- ensuite - Zeitschrift zu Kultur & Kunst - https://www.ensuite.ch -

«Die Stadt Bern wollte uns schlicht aus dem Markt drängen»

Inter­view von kleinreport.ch mit dem Grün­der und Chefredak­tor Lukas Vogel­sang, zum 15. Jubiläum­s­jahr von ensuite — Zeitschrift zu Kul­tur & Kun­st, erschienen am 08.01.2018:

Aus welch­er Idee ist «ensuite» ent­standen?

Grund­sät­zlich ging es um die Idee, ein Kul­tur­magazin zu bauen, und nie um Geld. Da ent­stand auch der Satz «Es geht um Inhalt, nicht um Geld», den wir vor zwei Jahren, im Zusam­men­hang mit dem Kul­turkonzept der Stadt Bern, wieder aus­pack­ten (www.kulturkonferenz.ch). Ursprünglich hat­te ich die Idee, einen Medi­en­be­trieb wie das Betrieb­ssys­tem Lin­ux aufzubauen. Also «open source», mit vie­len vere­in­ten Kräften. Je mehr Men­schen daran arbeit­eten, umso weniger hat­te jed­er Einzelne zu investieren. Meine Arbeit bestand aus Koor­di­na­tion von Moti­va­tion und die Arbeitsabläufe zu bün­deln. Das Exper­i­ment hat viel bess­er funk­tion­iert, als ich mir das vorgestellt hat­te. Bis heute funk­tion­ieren wir so.

 Natür­lich steck­en dahin­ter noch einige Gedanken mehr: Kul­turme­di­en gehören zu den medi­alen Königs­diszi­plinen. Kul­tur und Kun­st wer­den vom Indi­vidu­um immer indi­vidu­ell wahrgenom­men und nur in der Gemein­schaft als Kul­tur oder Kun­st definiert. Insofern kann man eigentlich gar kein Mag­a­zin für diese Bere­iche pro­duzieren, ohne dauernd LeserIn­nen auszuschliessen. Und weil Kul­turelles immer ganz viel mit der per­sön­lichen Mei­n­ung zu tun hat, bewe­gen wir uns in einem sehr emo­tionalen Umfeld. «ensuite» startete noch bevor es Face­book und die «Sozialen Medi­en» gab, aber wir haben schon immer genau mit und in diesem sozial-medi­alen Umfeld gear­beit­et. Die per­sön­liche «Mei­n­ung» ist im Kul­tur­jour­nal­is­mus ein zen­trales Ele­ment. Das hat­ten wir schon damals ver­standen.

 

Warum wird «ensuite» — im Gegen­satz zu anderen Kul­turzeitschriften — nicht (vom Kan­ton) unter­stützt?

Also grund­sät­zlich wer­den kaum Kul­turzeitschriften öffentlich direkt gefördert. Aber indi­rekt schon, meis­tens durch sub­ven­tion­ierte Ver­anstal­ter­grup­pen, was ich wiederum schwierig finde. Aarau ist eine grosse Aus­nahme, da bot der Kan­ton gle­ich zweimal eine Start­sub­ven­tion­ierung an, in Bern zahlt die Stadt eine Dauer­sub­ven­tion (bish­er über 1.5 Mil­io­nen) für die „Bern­er Kul­tur­a­gen­da“. Wir haben in den 15 Jahren ins­ge­samt unge­fähr 185’000 Franken von öffentlichen Ämtern erhal­ten. Allerd­ings wed­er als Start­fi­nanzierung deklar­i­ert noch mit einem Leis­tungsauf­trag ver­bun­den, was ich mir eigentlich gewün­scht hätte. Ich musste alles mit Einzelge­suchen lösen, die ich immer wieder ein­re­ichte, teils für eigen­ständi­ge Pro­jek­te. Vom Kan­ton Bern allein erhiel­ten wir dadurch in acht Jahren ins­ge­samt 98’000 Franken – die Druck- und Ver­trieb­skosten für einen Monat betru­gen damals allein 25’000 Franken. Der dama­lige Leit­er vom Amt für Kul­tur vom Kan­ton Bern hat­te ein halbes Ohr für uns. Seine spätere Nach­fol­gerin «ver­gass» dann allerd­ings den Sinn der Sache und sah nur noch Para­graphen. Ab da ging es um das «Sub­sidiar­ität­sprinzip» bei Gesuchen – obwohl dies in ihrem Kul­tur­re­gle­ment sel­ber rel­a­tiviert ist. End­lose Sitzun­gen und zig Eingaben später sagte sie dann trotz­dem ab, gab uns aber über­raschen Geld für eine neue Web­seite, für die wir nie ein Gesuch eingegeben aber schon pro­duziert hat­ten.

