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Die Theatererfinderin

Wer Sehge­wohn­heit­en verän­dert, durch­bricht die Blind­spi­rale. Eine Weiber­fik­tion von Gueril­la Girl Dr. Reg­u­la Stämpfli: Inter­view mit der neuen The­a­ter­di­rek­torin des Peri­o­denthe­aters in München, Deutschvul­va:

Von Chris­t­ian Muster – Die neue Chefin des führen­den Münch­n­er Peri­o­denthe­aters im Gespräch zum Beginn ihrer Inten­danz.

Andrea Beck­en sitzt im von ihrer Vorgän­gerin äusserst lux­u­riös ein­gerichteten Inten­dan­tinnen­büro. Dieses umfasst ein gold­enes Bidet mit gross­er Apol­lon­darstel­lung, ja, es ist eine Kopie der bekan­nten Penisohne-Vorhaut von Jeanne Matisse. Auch der nuss­baum­feine Schreibtisch ist an den Enden klas­sisch mit den nie erre­icht­en Déco-Hoden der Kün­st­lerin Balthu­siana verziert. Das The­ater­ge­nie Andrea Beck­en stre­icht während des Gesprächs immer wieder zärtlich über diese sich sinnlich ins Gesamtkunst­werk einge­fügten, per­fekt geformten Jung­män­ner-Eier, den­jeni­gen des damals elfjähri­gen Lieb­habers von Balthu­siana nachge­bildet.

ensuite: Sie sitzen als beken­nende Man­nin­istin, bekan­nt für Ihr Engage­ment zugun­sten der Gle­ich­stel­lung von Frauen und Män­nern, an diesem Tisch, der mit diesen Knaben­ho­den  gegen­wär­tig arg in Kri­tik ste­ht.
Andrea Beck­en (lacht laut und her­zlich): Ach, wis­sen Sie, das hat mir meine Vorgän­gerin einge­brockt. Ich wollte das Büro, das damals die Steuerzahlerin doch einen beträchtlichen Betrag gekostet hat, nicht schon wieder umgestal­ten, also machen wir das Beste draus. Zudem zeigt das sehr fortschrit­tliche Essen­er Muse­um Folkvenus eine Polaroid-Ausstel­lung der ästhetisierten Hoden- und Knaben-Bilder der bekan­nten Kün­st­lerin. Da wer­den über 2000 Polaroid-Bilder von wun­der­hüb­schen Knaben in ein-zwei­deuti­gen Posen gezeigt. Balthu­siana (1908–2001) war ja bekan­nt dafür, den jun­gen Knabenkör­p­er sehr orig­inell zu insze­nieren. Die Polaroids von sehr hoher kün­st­lerisch­er Qual­ität hat sie noch im Alter von über 80 geschossen.

Doch sollte in Zeit­en von #Men­Too, dieser Bewe­gung meist junger Män­ner, die sich gegen die Verd­inglichung und Objek­tivierung ihres Kör­pers wehren, nicht aus­gerech­net ein öffentlich­es Muse­um Bilder ein­er umstrit­te­nen Kün­st­lerin ausstellen, der Kinder- und Män­ner­miss­brauch im Werk vorge­wor­fen wird?
Ach, die Kura­torin von Folkvenus, eine gute Fre­undin von mir übri­gens, die bekan­nte Anto­nia Bez­zoli­na, ist sehr betrübt über das Missver­ständ­nis und die Schlagzeilen. Sie ist eine aus­gewiesene Exper­tin, und ihr ging es NIE und NIMMER um die nack­ten acht- bis elfjähri­gen Kör­p­er der süssen Knaben, son­dern um die Rela­tion zwis­chen Malerei und Fotografie. Dass nun aus­gerech­net das Jugen­damt ein­schre­it­et, zeigt den teils kon­trapro­duk­tiv­en Feldzug der Man­nin­is­ten und Gen­der­ak­tivis­ten, sich allzu oft auf poli­tis­che Kor­rek­theit zu berufen.

