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Die Welt in (frischem) Atem

Von Bar­bara Roel­li — Mein erster Zun­genkuss roch nach Zwiebeln. Vielle­icht mag ich mich deshalb so gut an ihn erin­nern. Obwohl eine Fahne nach Zwiebeln oder Knoblauch in einem solchen Moment der Lei­den­schaft eigentlich Tabu ist – ein Lustkiller sozusagen. Als sich unsere Zun­gen ineinan­der schlangen und der Spe­ichelaus­tausch stat­tfand, war ich aber zu beschäftigt, als dass ich mich von den Zwiebeln hätte stören lassen. Haben wir über­haupt einen so unter­schiedlichen Geschmack im Mund? Und hätte ich die Zwiebel über­haupt gerochen, beziehungsweise geschmeckt, wenn ich zuvor selb­st von ihnen gegessen hätte? Es gibt bes­timmt empfind­lichere Nasen als andere. Aber Sit­u­a­tio­nen, in denen es einem unan­genehm ist, seinem Gegenüber zu nahe zu kom­men, ken­nen wir alle. Und sei dies als «Opfer», das den üblen Geruch wahrnehmen muss oder als «Täter», der den Geruch von sich gibt.

Man riecht nach dem Verzehr eines Thun­fisch-Sand­wich­es oder Rauch­lachs-Brötchens. Wobei die Kom­bi von Thun­fisch und Zwiebeln noch aus­geprägter wahrnehm­bar ist. Beson­ders hart­näck­ig auf der Zunge bleibt das Tranige vom Lachs. Auch Weis­s­wein zum Apéro, wenn man zuvor lange nichts getrunk­en hat, hin­ter­lässt seine Duft­spur. Typ­isch ist auch der Geschmack nach Kaf­fee und Zigaret­ten­rauch. Oder das Mund-Gefühl nach dem Verzehr eines Dön­ers «mit allem». Um es auf den Punkt zu brin­gen: Aus dem Mund zu riechen ist Tabu. Mundgeruch schreckt ab, wirkt ungepflegt, macht unbe­liebt.

Hat man keine Möglichkeit zum Zäh­neputzen nach dem Essen, so hil­ft man sich wenig­stens mit einem Mund und Rachen erfrischen­den Mit­tel. Dafür gibt es Kaubon­bons, Dragees, Pastillen, Drops, Kau­gum­mis. Kleine Helfer in der Not, die einen fürs Bewer­bungs­ge­spräch oder das amouröse Date wapp­nen. Men­thol, Spearmint, Euka­lyp­tus, Pfef­fer­minze, Sal­bei, Bergkräuter oder Anis geben dem angeschla­ge­nen Selb­stver­trauen den ulti­ma­tiv­en Erfrischungs­kick. Air Waves, Hol­ly­wood, Sti­morol, Tri­dent, V6 und Wrigley’s Orbit füllen das Kau­gum­mi-Sor­ti­ment der Kioske. Mit Odol Med 3 kauft man Kau­genuss plus Zahn­hy­giene in einem. Prak­tisch kom­men auch die Ver­pack­un­gen der unter­schiedlichen Marken daher: Kau­gum­mi im engen Papier­schlauch, in der run­den Box, im han­dlichen Schächtelchen oder wie Tablet­ten ver­packt — einzeln zum Raus­drück­en. Die Vielfalt der Aromen scheint stetig zu wach­sen: Kom­bis wie Jas­min und Grün­tee oder Zitrone mit Minze, die ganze Palette exo­tis­ch­er Früchte und Phan­tasie-Namen wie Rain­for­est, Blue Dream oder Ice Mint, ste­hen zur Auswahl.

Sucht man was zum Lutschen, ob nun gegen Hus­ten und Heis­erkeit oder ein­fach so, hat man auch hier die Qual der Wahl: Neben die nationalen Stars wie «Wer hat’s erfun­den?» und Hal­ter Bon­bons gesellen sich Sport Mint, Tic Tac, Men­tos, Frisk, Hals­feger, Pep­per­mint Lozenges, Smint… Alle wirken sie belebend, erfrischend; bieten «Den­tal Care» und «Whiten­ing» für die Zähne und kön­nen bei über­mäs­sigem Verzehr abführend wirken. Trend scheint zu sein, Bon­bon-Marken auch in Kau­gum­mi-Ver­sion zu verkaufen. So wie bei Men­tos: Neben den Kaubon­bons bietet die Marke auch «Men­tos Cube Chew­ing Gum» an – wür­felför­mige Kau­gum­mis in der «Flip-Top-Box». Oder die ein­heimis­chen Rico­la, die eben­so als Kräuter-Kau­gum­mi mit Kräutern aus dem Schweiz­er Bergge­bi­et erhältlich sind.

Sich oral zu erfrischen war schon im 19. Jahrhun­dert The­ma, wie der Geschichte zur Erfind­ung der Fisherman’s Friend zu ent­nehmen ist: 1865 entwick­elte der Apothek­er James Loft­house an der Nord­küste Eng­lands diese Pastillen, und zwar speziell für Hochseefis­ch­er. Die «extrem starke» Rezep­tur aus Men­thol und Euka­lyp­tus sollte gegen Erkäl­tun­gen wirken, unter denen die Fis­ch­er bei eisiger Kälte auf hoher See lit­ten. «Nev­er be with­out a friend…», soll sich Loft­house gesagt haben und tat­säch­lich sollen die Fis­ch­er die Pastillen als ihre «Fre­unde» beze­ich­net haben. Sie dien­ten also einem gesund­heitlichen Zweck. Auch wenn die Fis­ch­er schlecht­en Atem gehabt hät­ten – sei es vom Fis­chessen oder dem Pfeifen­rauchen — wäre das ihnen wohl ziem­lich egal gewe­sen. Wie auch immer: Wirken tun die «Friends». Zu beacht­en ist, was auf der Pack­ung ste­ht: «Extra frisch» ste­ht für die eher milderen, fruchti­gen Vari­anten wie Zimt-Apfel, Icy Cit­rus und Cool Cher­ry. «Extra stark­er Geschmack» haben die Vari­anten Orig­i­nal, Mint und Anis. Die Pastillen schmeck­en anfangs süss. Mit dem aufk­om­menden Spe­ichelfluss jedoch ver­flüchtigt sich das Süsse und weicht ein­er Kalt­front. Diese dehnt sich in Mund­höh­le und im Nasen-Rachen­raum aus. Atmet man durch den offe­nen Mund ein, kann einem ein leicht­es Frösteln überkom­men. Ganz nach dem Mot­to: «Sind sie zu stark, bist du zu schwach.» Mir hat es ob der Pastille nicht den Atem ver­schla­gen. Ich füh­le mich frei wie ein Fis­ch­er auf hoher See, rieche die salzige Meer­brise, füh­le die Frische auf mein­er Zunge bis tief in die Lunge. Gedanken an üble Gerüche sind wie wegge­blasen. Der leis­es­te Hauch aus meinem Mund, und ganze Heer­scharen von Leuten wür­den zu Eis­fig­uren erstar­ren. Ich füh­le mich cool… zu cool zum Küssen.

Foto: Bar­bara Roel­li
ensuite, Feb­ru­ar 2009

Artikel online veröffentlicht: 1. August 2018