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Die scheinbare Lust am Voyeurismus

Von Guy Huracek — Sex und Gewalt im Fernse­hen. Will man das wirk­lich sehen? Kurt Aeschbach­er ist der Mei­n­ung, die Medi­en wür­den mit solchen Skan­dalen nicht das Inter­esse der Zuschauer tre­f­fen. Mit Guy Huracek spricht Aeschbach­er über die Boule­var­disierung, das Zeitungsster­ben und warum er lieber ein Buch als Zeitung liest.

«Wenn sie das so schreiben, wer­den mich einige has­sen», sagt Kurt Aeschbach­er und fährt mit der Hand über die dun­kle Holztis­ch­plat­te, lehnt den Arm über den Pol­ster­stuhl und ergänzt: «Aber es ist mir egal.»

Der SF-Mod­er­a­tor Kurt Aeschbach­er scheint mit der Medi­enen­twick­lung in der Schweiz nicht ein­ver­standen zu sein. Die gedruck­te Presse würde das Inter­esse der Leute zunehmend ver­fehlen, alle Zeitun­gen seien boule­var­disiert und es fehle grund­sät­zlich an Recherchen und Analy­sen. Die Wirtschaft­skrise hätte dazu geführt, dass jed­er schreiben dürfe – Haupt­sache man ist eine bil­lige Arbeit­skraft. «Ich will sie jet­zt nicht angreifen, Herr Huracek», sagt Aeschbach­er und lässt sich mit der Antwort lange Zeit. «Aber früher hätte nicht jed­er Zwanzigjährige ein­fach so für eine Zeitung schreiben dür­fen.» Auf die Frage, was die Zeitun­gen anders machen sollen, meint Aeschbach­er, dass sie wieder einen eige­nen Stil find­en und für klare Posi­tio­nen ein­ste­hen müssen. Als Beispiel fügt er an: «Das Burnout. Plöt­zlich wird es in allen Medi­en als eine Krankheit beze­ich­net. Dadurch wird es zu ein­er Mod­eer­schei­n­ung, die nicht mehr hin­ter­fragt wird. Jed­er, der müde ist, lei­det nun plöt­zlich unter einem Burnout.» Andere Gesicht­spunk­te oder auch Erläuterun­gen und Hin­ter­gründe gäbe es in den Medi­en kaum mehr zu lesen. Jed­er schreibe dem anderen ab und dadurch entste­he ein Ein­heits­brei. «Inzwis­chen lese ich lieber ein Buch, das erfüllt mich mehr», sagt Aeschbach­er und nippt an sein­er Tasse Kaf­fee. Hin­ter ihm, in einem anderen Zim­mer, ist ein prall gefülltes Büchergestell zu sehen. «Bei den Chefredak­toren man­gelt es an Per­sön­lichkeit­en mit klaren Mei­n­un­gen. Es sind primär Man­ag­er, die genau­so Schrauben pro­duzieren kön­nten.»

Für Aeschbach­er ist das Fernse­hen der Inbe­griff der Boule­var­disierung. «Die optis­chen Reize zählen und weniger der Inhalt», sagt er. Wenn während sein­er Sendung, auf einem anderen Kanal «Germany’s next Top­mod­el» läuft, hat Aeschbach­er mas­siv weniger Zuschauer. Doch das TV hat im Ver­gle­ich zu den Print­me­di­en wenig­stens für die Mach­er einen tech­nis­chen Vorteil: Ob den Zuschauern eine Sendung gefällt oder nicht, kann man minuten­ge­nau an den Ein­schaltquoten erken­nen. Aeschbach­er meint dazu: «Vie­len Zeitungsjour­nal­is­ten fehlt diese direk­te Mess­barkeit und nie­mand weiss, was die Leser wirk­lich im einzel­nen schätzen.» So wür­den beson­ders in Boule­vardzeitun­gen laufend Skan­dale her­beigeschrieben, wofür sich die Leute eigentlich gar nicht inter­essieren. Die Empathie, das Inter­esse an pos­i­tiv­en Geschicht­en sei näm­lich bei den Men­schen gröss­er als die Lust am Voyeu-ris­mus.

Doch die Medi­en sind das Bindeglied zwis­chen Gesellschaft und Poli­tik. Sie wieder­spiegeln das Inter­esse der Men­schen. Aeschbach­er fügt hinzu: «Bed­ingt. Denn der heutige Jour­nal­is­mus hat eine komis­che Ansicht, was rel­e­vant ist und was nicht.» Die Men­schen hät­ten einen viel gesün­deren Men­schen­ver­stand und ein besseres Gespür für wichtige Fra­gen, als die Jour­nal­is­ten annehmen.

Onli­ne­nachricht­en sind für den Print­jour­nal­is­mus eine starke Konkur­renz. Wer eine Zeitung lesen will, kann dies längst gratis auf seinem iPhone tun — man kann sel­ber entschei­den, wann und wo man welche Nachricht­en liest. Eine Entwick­lung, die Aeschbach­er nicht fremd ist. «Genau­so wenig wie das Buch durch die Erfind­ung des Fernse­hens ver­schwun­den ist, wer­den Zeitun­gen ausster­ben.» Während Aeschbach­er diesen Satz sagt, ertönt mehrmals der Klin­gel­ton seines iPhones, als wollte es seine Aus­sage mit der Fan­fare unter­stützen. «Die Zeitun­gen müssen sich bewusst wer­den, dass heute das Inter­net Aktu­al­itäten schneller anbi­etet», sagt Aeschbach­er, «und dadurch die Zeitun­gen andere Auf­gaben haben». Er ist der Mei­n­ung, dass die Print­me­di­en mit weit­eren Ver­lus­ten rech­nen müssen, wenn sie ihre Qual­ität nicht verbessern.

Um sich vom ganzen Medi­en­wirbel zu erholen, geht Aeschbach­er mit seinem Hund spazieren. In der Natur fühlt er sich sehr wohl; er ist gerne in seinem Garten und liebt seine Pflanzen. Vor rund 20 Jahren hat er sich einen «Stein­haufen» mit einem grossen Garten in Frankre­ich angeschafft und geniesst dort die Anonymität. Doch Aeschbach­er ist der Mei­n­ung, dass nie­mand, der bekan­nt ist, sich bekla­gen soll, dass er im Ram­p­en­licht ste­ht. «Als Mod­er­a­tor kann man sel­ber kon­trol­lieren, was man von sich preis­gibt und was nicht.» Auf der Strasse wird er von vie­len Leuten ange­sprochen und er habe Ver­ständ­nis dafür. «Übers Fernse­hen bin ich in vie­len Wohnz­im­mern. Die Leute bauen so eine pri­vate Beziehung zu mir auf.» Aeschbach­er lehnt sich nach vorne, stützt bei­de Ell­bo­gen auf die Tis­ch­plat­te und sagt: «Mod­er­a­tor sein ist für mich eine Leben­se­in­stel­lung.»

Foto: zVg.
ensuite, Juni/Juli 2010

 

Artikel online veröffentlicht: 7. November 2018