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Die Journalisten als Pack

(Con­stan­tin Seibt) —

Vielle­icht eine der härtesten Lek­tio­nen, die ich im Leben lernte, war auf dem Pausen­platz. Ich war nicht beson­ders beliebt: Ich hat­te eine dicke Brille, gute Noten und keine Ahnung von Kindern.

Kurz: Sobald es klin­gelte, musste ich mich vor meinen Kam­er­aden hüten. Ich mochte sie nicht. Aber wen ich wirk­lich has­ste, waren nicht die Leute, die mich ver­prügel­ten. Es waren die, die noch deut­lich öfter ver­prügelt wur­den als ich. Also der dicke Thömeli. Oder der Alko­ho­lik­er­sohn Man­fred, der sein Bein leicht nach­zog.

Mit ihnen schlug ich mich, ange­feuert von der Meute und der Hoff­nung, bei einem möglichst grausamen Sieg in ihre Rei­hen aufgenom­men zu wer­den. Was natür­lich nie passierte.

Erst zwanzig Jahre später ver­stand ich, was passiert war. Und zwar, als ich von Hans May­er das Buch «Aussen­seit­er» las: über Juden, Homo­sex­uelle und Frauen in der Lit­er­atur. May­er schilderte für die Salons des 18. und 19. Jahrhun­derts das­selbe wie für die Pri­marschule Bassers­dorf in den 70er-Jahren: Auch in der Lit­er­atur gin­gen die Aussen­seit­er in spek­takulären Kämpfen aufeinan­der los, um vom Estab­lish­ment akzep­tiert zu wer­den. Was natür­lich nie passierte.

Stal­in vs. Mao

Eines der mutigeren Pro­jek­te unser­er Branche war kür­zlich die Tageszeitungs­de­bat­te, angeris­sen durch den «Spiegel»-Reporter Cordt Schnibben. Sie endete ziem­lich spek­takulär mit dem Konzept ein­er Tageszeitungs-App.

Davor lief eine län­gere Debat­te. Ein paar der etwas lauteren Köpfe im Jour­nal­is­mus schrieben zur Tageszeitung. (Darunter ich.) Danach spot­tete Sascha Lobo, dass alle Teil­nehmer der Tageszeitung genau das als Geschäftsmod­ell ver­schrieben, was sie selb­st als Geschäft betrieben. (Darunter ich.)

Lobo hat­te natür­lich Recht: Jed­er hat­te sein Musterköf­ferchen aus­gepackt. Ander­er­seits, was sollte man tun? Bei ein­er öffentlichen Debat­te macht man meis­tens einen sicheren Eröff­nungszug. Und hält sich an Erprobtes.

Was aber auf­fal­l­end war, war die harte Dif­ferenz in diesen Eröff­nungszü­gen. Fast alle Blog­ger erk­lärten die Tageszeitung für tot, fer­tig, aus. Während die Print-Leute behaupteten, keine Prob­leme zu haben als die Debat­te darüber, dass sie tot seien.

Kurz, der Stre­it klang erstaunlich vergilbt. Als wäre die Frage noch; Inter­net oder Papi­er. Oder wie der verblüffte Gat­ge­ber Schnibben sagte, der von bei­den Seit­en beschossen wurde: «Printstal­in­is­ten» kämpften gegen «Online­maois­t­en».

Kinder und ihr Kuchen

Nur woher die Härte der Polemik? Son­st ist das Über­raschende an der Jour­nal­is­ten­szene ihre Fre­undlichkeit. Zwar hören, sagen, denken alle über fast alle viel Bös­es: Dieser Artikel ist unterirdisch, dieser Kol­lege ein Blind­er. Nur dass, falls man den Blind­en in ein­er Bar trifft, man ihn fast immer mit ehrlich­er Freude begrüsst. Und eben­so begrüsst wird, trotz allem, was dieser über einen denkt.

Danach redet man aus­führlich über die Blind­heit drit­ter, die man später eben­so erfreut trifft. Das soziale Gesetz im Jour­nal­is­ten­m­i­lieu scheint zu sein: Pack schlägt sich, Pack verträgt sich.

