 60er Jahren, und einen eigenen Kanon, ein eigenes Vokabular, eigene Formate entwickelt. Es gäbe sicher sowohl Vor- als auch Nachteile bei der Zusammenlegung. So kann auch Performance mitunter zu einem «Performance-Style» verkommen wenn die Künstler so «tun als ob», als ob sie Performance machen. Es sieht tragisch aus, wenn junge Leute «Black Market International» reproduzieren. Auf der anderen Seite können Performance-Künstler von den Techniken des Theaters, vor allem von der Erzeugnung der Aufmerksamkeitsenergie oder von theatralischen Überwältigungsstrategien profitieren. Aber Performance Art funktioniert in der Regel anders als Theater, folgt anderen Gesetzmässigkeiten, spielt mehr auf Augenhöhe, im gleichen Raum, mit dem Publikum, denn auf der (vom Zuschauer getrennten) Bühne.
BONE hat rhizomatische Ausleger und entwickelt sich weiter. Früher wurde das Festival nur im Schlachthaus Theater ausgetragen. Heute findet das Festival zwar nach wie vor an vier Tagen statt, und hat auch genau das gleiche Budget, aber das Programm wurde wesentlich erweitert. Kunstmuseum, Stadtgalerie, ZPK, Universität Bern und Hochschule der Künste werden miteinbezogen. Institutionell gesehen erweitern wir den Spielraum vom Theaterbereich auf die bildende Kunst. Das Schlachthaus Theater bleibt aber nach wie vor das Zentrum des Festivals.
Findet diese Entwicklung Verständnis in den Kulturkreisen?
Es wird jetzt so behauptet, wir seien zu «Fine Art» lastig geworden – zu viel Bildende Kunst, zu wenig Theater. Das finde ich wirklich sehr seltsam, und es stimmt mich mehr als nur nachdenklich, wenn man ausgerechnet im Kontext der Performance Art – und dies im 21. Jahrhundert – anfängt, Gartenzäunchen hoch zu ziehen. Performance Art ist die grenzüberschreitende Art per se und war das schon immer. Dass dieser Vorwurf der Fine-Art-Lastigkeit von der «Kommisstion für Freies Theater- und Tanzschaffen» kommt, ist schlicht skandalös. Und dies gerade in Bern, wo nicht nur die Hochschule sich die Transdisziplinarität auf die Fahne schreibt.
Wie wählen Sie das Thema für das Festival?
Früher wurde das Programm klar von Norbert Klassen bestimmt. Seine Idee war es denn auch, dass ich diese Rolle übernehme, und Peter Zumstein eher für die technisch-administrativen Produktionsabläufe zuständig ist. Ich wollte aber, dass wir auf gleicher Ebene fungieren. Peter Zumstein hat profunde Kenntnisse der TheaterSzene, ich mehr aus der Kunst- und Musik. Und da ergänzen wir uns optimal. In Zukunft wollen wir BONE nicht nur juristisch als einen Verein verstehen. So, dass jeder seine Kernkompetenzen einbringen kann, das Festival nicht nur von einem Kurator kreiert wird, sondern in einem Dialog entsteht.
Das Festival «Culturescapes 2013» hat auch den Balkan als Thema gewählt. Ist diese Überschneidung Zufall?
Unser Schwerpunkt Balkan hat sich parallel zum Festival Culturescapes 2013 herauskristallisiert. Ich hatte schon lange ein grosses Interesse an der Performance Art Szene des früheren Jugoslawien. Und als ich hörte, dass Culturescapes auch den Balkan als Thema gewählt hat, dockten wir uns dort an. Wir sind finanziell komplett unabhängig, aber wir bewerben die Sachen gemeinsam.
Nach was suchen Sie? Wie erfolgt die Selektion der KünstlerInnen für das Festival BONE?
Ich habe eine lange Liste von KünstlerInnen, die mich interessieren, aber auch ein Netzwerk von Kollegen. Die Anregungen von Christine Hasler und Lena Trummer (beide Assistentinnen, Red.) werden auch sehr geschätzt. Und wir kriegen natürlich sehr viele Teilnahme-Anfragen. Aber die Selektion erfolgt nicht aufgrund von Dossiers, sondern wir – ich oder jemand aus unserem Team – müssen jede Performance live gesehen haben, zumindest das Werk des Künstlers, der Künstlerin kennen. Wir kaufen nicht Produktionen ein, wie es meist im Theaterbereich üblich ist. Aus Erfahrung traue ich den Dokumentationen nicht. Eine solche Live-Selektion ist natürlich mit einem ziemlichen Aufwand verbunden, aber diese Vorgehensweise hat sich bewährt.
Bei der diesjährigen Ausgabe wurde das Programm grossenteils von mir bestimmt, weil ich durch ein eigenes Projekt einen starken Bezug zum Balkan habe. Ausserdem pausiert Peter Zumstein in diesem Jahr aus familiären Gründen: Er wird – und dies pünktlich zu BONE 16 – Vater!
