Von Barbara Roelli — Dieses Bauwerk ist frei von unnötigem Schnickschnack. Statt mit Schnörkeln, besticht es durch klare Linien – sein einfaches Bausystem besteht nämlich aus Lagen: Blätterteig – Vanillecreme – Blätterteig – Vanillecreme – Blätterteig – Zuckerguss. Das Bauwerk ist süss und weiblich, ihr Name: Crèmeschnitte.
Doch so verführerisch sie ihre Crème zwisch-en dem knusprigen Blätterteig auch präsentiert – ein Problem hat jede/r mit dieser Schnitte: Wie nämlich lässt sich eine Crèmeschnitte richtig essen? Gewöhnlich geht man ja davon aus, dass man etwas, was zum Verzehr gedacht ist, auch so in Angriff nimmt, wie es vor einem steht. Im Fall Crèmeschnitte ist die glänzende Zuckerglasur das erste, was einem unter die Gabel kommt. Durch den Druck der Gabel aber kippt die Glasur, mit der darunter liegenden ersten Blätterteigschicht, nach oben. Auch die Vanillecrème hält der Gabel nicht Stand und ergreift die Flucht auf alle vier Seiten. Die Crème quillt also aus der Schnitte heraus, vorauf diese an Höhe verliert und schliesslich völlig in sich zusammenfällt. Was zurückbleibt ist ein Haufen Konfiserietrümmer. Die Crèmeschnitte ist dem Erdboden gleich gemacht. Gibt es eine Möglichkeit, ein solches Schlachtfeld zu verhindern?
Ich frage nach beim Schweizerischen Bäcker- und Konditorenmeister-Verband SBKV. Die Crèmeschnitte hat übrigens bereits ein Jahrhundert überlebt, denn im Archiv des Verbandes findet sich ein Rezept für Crèmeschnitten aus dem Jahr 1890. Der Autor, ein Konditor aus Basel, schreibt darin, wie die Vanillecrème die richtige Konsistenz erreicht: Die Vanillecrème wird mit Gelatine vermischt «und sofort soviel frischgeschlagener, ungezuckerter Rahm hineingerührt, wie nötig ist, um den Blätterteigboden daumenhoch garniren zu können.» Eine Anleitung, wie man die Crèmeschnitte am schlausten isst, liefert das historische Rezept allerdings nicht. Daniel Jakob vom SBKV empfiehlt mir jedoch, die Crèmeschnitte zum Essen auf die Seite zu legen und sie so mit der Gabel zu portionieren. Dies funktioniert nach meiner Erfahrung – allerdings muss der «Schnitt» mit der Gabel präzise von oben ausgeführt werden. Am Besten stellt man sich dabei vor, die Gabel sei die Schneide einer Guillotine. Den ultimativen Erfolg beim Schneiden der Crèmeschnitte scheint aber der «Crèmeschnittenschneider» von Kyburz, der Bestecke GmbH im aargauischen Erlinsbach, zu versprechen. Der Schweizer Erfinder Roland Kyburz hat mit dem «Crèmeschnittenschneider» an der Erfindermesse 2004 in Genf die Silbermedaille gewonnen. Der Schneider sieht aus wie eine Kreuzung zwischen Schere und Zange, und damit lässt sich eine Crèmeschnitte tatsächlich mit dem Zuckerguss nach oben schneiden – und die Schnitte bleibt dabei erst noch in Form. Dies beweisen jedenfalls die Bilder auf der Webseite von Kyburz.
Doch auch wenn ich mit solch einem ausgeklügelten Gerät tadellos, ja sogar anmutig, eine Crèmeschnitte essen kann – ich will das gar nicht. Eine Crèmeschnitte ist nun mal nicht dezent und unschuldig – sie ist üppig und zeigt ihre Fülle. Und wo, wenn nicht beim Essen, kommt diese so richtig zum Tragen? Dabei erinnere ich mich an ein Pfadfinderlager, in dem uns Eltern ein Dessert spendierten, in Form von Crèmeschnitten aus der Dorfbäckerei. Und weil wir in Zelten übernachteten und über Feuer kochten, waren wir uns das einfache Leben gewohnt. Und genauso unkompliziert assen wir dann auch die Crèmeschnitten – von Hand nämlich. Dazu versammelten wir uns unter dem Sarasani, dem grossen Zelt aus Blachen, denn es regnete. Ich, 12-jährig ungefähr, stand da mit Gummistiefeln und biss in die Crèmeschnitte. Ich spürte die Vanillecrème an meinen Backen kleben, den knusprigen Blätterteig zwischen den Zähnen und den Zuck-erguss, wie er auf meiner Zunge schmolz. Vom nahe gelegenen Wald roch es nach nassem Holz. Und ich war selig.
Foto: Barbara Roelli
ensuite, April 2012