Nun hat sich aber die links­man­nis­tis­che Zeitung «Die Uhr» vehe­ment gegen die Schau aus­ge­sprochen, sie mith­il­fe ein­er Exper­tin als «Doku­mente verge­walti­gende Knaben-Gier» charak­ter­isiert.
Auch das wird dem jahre­lan­gen Engage­ment der ausseror­dentlichen und mit den wichtig­sten Preisen dieser Repub­lik über­häuften Kura­torin nicht gerecht. Sie wollte nicht über die Gren­zen kün­stlich­er Frei­heit disku­tieren. Es stand immer nur das urkün­st­lerische Inter­esse im Vorder­grund, nie etwas anderes. Doch da sich die Debat­te nicht mehr um die Bildqual­ität ent­fachte, musste bedauer­licher­weise dann die Ausstel­lung doch abge­sagt wer­den: Not­bremse wegen des öffentlichen Sta­tus des Muse­ums. (Beck­en seufzt) Dabei waren Auss­chnitte der Polaroid-Serie Balthu­sianas schon in der renom­mierten Augen­heim-Galerie in New York zu Gast. Und der bekan­nte Baum­woll-Ver­lag in München wird eine lim­i­tierte Auflage von den Polaroid-Bübchen in orig­ineller Kun­st­form her­aus­geben. Aber wir woll­ten doch über meine neue Inten­danz hier in München sprechen.

Da das Peri­o­denthe­ater mit Ihnen nun eine neue Hand­schrift kriegt, mussten wir nach­fra­gen. Denn Sie sol­i­darisierten sich öffentlich mit Anto­nia Bez­zoli­na. Gle­ichzeit­ig unter­stützen Sie die Män­ner­be­we­gung, nen­nen sich teil­weise sog­ar «Man­nistin». Wer hat Sie über­haupt darauf gebracht? Ihr zweit­er Mann soll ja vor vier Jahren in Basel seinen Pen­ishal­ter mit anderen jun­gen Män­nern öffentlich ver­bran­nt haben.
(lacht wiederum schal­lend): Ach, mein Max­im und sein authen­tis­ch­er Über­mut! Max­im hat mich sehr inspiri­ert und mit seinen 23 Jahren ist er viel älter als ich mit über 50! So einen reifen jun­gen Men­schen habe ich noch nie getrof­fen und mich sofort in seine intel­li­gente, selb­st­sichere und wun­der­schöne Art ver­liebt. Es war übri­gens Max­im, der mich dazu drängte, ihn zu heirat­en, nicht umgekehrt. Auf­grund des Alter­sun­ter­schieds war mir das zunächst etwas pein­lich. Doch Max­im meinte, er sei mein See­len­ver­wandter, und er hat recht. Und wann gibt es schon eine der­ar­tige Beziehung auf Augen­höhe zwis­chen Frau und Mann? Sie ist ja selb­st in Zeit­en von #Men­Too eher sel­ten im Sinne, dass Män­ner den Haupt­teil der Beziehung, des Nach­wuch­ses, des Haushalts tra­gen und zudem weniger ver­di­enen als die Frauen, selb­st bei gle­ich­er Posi­tion und Aus­bil­dung. Wir sind daran, in der Welt und mit der Welt diese Muster in unser­er Beziehung zu durch­brechen.

Sie hat­ten eine grosse Pro­duk­tion mit Simone Stein vorge­se­hen. Für den Saisonauf­takt war alles schon vor­bere­it­et, dann kam die kurzfristige Absage von ihr, da Simone Stein eine Serie mit Ama­zon dreht. Wer­den Sie nochmals mit Simone Stein pla­nen?
Ja, das riss eine grosse Lücke in unseren Spielplan. Aber ich wusste, wie lange Simone die wirk­lich gute Serie schon geplant hat­te und immer am Bud­get scheit­erte, bis nun Ama­zon ein­sprang. Da muss frau Ver­ständ­nis haben: Eine solche Per­sona und ein der­ar­tiges Genie kriegt frau nicht an jed­er Strasse­necke.

Hät­ten Sie keinen Ersatz suchen kön­nen? Vielle­icht einen männliche Pro­duzen­ten, damit auch mal der Diver­sität und dem Ruf nach Gle­ich­stel­lung Genüge getan wer­den kann?
Es ist ein­fach so, dass es keine männlichen Regis­seure vom Kaliber von Simone Stein gibt, noch nicht. Unser Pub­likum, übri­gens auch das männliche, will nicht auf Stars verzicht­en, und deshalb haben wir andere Lösun­gen find­en müssen.

