Von Ruth Kofmel — Wie kommt es, dass sich ein afro-kanadischer Mann, gross geworden unter eher prekären Bedingungen, und ein Schweizer, weiss und privilegiert aufgewachsen, zusammentun, um ein Rapalbum zu produzieren? Mattr alias Patric Daeppen und Ira Lee fanden sich über das Internet. Die gemeinsame Vorliebe für eher intellektuell angehauchten alternativen Rap, typisch für die weisse Mittelschicht, am prominentesten Vertreten durch das amerikanische Label Anticon, war erster gemeinsamer Nenner. Was aber immer noch nicht schlüssig erklärt, wie zwei so unterschiedliche Biografien in derselben Musik münden. Eher erklären tut das die Tatsache, dass in Ira Lee ein weisser gebildeter und ein farbiger Mann der Unterschicht wohnen. Zwei Seelen in seiner Brust, schön illustriert mit dem Track «I’m scared of black people». Patric Daeppen erzählt wortgewandt, wie Ira Lee je nach Situation seine Umgangsformen anpasst: Er spricht nach Bedarf den Slang der Strasse, während sich die Gespräche mit Mattr um Vorbilder wie Klaus Kinski oder Jaques Brel drehen. Auch der Schweizer teilt durchaus Erfahrungen, die sich ähnlich anfühlen, wie die Isolation bedingt durch die Herkunft: Die häufige Feststellung, eher zu den Aussenseitern zu gehören, sich nicht vollkommen in ein Gesellschaftsgefüge einbringen zu können oder zu wollen. Als Erklärung für das gegenseitige Interesse und Verständnis mag das erst einmal reichen.
Im Jahr 2006 fangen die Beiden eine Korres-pondenz via Internet an; Mattr schickt Beats, Ira Lee rapt darüber. Wirklich befriedigend ist das nicht, und Patric beschliesst, nach Kanada zu reisen, um einerseits die Leute kennenzulernen, mit denen er schon zusammengearbeitet hat und andererseits das geplante Projekt weiterzubringen. Er ist in dieser Szene kein unbeschriebenes Blatt. Auch wenn man ihn hierzulande kaum kennen mag, obwohl er mehrere CDs unter dem Namen Ohmacht veröffentlicht hat, wo er selber auch als Texter und Rapper am Werk ist, hat er mit seinen Beats in der internationalen Community des Independent Raps längst Fuss gefasst. Einmal in Kanada angekommen, stellt sich dann die Zusammenarbeit doch als etwas komplizierter und zeitaufwendiger heraus. Schnell beschliessen sie zwar, das traurigste Rapalbum aller Zeiten zu produzieren. Ihre inneren Bilder dazu stimmen wunderbar überein: Sie stellen sich ausgelassen tanzende Mädchen oder variabel auch alte Leute vor, die gleichzeitig dazu in einem Tränenmeer versinken. Beide sind nicht unbedingt ein Ausbund an Fröhlichkeit, wer Ohmachts Texte kennt, weiss, dass sich der Mann in den dunklen Seiten des Lebens bestens auskennt. Der independent Rap scheint solche Persönlichkeiten magisch anzuziehen; ich habe aus diesem Genre noch wenig «Aufgestelltes» gehört – meist klingt es düster, melancholisch – Weltuntergangsstimmung eben. Aber es wäre ja nicht kompliziert und vor allem nicht spannend wenn nun eine Platte herausgekommen wäre, die eben diese Inhalte bedient. Was nach mehrjährigem Hin und Her zu hören ist, klingt eher untypisch für dieses Genre. Die Beats kokettieren mit einfachen Pop- und Rockanlehnungen, leicht trashige Synths klimpern ein paar Töne in Reihenfolge – das ist sehr reduziert, heruntergebrochen, oft folgen darauf orchestral arrangierte Streicher oder bluesige Pianoläufe, das wiederum klingt eher pompös und tragisch. Die Stimme von Ira Lee ist die eines pedantischen Nörglers, in derselben Tonlage serviert er uns ausgefeilte Textzeilen, die kein Stückchen Fett auf den Rippen haben. Verständlich sind die Lines, wie es im Rap selten ist, vom Inhaltlichen wie vom Akustischen her. Er beschreibt Situationen des Alltags so genau, dass es fast schon unheimlich ist: «keep on trying» zum Beispiel lässt einem zuerst beschämt, dann erleichtert zurück – genau so leben wir. Oft sind seine Texte äusserst subtil: Wenn er beispielsweise beklagt, dass ein Mann ohne Frau kein Mann sei, ist das zu Anfang vielleicht nicht so packend, wenn er aber dann die Situation in der Küche mit wenigen Worten skizziert, wo er als Mann nun nicht mehr prahlen könne, mit dem Öffnen von Schraubverschlüssen, ist man wieder ganz Ohr. Es sind allgemeine Bilder, die perfekt für ein Gefühl oder einen Zustand einstehen – man möchte sie schon fast universell nennen.
Mattrs Beats lassen der Sprache und der Tonlage von Ira Lee viel Platz, was auch nicht verwunderlich ist, wenn man weiss, dass Mattr jeden Beat massgeschneidert hat. Letztes Jahr reiste er noch einmal nach Kanada, um das Angefangene zu Ende zu bringen. Vier Wochen hauste er auf Ira Lees Sofa, war Zeuge eines eher turbulenten Pärchenalltags und verbrachte Tage, die immer nach dem selben Strickmuster abliefen: aufstehen, frühstücken, Liegestütze machen. Ira Lee kommt ins Wohnzimmer und äussert einen Wunsch für einen Beat: Stimmung, Tempo, Instrumentierung, Mattr bastelt eine Stunde lang, gibt dann den Beat ab und für den Rest des Tages ist Ira Lee im Zimmer und sucht nach Worten. Nach vier Wochen sind die Nerven strapaziert und das Material mehr oder weniger zusammengetragen. Die Fertigstellung passierte dann zum grössten Teil in der Schweiz, das Internet war wiederum Vermittler.
Die Beharrlichkeit hat sich in diesem Fall gelohnt. Das Album überzeugt durch seine Schlichtheit und auch dadurch, dass es eben nicht das traurigste Rap-Album aller Zeiten geworden ist. Durch diese zwei schwermütigen Menschen ist ein leichtes Album entstanden, ein sehr ironisches, vom Musikalischen wie Textlichen her. Es klingt locker hingeworfen, und schlussendlich bringt einen diese Musik tatsächlich zum Lächeln – Schwermut und Humor halten sich die Waage.
Info: www.myspace.com/themattr
Foto: zVg.
ensuite, Januar 2010