Und dafür gibt es gute Gründe:

  1. Jed­er von Ver­stand in der Branche weiss, wie schwierig der Job ist, seriell irgen­det­was Wichtiges, Cleveres, Unfugfreies zu schreiben. Ein mis­s­raten­er Text (oder auch fünf) sprechen gegen nie­man­den.
  2. Der Infor­ma­tions­fluss hil­ft allen. Andere Jour­nal­is­ten gehören zu den wichtig­sten Quellen: für Branchen­klatsch, Tele­fon­num­mern, Sachthe­men. Man kann sich keine Feind­schaften im Dutzend leis­ten.
  3. Das wäre auch riskant, weil die meis­ten Redak­teure peri­odisch die Redak­tion wech­seln. Man trifft sich wieder.
  4. Das Gedächt­nis der Branche ist das eines Kindes: Sie inter­essiert sich nicht für gestern (und nicht für mor­gen), son­dern nur für die Aus­gabe mor­gen früh.

Doch der wichtig­ste Grund ist, glaube ich, ein ökonomis­ch­er. Jour­nal­is­mus ist eine Branche mit wenig Neid. Ein­fach, weil Platz für alle ist: für den Rou­tinier, den Rechercheur, den Dauerkom­men­ta­tor, den Schnörkelschreiber, wen auch immer. Wenn Jour­nal­ist X einen Artikel veröf­fentlicht, egal wie lang oder promi­nent, heisst dass für Jour­nal­ist Y so gut wie nie, dass er seinen Artikel nicht veröf­fentlichen kann. Denn mit der Pub­lika­tion jedes Artikels ist sein Platz schon wieder leer: in der näch­sten Aus­gabe. Oder im Netz: in der näch­sten Minute.

Das heisst: Die erstaunliche Fre­undlichkeit unter Jour­nal­is­ten basiert darauf, dass der Kuchen gross genug für alle ist: selb­st für die Dümm­sten unter uns.

Grosszügigkeit und Angst

Böse kön­nte man sagen: Der grosse Kuchen führt zur Kom­plizen­schaft sat­ter Stüm­per. Aber ist nicht die volle Wahrheit: Kuchen für alle führt auch zu Grossh­erzigkeit. Denn selt­samer­weise ver­lässt man als Jour­nal­ist die eigene Redak­tion nicht nur dann aufrecht, wenn einem ein Artikel gelun­gen ist. Son­dern man ist fast eben­so stolz, wenn den Kol­le­gen etwas gelang.

Das gilt sog­ar für Jour­nal­is­ten vol­lkom­men fremder Blät­ter. Eine Recherche, eine Frech­heit, ein Tre­f­fer, den man irgend­wo (selb­st bei der direk­ten Konkur­renz) liest, kann einen den hal­ben Mor­gen lang glück­lich machen. Erstens, weil man weiss, was es an Kön­nen und Glück brauchte, dass das Teil gelang. Aber vor allem: Weil der Erfolg eines Kol­le­gen nie gegen den eige­nen spricht. (Mor­gen ist die Bühne wieder leer, mit Platz für eine neue Show.)

Diese Entspan­ntheit des Urteils und des Herzens gehört zum Schön­sten an diesem Beruf. Und ist nicht selb­stver­ständlich. Die Kun­st­szene etwa funk­tion­iert zwar sehr ähn­lich wie der Jour­nal­is­mus — und zwar nach dem Recy­cling-Mod­ell: So wie Zeitung­s­texte primär aus anderen Zeitung­s­tex­ten wach­sen, wächst Kun­st primär aus ander­er Kun­st. Und trotz­dem funk­tion­iert das Milieu sehr anders: mit ein­er Menge mehr Angst, Neid und Oppor­tunis­mus.

Naive denken, Kün­stler sind die freiesten Men­schen. Doch in der Prax­is kön­nen Profis bei ein­er Kun­st­par­ty die Hier­ar­chie schon an den Begrüs­sungsküss­chen able­sen: die Hack­o­rd­nung zwis­chen denen mit und denen ohne Namen. Nervös sind unter­schied­s­los alle: Stars, Ex-Stars und Under­dogs. Denn die Hier­ar­chie des Erfol­gs ist nur tem­porär. Anfänger wie Arriv­ierte kön­nen massen­weise Fehler bege­hen: Zu wenig Vari­a­tion in seinem Werk zu haben (unkreativ!) oder zu viel (keine sichere Marke!), in den falschen Gale­rien auszustellen (bei den Losern), das falsche Medi­um zu benutzen (er macht noch Video – gähn!) oder über­haupt älter zu wer­den (Mut­ter, was tust du hier – du hast geboren).