In Zürich war die Sit­u­a­tion nicht bess­er, denn ich hat­te ein informelles Gespräch mit Jean Pierre Hoby, der sich inter­essiert zeige und sich melden wollte – allerd­ings genau einen Monat später gab er im Gemein­der­at ein eigenes Pro­jekt ein. Mir hat­te er nichts davon erzählt. In Bern wur­den wir eben­falls vom dama­li­gen Kul­tursekretär konkur­ri­ert, der sein eigenes Kul­tur­blatt pro­duzieren wollte. Die Städte, wenn sie denn was machen, geben sehr viel Geld aus für ihre eige­nen Pub­lika­tio­nen, die aber kaum an Boden gewin­nen, und pri­vat­en Organ­i­sa­tio­nen wiederum bekom­men kaum Beiträge, um beste­hen­des zu finanzieren. Und so ziehen sich immer mehr pro­fes­sionelle Medi­en­be­triebe, ob klein oder gross, zurück und über­lassen das Feld der Kul­turme­di­en den Ämtern. Das ist fatal.

Es bleibt vor­erst schwierig: Mit den Behör­den geht es nie um die Sache an sich. Es geht immer um Macht, Ver­ant­wortlichkeit­en, Äng­ste, Kom­pe­ten­zen – aber nie um Kul­turme­di­en oder Dien­stleis­tun­gen.

 

Sie schreiben in diesem Zusam­men­hang von «nichteinge­hal­te­nen Ver­sprechun­gen»: Inwiefern?

Per­so­n­en­wech­sel bei den öffentlichen Kul­turstellen kosteten uns viel Geld. Generell gese­hen auch bei den Wer­bekundIn­nen. Jede Diskus­sion begin­nt immer wieder bei Null. Wenn vorher jemand etwas definiert, existiert  das mit dem näch­sten Wech­sel nicht mehr. Insofern ist «poli­tis­ches Geld», was öffentliche Unter­stützungs­beiträge immer sind, sehr gefährlich – auss­er man erar­beit­et mal grund­sät­zliche Def­i­n­i­tio­nen und Regelun­gen. Das sieht man ja auch bei der ganzen SRG-Diskus­sion. Insofern wurde uns beim Kan­ton ver­sprochen, dass wir jährlich etwas Geld kriegen wür­den – allerd­ings haben wir zum Beispiel ein­mal einen polemis­chen Artikel über das Bern­er Stadtthe­ater pub­liziert und darauf kürzte uns der Amtsvorste­her den jährlichen Zus­tupf um 50 % mit der Begrün­dung, dass er ja im Ver­wal­tungsrat des The­aters sitze. Eine Zürich­er Grossver­anstal­terin war allerd­ings noch schlim­mer: Sie zog einen Wer­beauf­trag zurück, nach­dem wir nach Zürich expandierten und das kostete uns zum Auf­takt 50’000 Franken. Am Schlimm­sten war natür­lich die Stadt Bern, die uns kopierte, die pub­lizis­tis­che Ober­hand behal­ten und uns schlicht aus dem Markt drän­gen wollte.

Ich bin ziem­lich stolz, dass es „ensuite“ trotz­dem immer noch gibt. Die let­zten 15 Jahre waren für mich wie ein Sprint und jedes Jahr ver­sucht jemand, mir noch eine Bleikugel mehr anzuhän­gen. Ein hartes Train­ing.

