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Die Saure-Gurken-Zeit

Von Lukas Vogel­sang - «Studie: Zehn Mil­lio­nen Deutsche trinken zu viel Alko­hol» (82,4 Mil­lio­nen Ein­wohn­er / Anm. Redak­tion) Eine Studie jagt die andere. Mal stim­men die Stu­di­en und sagen rot, dann stimmt das Gegen­teil und es ist belegt und bewiesen, dass es grün ist — doch schon nach einem Jahr kriegt irgendw­er was Neues raus und es wird alles vio­lett. Super. Das fördert und hebt den ohne­hin hohen Bil­dungs­grad in der Bevölkerung. Wir dür­fen gar nicht erwäh­nen, dass diese Stu­di­en von unser­er ange­blichen Elitege­sellschaft, den Uni­ver­sitätsgenossen, erstellt wer­den. Doch viel bedep­pert­er stellen sich die Medi­en darin an: Die druck­en was das Zeug hält — ist schliesslich wis­senschaftlich und belegt. Zudem sind solche Stu­di­en kurz und falsch genug, um nicht richtig ver­standen zu wer­den. Aber ein paar Mil­lio­nen LeserIn­nen schnap­pen sie jew­eils auf und die Stu­di­en-Spon­soren reiben sich genüsslich die Hände. Aha, es geht um Geld. Wohl deswe­gen sind da auch unsere Medi­en…

«Studie: Hoher Lärm­pegel in den Schulen Konzen­tra­tion lei­det» Mit diesen dümm­lichen — und notabene wis­senschaftlichen — Abhand­lun­gen gedenken vor­wiegend jün­gere Chefredak­torin­nen und Chefredak­toren (man liest eigentlich immer nur von Män­nern…), die Aufla­gen und das Inter­esse beim Pub­likum zu steigern. Ältere Semes­ter in dieser Branche ver­hal­ten sich eher zurück­hal­tend mit solch­er Art von «Short­news». Denn die jun­gen Beratungs­fir­men, welche heute den Medi­enun­ternehmungen zur Seite ste­hen, kom­men aus den heuti­gen Uni­ver­sitäten. Dort hat­ten sie gel­ernt, wie man eine Studie erstellt — egal was zu beweisen war, man kann alles beweisen. Mit Handw­erk und Erfahrung hat das schon lange nichts mehr zu tun. Und genau das verkaufen sie den Medi­en. Und diese verkaufen es der Leser­schaft. Und diese verkauft es ihren Kindern. Und diese wer­den es weit­er­verkaufen. Ich wette, man kön­nte dies wis­senschaftlich in ein­er Studie bele­gen.

«Studie: 90 Prozent der US-Babies sitzen vor der Glotze» Es gibt zwei Kat­e­gorien von Jour­nal­istin­nen und Jour­nal­is­ten: Die einen üben diesen Beruf aus, weil sie Geld ver­di­enen, die anderen, weil sie die Welt erk­lären wollen. Die eine Kat­e­gorie stirbt langsam aus oder wird mund­tot gekauft. Die meis­ten Jour­nal­istin­nen oder Jour­nal­is­ten welche ich kenne, arbeit­en fürs Geld und sind glück­lich, dass sie einen Monat­slohn haben. Erst danach kommt die Frage über den Inhalt — wenn diese Frage über­haupt noch kommt. Viele druck­en den Blödsinn ab, den der Chef oder die Chefin sehen will — wenn’s hoch kommt, lästert man noch auf einem Blog, natür­lich anonym. Und weil alles nach dem gle­ichen Muster abläuft, entschei­det die jour­nal­is­tis­che Instanz bei ein­er Mel­dung nicht mehr nach Sinn und Wahrheit, son­dern nach Lese­prozent und Unter­hal­tungswert. Der Jour­nal­ist und die Jour­nal­istin haben sich zu Leser-Enter­tainer­In­nen entwick­elt. Vor eini­gen Jahren erk­lärte mir ein Fre­und, dass der Berufs­be­griff Jour­nal­ist abgeschafft und durch «Fax­nachricht­enum­schreiber» erset­zt wer­den sollte. Wie Recht er hat­te.

Und weil Stu­di­en auch belegt haben wollen, dass der Men­sch nur noch Häp­pchen­nachricht­en will (neuste Mel­dun­gen aus den Medi­en: Nachricht­en wer­den gar nicht mehr gebracht, das ist noch kürz­er!), wer­den Häp­pchen­zeitun­gen erstellt. Jet­zt gibt’s also diverse Gratis-Mor­gen­zeitun­gen à la «20-Minuten», dann wird’s Gratis-Mit­tagszeitun­gen geben à la «20-Minuten» und etwas später lesen wir den ganzen Gratismüll vom Häp­pchen­tag in den Abendzeitun­gen à la «20-Minuten». Falsch, diese Zeitun­gen wer­den ja nicht für die Leser­schaft pro­duziert, son­dern haben nur den einen Zweck: Aushungern der Konkur­renz. Denn je mehr GratisHäp­pchen­zeitun­gen es gibt, umso schwieriger wird der Inser­atemarkt aufgeteilt. Dass der eine oder andere Ver­lag aufgeben muss ist das Ziel, nicht mehr die Leser­schaft. Und da die Mark­t­stu­di­en irgendwelche unwahren Wahrheit­en erzählen (Studie: Schweiz­er informieren sich über TV-Pro­gramm bei Tele­text), macht die Presseagen­tur läs­sig mit und platziert nach wis­senschaftlichen Stu­di­en und nicht mehr nach gesun­dem Men­schen­ver­stand.

«Studie: Online-Wer­bung: Stammt Ein Zehn­tel der Klicks von Betrügern?» Nein, der Betrug ist viel gröss­er.

Aus der Serie Von Men­schen und Medi­en
Car­toon: www.fauser.ch
ensuite, Juni 2007