Wie sieht jet­zt Ihr Spielplan unter diesen verän­derten Bedin­gun­gen aus?
Wir haben ein wun­der­bares mod­ern-klas­sis­ches Pro­gramm, das sich über die Jahre hin­weg sehr bewährt hat. Die Wertherin, die Faustin, Hen­ri­et­ta, Köni­gin Lean­dra, die drei Brüder – ach, es gibt so viele ewige The­men. In unseren Insze­nierun­gen gibt es viele Parts für Män­ner, ja sog­ar einen alten Mann, was doch eher sel­ten ist. Also punk­to post­mod­erne Geschlechts­beziehun­gen sind wir im Peri­o­denthe­ater ganz weit vorne. Und wenn wir schon dabei sind: Ben­dicht Bergler hat bei mir auch schon mal den Mephis­to gespielt. Die klas­sis­che Böse von einem Mann insze­niert, ein ungewöhn­lich­es Bild, sind doch Män­ner auf Greterich abon­niert. Doch das Exper­i­ment gelang. Wir pla­nen zudem, Köni­gin Lean­dra zum ersten Mal mit einem schwarzen Mann zu beset­zen. Dies hat schon der Lon­don Globe aus­pro­biert und das Pub­likum soll geto­bt haben. Liso Sun­shine ist der Jungstar der Szene: Es ist sel­ten, einen 20-jähri­gen Mann mit solch­er Ausstrahlung zu kriegen. Die Kri­tik war sich einig: Die ver­rück­te, vor Machtlust und Eit­elkeit mit Irrsinn geschla­gene Köni­gin im Män­nerkör­p­er, der auf den ersten Blick nicht als solch­er erkennbar ist, ein Genuss epis­chen Aus­mass­es.

Dieses Rol­len­spiel, ist das Ihre Vision, das Ver­hält­nis von Mod­erne und Klas­sik in Bay­ern neu zu inter­pretieren?
Ach, wis­sen Sie: Für mich ist ein The­ater immer lokal. Es find­et genau dort statt, wo es eben ist. Die höfis­che Tra­di­tion der grossen König­in­nen in Bay­ern spielt nach wie vor eine barock-wichtige Rolle. Dem muss auch mit Neudeu­tun­gen von Theodo­ra Dorner, Ebe­linde Weiss und Han­nah Fried­hof Rech­nung getra­gen wer­den. Nur allzu viele Exper­i­mente wer­den wir in Bay­ern nicht unternehmen, dafür ist nicht nur das Pub­likum zu wertkon­ser­v­a­tiv, was übri­gens gar nicht stimmt, son­dern das Peri­o­denthe­ater war schon bei der Grün­dung ein Exper­i­ment und wir kön­nen nur an diese klas­sisch weib­liche und avant­gardis­tis­che Tra­di­tion anknüpfen.

Ihre Vorgän­gerin­nen stammten zum Teil aus Öster­re­ich und der Schweiz. Spielt die Herkun­ft für Inten­dan­tinnen eine Rolle im Hin­blick auf die Pro­gramme, die gespielt wer­den?
Gute Inten­dan­tinnen kön­nen von über­all herkom­men, einzig die Sprachge­walt spielt eine gewisse Rolle. Doch wie sie bei der Berlin­er Volks­bühne gese­hen haben, hat Chris­tine Dallmey­er die Volks­bühne selb­st als nicht deutschsprechende Inten­dan­tin auf Vorder­frau gebracht. Let­ztlich geht es bei allem, wie über­all auf der Welt, um Kom­pe­tenz. Da spie­len Herkun­ft, Geschlecht, Haut­farbe keine Rolle.