 

Wie gelingt es Ihrer Zeitschrift, zu über­leben? — Wie haben sich die Zahlen (Umsatz, Abon­nements) in den let­zten Jahren entwick­elt?

Über­leben trifft es schon auf den Kopf. Das Prob­lem ist, dass der Kul­turme­di­en­markt von den Tagesme­di­en aus­ge­höhlt und zer­stört wurde. Ich spiele damit auf diese pseu­do Kul­turbeila­gen an, wie das «Z» bei der NZZ oder wie sie alle heis­sen. Diese Wer­be­beila­gen graben den Kul­tur- und Kun­st­magazi­nen den Werbe­markt ab. Deren Zweck ist nur Wer­bung und «prod­uct place­ment» und das zer­stört im Umfeld die inhaltlichen Titel. Die inhaltliche Rel­e­vanz der Kul­turme­di­en hat der Self­ie-Kul­tur Platz machen müssen – wobei nie­mand wirk­lich Self­ies sehen will.

Über­rascht hat mich let­ztes Jahr Ringi­er, die im Feb­ru­ar das «Monopol» und «Cicero» raus­ge­wor­fen haben. Nach der Medi­en­mit­teilung klin­gelte bei uns bere­its am näch­sten Tag das Tele­fon und Wer­beagen­turen aus Eng­land, Deutsch­land, Ital­ien und Öster­re­ich nah­men mit uns Kon­takt auf. Diese Kul­turme­di­en-Degen­er­a­tion hat auch Vorteile: Wir wer­den «von selb­st» immer mehr ins Ram­p­en­licht gestellt, weil es kaum noch jemand in dieser Grösse gibt. Unter­dessen haben wir eine höhere Auflage als das «DU» oder das «Kun­st­bul­letin» und dies mit einem Mag­a­zin, dem man eigentlich kein Wach­s­tum prog­nos­tiziert hat. 

Auf der anderen Seite ist da aber auch die Leser­schaft, die ensuite sehr schätzt und die Abos Jahr um Jahr ver­längert. Wir haben immer noch kaum Abgänge und wach­sen immer noch. Die Wer­beein­nah­men kon­nten wir eben­falls ruhig und gle­ich­mäs­sig hal­ten, weil wir uns im Markt nicht ver­spie­len. Gross­es High­light war natür­lich, als «Her­mès Schweiz» oder «Vol­vo» bei uns ein­stieg und es ist auch span­nend, dass wir immer noch eine Medi­en­part­ner­schaft mit der Tame­dia haben. Ich bin zuver­sichtlich, dass wir in den näch­sten Jahren um einiges wach­sen wer­den. Unsere, aber auch die gesellschaftlichen Entwick­lun­gen bestäti­gen den Kurs.

Allerd­ings ist natür­lich klar, dass dies finanziell für uns noch immer nicht inter­es­sant ist. Aber eben: Was ist wichtiger? Das Geld oder das inhaltliche Mag­a­zin? Ich will Zweit­eres, das ist mein Beruf.

 

Wie ver­hin­dern Sie es, zum «reinen Pro­pa­gan­da-Wer­be­heftchen» zu verkom­men? Wo liegt die Gren­ze bezüglich Wer­bung in der Zeitschrift?

Das ist in der Tat wahnsin­nig schwierig gewor­den, der Druck ist unheim­lich. Allerd­ings muss ich mir täglich vor Augen hal­ten, wozu wir unsere Arbeit machen und für wen. Das hil­ft. Wichtig­stes Kri­teri­um ist, dass wir eine pri­vate, ganz unab­hängige Medienor­gan­i­sa­tion sind. Wir gehören kein­er Ver­anstal­terin und kein­er Behörde, kein Lob­by-Ver­band kann Ein­fluss nehmen. Unser «Kun­den­fokus» richtetet sich 1. auf die LeserIn­nen, 2. auf die Wirtschaft, 3. auf die Kul­tur- und Kun­st­szene. Selb­st, wenn sich mal eine Kul­tur­gruppe gegen uns stellt, dann ver­lieren wir «nur» ein paar Inser­ate – aber nicht die LeserIn­nen. Im Gegen­teil: Wir gewin­nen ja an Rel­e­vanz, wenn wir öffentlich unsere Mei­n­ung sagen und Dinge laut kri­tisieren. Genau hier erhal­ten wir sehr grosse Unter­stützung von pri­vat­en Per­so­n­en, die dieses Engage­ment schätzen und uns deswe­gen unter­stützen. Dieses Geld ist unab­hängiges Geld.