Dabei oder nicht dabei zu sein ist für Kün­stler die Frage der ganzen Exis­tenz: von Pres­tige wie Geld. Kein Wun­der, ist die Kun­st in der Kun­st­szene nicht zulet­zt die Kun­st des Oppor­tunis­mus – nicht umson­st funk­tion­iert der Kun­st­markt nach den Wellen der Mode, nicht umson­st wirken Kunst­werke wie Kün­stler oft erstaunlich uni­formiert. Und es herrscht eine Menge Neid. Denn es gibt pro Stadt nicht nur eine begren­zte Menge Leute, die gle­ichzeit­ig die grossen Gale­rien, die fet­ten Mäzene und die staatlichen Stipen­di­en kon­trol­lieren. Son­dern auch eine begren­zte Anzahl Plätze für lokale Stars. Das heisst: Wenn Du eine Ausstel­lung, einen Gön­ner, einen Kun­st­preis bekommst, dann sinkt die Wahrschein­lichkeit erhe­blich, dass auch ich etwas bekomme.

Kurz: Wer Kün­stler wird, beweist Mut. Er liefert sich ein­er Welt des Nei­des, der Angst und des Oppor­tunis­mus (Self­brand­ing) aus.

Auf dem Pausen­platz 2013

Der Grund für die Schroffheit der Tageszeitungs­de­bat­te im «Spiegel» ist, fürchte ich, dass sich der Jour­nal­is­mus in Rich­tung Kun­st­szene entwick­elt. Der Kuchen wird klein­er, die Kuch­eness­er aggres­siv­er. Heutige Print-Redak­tio­nen sind ähn­lich gem­anagt wie ein Roman von Agatha Christie: Das Per­son­al schrumpft mit Fortschre­it­en der Hand­lung. (Nur dass der Mörder nicht der But­ler, son­dern die eigene Ver­lagse­tage ist.)

Hier trifft die Charak­ter­isierung der Tageszeitung als ein­er ster­ben­den Branche präzis. In ihrer Per­son­alpoli­tik gle­ichen Zeitun­gen einem Toten­schiff. Das ohne klaren Kurs im Sturm mit löchri­gen Kassen segelt, gefan­gen in ein­er ewigen Abwehrschlacht, nicht zulet­zt gegen die eigene Kapitänse­tage. Nur dass die Matrosen noch immer weit bess­er bezahlt sind, als die kleinen Kanus mit neuen Ideen.

Nur welche? Viele dieser neuen Ideen laufen auf das Mod­ell Kun­st­szene hin­aus. Im Kern geht es – bei bezahlten oder unbezahlten Blogs, bei der Mei­n­ungs­führerschaft in ein­er gewis­sen Sparte, bei Flat­tr, beim Auf­bau eines eige­nen Net­zes, ein­er eige­nen Marke, eines Berufs, bei dem die Texte nur noch Wer­be­träger für einen Vor­trags- oder Beratungsjob sind – um die Errich­tung eines Starsys­tems. Die clever­sten wer­den für ihre Arbeit hin­re­ichend bezahlt, dass sie davon leben kön­nen. Die anderen nicht.

Der einzige Unter­schied zum Kun­st­sys­tem ist, dass ein bre­ites Pub­likum die Sum­men einiges bre­it­er streut, statt dass eine Elite den Gewin­nern Eliten­preise zahlt. Trotz­dem bleibt in einem Markt, der Indi­viduen als Marken han­delt, das Prob­lem immer das­selbe: Aufmerk­samkeit ist ein knappes und untreues Gut. Die meis­ten wer­den es nicht schaf­fen und wenn, nicht auf Dauer.

Kurz: Die Zeitung hat in der neuen Medi­en­welt eine höchst ungewisse Zukun­ft; das Indi­vidu­um, das allein auf sein eigenes Geschick baut, aber auch.