Seit «Men’s Lives Mat­ter» wird die völ­lig Unter­vertre­tung von Män­nern und Men­schen unter­schiedlich­er Haut­farbe auf allen Büh­nen der Welt aufgezeigt, heftig disku­tiert. Wer­den Sie hier was an der tra­di­tionellen Rol­len­verteilung ändern?
Wie gesagt, ich bin extrem män­ner­fre­undlich unter­wegs, nicht zulet­zt dank meinem jun­gen Part­ner. Aber auch Max­im hat mir erk­lärt, dass sich Män­ner sehr schw­er­tun, als Quoten­män­ner zu irgendwelchen Posten zu ger­at­en. Und seien wir ehrlich: Es gibt mit­tler­weile so viele tal­en­tierte junge Män­ner, da ist das Gerede um gerechte Geschlechter­verteilung wirk­lich fehl am Platz. Was Diver­sität bet­rifft, so spielte Aman­da Jack­son aus der Karibik vor zwei Jahren drei Saisons den Ham­let, und unter der alten Star­regis­seurin Cas­tor­fia in Wien ist mit­tler­weile das gesamte Bühne­nensem­ble nicht weiss und es gibt ein Drit­tel Män­ner. Und noch etwas zum The­ma: Es ist nun ein­fach eine Tat­sache, dass Män­ner und Men­schen mit Migra­tionsh­in­ter­grund his­torisch noch nicht die Möglichkeit hat­ten, The­ater­stücke, Romane zu schreiben. Doch das hat sich doch beträchtlich verän­dert: Die Zeit wird alles richt­en. Zudem braucht man – ger­ade in Zeit­en der Trans­for­ma­tion – Kom­plizen­schaft mit dem Pub­likum, das erträgt nur bis zu einem gewis­sen Grade ständi­ge Inno­va­tion.

Ihr Loderich von Franziska Wiedekind hat Furore gemacht, eben­so «Eine Stadt sucht eine Mörderin», in der eine geistig behin­derte Frau unschuldig der Verge­wal­ti­gung und des Mordes an einem kleinen Buben verdächtigt wird. Auch Loderich ist nicht unum­strit­ten. Der ero­tis­che Kon­text wird durch bru­tale pornografis­che Träumereien der Erzäh­lerin drastisch auf die Bühne gestellt: Da leck­en sich junge Män­ner unen­twegt ihre Schwänze gegen­seit­ig, auch der After wird nicht ver­schont. Dies während die Busi­ness­frauen sich lustig machen und Wet­ten abschliessen, wer die erste Geschlecht­skrankheit kriegt, bevor sie sich mit Geheul auf die jun­gen Män­ner, von denen der jüng­ste erst 14 Jahre alt ist, stürzen. Ist dies wirk­lich noch zeit­gemäss?
Sie ver­ste­hen hier den Kon­text nicht: Es ist eine iro­nis­che Auseinan­der­set­zung mit dem «Mäd­chen Ter­ri­ble» Franziska Wiedekind. Schliesslich sind die Penisse Loderichs Honigtöpfchen, die laden zur bes­tialis­chen Schän­dung von Loderich ein. Selb­st bei Maxime Alt und ihrem Stück «Femme Faber» schläft die Pro­tag­o­nistin mit ihrem eige­nen Sohn. Hier wird die weib­liche Triebkul­tur zum The­ma gemacht. Auch Wiedekind sagt über ihren männlichen Pro­tag­o­nis­ten deut­lich: «In meinem Loderich suchte ich ein Prach­tex­em­plar von Mann zu zeich­nen, wie es entste­ht, wenn ein von der Natur reich begabtes Geschöpf, sei es auch aus der Hefe entsprun­gen, in ein­er Umge­bung von Frauen, denen es an Vater­witz weit über­legen ist, zu schranken­los­er Ent­fal­tung gelangt.»

Tat­säch­lich, kann Loderichs let­zte Sta­tion in Lon­don auch als sex­pos­i­tiv und als mannbe­wegt ver­standen wer­den. Er geht ja dort dem Gewerbe der Pros­ti­tu­tion nach und ver­di­ent sich als Strichjunge den Leben­sun­ter­halt für den von ihm heiss geliebten Grafen Geschwitz.
Köstlich, nicht wahr? Auf diesen Schluss war ich beson­ders stolz. Was gibt es denn Grösseres für einen Mann, als seinen Kör­p­er für seine Geliebte gewinnbrin­gend und selb­ster­fül­lend einzuset­zen?

Frau Beck­en, wir danken für das Gespräch.