 

Was braucht es, damit «ensuite» mit­tel- bis langfristig über­leben kann?

Eigentlich recht wenig. Klar, wir brauchen wie alle Abos und Wer­bung, aber da sehe ich noch viel Hor­i­zont. Ensuite ist aber im grossen und ganzen selb­st­tra­gend. Da wir aber kaum Gewinn machen kön­nen, ist es nur schwierig, die Alt­las­ten los zu wer­den. Die sind momen­tan mit pri­vat­en Dar­lehen gedeckt. Zur Zeit entwick­eln wir neue Pro­duk­te, um an frisches Geld ranzukom­men. Und auch ganz gut: Das Inter­esse für Kul­tur und Kun­st nimmt nicht ab.

 

Welchen redak­tionellen Maxi­men fol­gt «ensuite»?

Es ist ein bewusstes Konzept, dass die Sprachqual­ität im ensuite enorm bre­it daherkommt. Wir ver­suchen hier keine Ein­heit zu schaf­fen, wo es keine Ein­heit gibt und auch nicht gefragt ist. Unsere Stärke ist die inhaltliche Bre­ite und Tiefe. Inhaltlich geben wir den Jour­nal­istIn­nen sehr viel Frei­heit, um die Moti­va­tion möglichst hoch zu hal­ten. Wir machen keine gemein­samen Redak­tion­ssitzun­gen und die rund 40 Mitar­bei­t­erIn­nen brin­gen ihre The­men ganz nach ihrem Erspüren. Damit laufen wir nicht in Gefahr, dass wir als Mag­a­zin «die» Kul­tur oder «die» Kun­st zu definieren begin­nen. Und deswe­gen find­et man bei uns immer einzi­gar­tige Geschicht­en, über die kaum nie­mand berichtet hat oder nie­mand bringt. Zum Beispiel, als wir dem Betrüger Rober­to di Pasquale auf die Schliche kamen – das war spek­takulär und wir erhal­ten noch heute Zuschriften deswe­gen. Auch einzi­gar­tig waren das Inter­view von Son­ja Wenger mit Simon Pegg oder Sal­va­tore Pin­tos Geschicht­en aus Capri.

Anson­sten hal­ten wir uns an die Rechte und Pflicht­en vom Schweiz­erischen Presser­at – was für den Kul­tur­jour­nal­is­mus auch nicht selb­stver­ständlich ist.

 

«An erster Stelle ste­hen bei uns die LeserIn­nen»: Welche Entwick­lung beobacht­en Sie bei anderen Medi­en?

Nun, wenn Ringi­er ein Mag­a­zin wie das «Monopol» ein­stellt, dann nur, weil es für die AktionärIn­nen nicht die gewün­schte Ren­dite in ein­er gewis­sen Zeit erre­icht hat. Das hat mit LeserIn­nen und Medi­en wenig zu tun. Es geht aber auch darum, dass in der Medi­en­welt nicht der Kunde «König» ist. Die «Mei­n­ung» ist vielle­icht «König». Und die entste­ht nicht dadurch, dass wir uns anbiedern und den LeserIn­nen das erzählen, was sie eh schon denken. Wir müssen die LeserIn­nen rüt­teln und gedanklich Unan­genehmes so schreiben, dass sie uns lesen, dass sie über­rascht wer­den. Als ich mit den lan­gen redak­tionellen Tex­ten startete, mein­ten vor allem Jour­nal­istIn­nen, dass dies «nie­mand lesen werde». Heute ist es ger­ade der Grund, warum wir noch existieren: Wir schreiben und erzählen etwas. Viele Medi­en gle­ichen heute der Wer­bepause im TV während eines Films. Wer will sich das anse­hen?