Ich fürchte, der harte Ton in der «Spiegel»-Debatte gle­icht den Prügeleien auf dem Pausen­platz in Bassers­dorf: Hier treten Macht­lose gegen Macht­lose an. In der Hoff­nung, bei einem möglichst harten Fight es in den sicheren Hafen des Estab­lish­ments zu schaf­fen.

Was natür­lich nie passieren wird.

Jed­er stirbt für sich allein

Das Üble an der Zeitungs­de­bat­te bis heute ist, dass sie zwar — wie jede Krise — die Leute zum Denken und zum Reden bringt: Nur denkt und redet jed­er für sich allein. Das nicht nur aus Eit­elkeit. Son­dern weil das Forum fehlt. Zwar gibt es Zeitun­gen, Twit­ter, Blogs und Kon­gresse, aber kein Pro­jekt.
 Das ist nicht zulet­zt die Schuld der­er, die bei der Tageszeitungs-Debat­te (mit der Aus­nahme eines Springer-Mannes) fast kom­plett schwiegen: der Ver­lage.

Das Prob­lem mit den Ver­la­gen ist, dass sie die Krise haupt­säch­lich mit dem Rot­s­tift bekämpfen. Oder dem Han­del­sreg­is­ter: durch Fusion oder Verkauf von Zeitun­gen. Investi­tio­nen flossen zwar in Ich-auch-Onlinepor­tale – schlicht, weil es ohne nicht mehr ging. Aber so gut wie kein Ver­lagshaus investierte ein paar wenige Gelder offen­siv in die Zukun­ft. Und machte eine oder mehrere kleine Entwick­lungsabteilun­gen für die eige­nen Pro­duk­te auf.

Das hat enorme Fol­gen für die Qual­ität der Zeitungs­de­bat­te. Würde man an einem Pro­jekt arbeit­en, müsste man a) zuhören, b) um konkrete Dinge stre­it­en. Und c) müssten die The­o­rien den Test der Wirk­lichkeit beste­hen. Doch so kann, wer aus Erfahrung spricht, nur aus sein­er Ecke sprechen. Das Charak­ter­is­tis­che an der Pressekrise ist, dass zwar die Branche langsam vor sich hin ser­belt, aber fast jed­er stirbt für sich allein. (Oder ret­tet sich allein.) Es fehlt das Kollek­tiv.

Eine Zeitung ist im Kern nicht Papi­er, nicht online, son­dern ein Organ­i­sa­tion­s­mod­ell. Im schlimm­sten Fall eine Ver­ar­beitungs­fab­rik für Nachricht­en, im besten ein Expe­di­tion­steam in die Wirk­lichkeit. Ihr Job ist auch durch bril­lante, gut ver­net­zte Einzelne nicht mach­bar.

Die poli­tis­che Frage

Was tun? Das Prob­lem für die aktuellen Köpfe ist, dass pub­lizis­tis­che Ideen nicht genü­gen, um aus der Falle zu kom­men. Es braucht organ­isatorisches Denken. Und es braucht noch mehr: Es braucht Pro­jek­te, also Unternehmer­tum und Investi­tio­nen.

Aber wenn schon Denken, dann glaube ich, dass Konzepte wie die Tageszeitungs-App des «Spiegel» der richtige Ansatz sind. Die App ist nicht per­fekt, sich­er. Und Kri­tik daran ist teils berechtigt. Doch es ist die Rich­tung, wie man die Zeitung neu denken müsste: nicht als Ren­o­va­tion des Beste­hen­den, son­dern als kom­plett neues Unternehmen. (Auch wenn die App erneut im Wesentlichen wieder nur nur der Plan eines einzel­nen Jour­nal­is­ten ist – und nicht die Kühn­heit eines muti­gen Ver­lagshaus­es.)

Aber darum geht es let­ztlich in der Zeitungs­de­bat­te: nicht um die Frage Print oder Online, nicht ein­mal um die Ret­tung des eige­nen Jobs, son­dern um den Neubau ein­er ganzen Insti­tu­tion. Und damit um zwei emi­nent poli­tis­che Fra­gen. Erstens: Was sind die Alter­na­tiv­en? Und zweit­ens, wie man sich organ­isiert.

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