Bleiben Sie nach dem Festival in Kontakt mit den KünstlerInnen?
Immer. Wir haben dadurch ein sehr grosses Netzwerk.
Verfolgen Sie, wie und ob sich das Festival auf die Laufbahn der Künstler auswirkt?
Die Performance Art Szene ist weltweit eine doch relativ kleine Gemeinde. Das ist nicht so wie in der Theaterwelt. Deswegen ist es auch so schwierig, was die Expansion betrifft. Die Performance-Art-Szene ist noch zu einem grossen Teil vom Gedanken des Self-Management getragen, meist zwangsläufig und weniger aus ideellen Gründen, wie dies den Anfang der Performance Art markiert. Deshalb ist für die Künstler diese Netzwerkherstellung, die während des Festivals entsteht, sehr nachhaltig.
Wie sehen die Perspektiven des Festivals aus?
Auf dem «Konzil – Standortbestimmung Performance Schweiz» in Basel, wo vor kurzem Involvierte befragt wurden, wurde BONE als wichtigstes Performance Art Festival der Schweiz genannt. BONE wird auch in einer Reihe mit dem Performance-Oktober in Berlin und «performa» New York genannt. Ich bin für einen Dialog zwischen den bestehenden Festivals. Die Gefahr von institutionellen Bündelungen ist, dass die Veranstaltung unscharf wird. Die Berner Biennale ist ein gutes Beispiel dafür: Da machen alle Kulturinstitutionen etwas zusammen und es bleibt unscharf. Ausserdem wird jede Organisation, je grösser sie wird, träge und langsam. Deswegen plädiere ich für das Beibehalten von mehreren kleinen Zentren. In Bern gibt es eine alte Geschichte der Performance Art mit der Kunsthalle, mit James Lee Byars, mit Georg Johann Lischka, Norbert Klassen und anderen. Wenn man dieses Bewusstsein und gleichzeitig die neuen Möglichkeiten wahrnimmt, täte Bern gut daran, sich damit zu brüsten, und sich beispielsweise dem Swiss Performance Art Award, der von Genf, Basel und Aarau getragen wird, anzuschliessen. Bern könnte mit Fug und Recht behaupten: Wir sind eine wichtige Kulturstadt, viel wichtiger als Genf, oder Basel oder Aarau, was die Performance Art betrifft.
Wie steht es diesbezüglich mit Zürich?
In Zürich gibt es eigentlich nichts. Es gab mal diesen «Längsten Tag»: einen 16-Stunden-«Non-Stop-Performance»-Event: Immer am 21. Juni, von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang im Kunsthof der ZHDK. Das war ein wichtiger Termin und sehr anregend. Und es gibt jetzt vereinzelte Initiativen, aber nie in dem Masse, wie sie in Bern stattfinden.
Wie verliefen die diesjährigen Verhandlungen mit der Stadt?
Es bestehen ernsthafte Bemühungen von der Stadt, darüber nachzudenken, wie man BONE in eine Jahressubvention überführen könnte. Das wäre echt sehr erleichternd, denn jetzt haben wir keine Planungssicherheit, auch weil die Antwort auf das Gesuch so kurz vor dem Festival eintreffen wird. Vor allem brauchen wir relativ kurzfristige Entscheidungsmöglichkeiten bei der Programmgestaltung, weil wir keine Vorproduktionen einkaufen und alles vorher live sehen. Das heisst, dass wir im Frühjahr ein Gesuch stellen müssen, welches weitgehend fiktiv formuliert werden muss ( «Programmänderungen vorbehalten»…), um an Gelder rankommen zu können.
Können Sie das Publikum von BONE Festival charakterisieren?
Bis zu BONE 13 war das Festival massgebend durch Norbert Klassen geprägt, und da konnte man über eine bestimmte Generation, so ab 40 Jahren sprechen. Das hat sich geändert, weil die HKB, die Universität Bern, der PROGR mit der Stadtgalerie einbezogen wurden. Wir haben dadurch zusätzlich junges Publikum erreicht. Dabei bleibt uns das frühere Publikum treu.
Wie Norbert Klassen einmal schön formuliert hat, machen wir das Festival «für all die Wenigen» die sich für diese Kunst interessieren. Heute aber hat Performance Art Kultstatus erreicht. Früher ging es um «Hardcore»-Performance-Art-Leute, die kein Theater und keinen Fake akzeptierten. Heute durchmischen sich verschiedene Gruppen, wie wir es in anderen gesellschaftlichen Domänen beobachten können. Auch deswegen bin ich auf Verschärfung hinaus, damit es nicht schwammig wird. Deswegen will ich ein scharfes Profil für unser Festival haben und sagen, wir bleiben beim traditionellen Begriff der Performance Art, in dem wir die Meister dieser Kunst zeigen. Und genau das spiegeln wir über die jungen Leute.
Foto: zVg.
ensuite, Dezember 2013