Von Fabienne Naegeli – Das 33. Zürcher Theater Spektakel wartet mit alten Bekannten und neuen Talenten auf: Vor zwei Jahren war der thailändische Choreograf Pichet Klunchun und seine Dance Company mit der Tanztheaterproduktion «Nijinsky Siam» am Zürcher Theater Spektakel zu sehen. In der diesjährigen Ausgabe des internationalen Treffens freier Theater‑, Tanz‑, Musik- und Performance-KünstlerInnen präsentiert Klunchun seine neuste Arbeit «Black and White». Damit setzt er seine Reflexion und Weiterentwicklung traditioneller, asiatischer Tanzkunst durch zeitgenössische Bewegungssprache fort. Der ursprünglich nur am Hof aufgeführte Maskentanz, Khon, basiert auf dem indischen Ramayana-Epos und handelt vom Kampf zwischen Gut und Böse. Die TänzerInnen von Klunchun’s Company haben allesamt eine Ausbildung in traditionellem Khon-Tanz durchlaufen. Über den westlich-urbanen Zugriff auf die Tradition recherchieren sie nach ihrer eigenen Identität, und begeben sich auf die Suche nach der Balance zwischen einander widerstrebenden Kräften, um inneren und gesellschaftlichen Frieden zu erlangen.
Primär nicht mit der eigenen, sondern mit einer fremden Kultur befassen sich die Theaterkollektive Mass&Fieber (Schweiz) und Don Quixote (Iran) in «Tell/Zahhak». Anlässlich des Projekts «500 Jahre Tellspiele Altdorf» tauschen sie ihre nationalen Freiheitsmythen. Das Ensemble aus Teheran setzt sich mit Wilhelm Tell auseinander, und die SchweizerInnen mit dem Schmied Kaveh aus dem «Buch der Könige» des Dichters Ferdowsi. Wie Tell muss auch Kaveh gegen einen despotischen Herrscher, Zahhak, kämpfen, um seinen Sohn zu retten, und bewirkt damit einen Volksaufstand. Die beiden Theatergruppen schaffen eine eigene theatrale Umsetzung der Epen, indem sie auf die Formsprache der anderen Kultur zurückgreifen und sie mit der eigenen Ästhetik verknüpfen. Im dritten, gemeinsamen Teil des Stücks «Garten der Helden» treffen die beiden Freiheitskämpfer aufeinander.
Ein Schwerpunkt des diesjährigen Theater Spektakels bildet Osteuropa, insbesondere die ethnisch-kulturelle Minderheit der Roma. In «Open for Everything», dem Tanztheaterstück der argentinischen Choreografin Constanza Macras und ihrer Compagnie DorkyPark in Zusammenarbeit mit Roma-SängerInnen und ‑TänzerInnen, wird vom Leben als Roma erzählt. Auf Anregung des Goethe-Instituts hat Macras Romasiedlungen in Ungarn, Tschechien und der Slowakei bereist. Mit einer Mischung aus Roma-Folklore, Disco und zeitgenössischem Tanz werden einzelne Geschichten der Mitwirkenden berichtet, die sich zwischen einem romantisierten Bild des fahrenden Volkes und der von Verfolgung, Ausgrenzung und Vorurteilen geprägten sozialen Realität bewegen.
Eine weitere Produktion, die sich mit der Situation der Roma auseinandersetzt, ist Béla Pintér & Tarsulatas Sozialdrama «Szutyok/Miststück». Ein Ehepaar aus einer ungarischen Provinz adoptiert zwei Teenager. Das eine der Mädchen hat hässliche Zähne, das andere ist eine Roma. Aus den beiden Freundinnen werden Feindinnen, die das gesamte Dorf in Aufruhr versetzen und mit Traditionen brechen. Je mehr sich rechtsnationaler Fremdenhass, Korruption, soziale Abhängigkeits- und Machtbeziehungen offenbaren, desto grotesker wird die folkloristische Musik des Stücks.
Gesang als revolutionäre Kraft und Sprache als Macht- sowie Herrschaftsinstrument und Mittel der Gewalt wird in Marta Górnickas «Tu mówi chór/Hier spricht der Chor» gezeigt. 25 polnische Frauen unterschiedlicher Generationen lehnen sich flüsternd und schreiend gegen stereotype Frauenbilder der westlichen Konsumgesellschaft auf. Mit Textfragmenten aus griechischen Tragödien, den Werken Beauvoirs, Butlers und Jelineks, sowie mit Zitaten aus Filmen, Frauenmagazinen und mit Werbeslogans hinterfragen sie Rollenklischees.
Neu findet während drei Tagen ein Festival im Festival statt. Die Plattform für junge Kunstschaffende nennt sich «Short Pieces». Zwischen 30 und 60 Minuten dauern die Solo/Duo-Performance-Häppchen. Mit brasilianischem Hip Hop- und Street Dance, einer südafrikanischen Stand-up Comedy um Wahrnehmungen der Hautfarbe, Rollen und Masken, mit einer tänzerisch-musikalischen Dekonstruktion des Afrika-Bildes, einer mit Sehgewohnheiten spielenden Pole-Dance-Performance aus den Philippinen, sowie einer Auseinandersetzung mit aktuellen Ereignissen in Ägypten und einem Video-Objekt-Puppentheater aus Südkorea lädt das Zürcher Theater Spektakel auf eine Entdeckungstour ein.
Das Zürcher Theater Spektakel fand vom 16.8. bis am 2.9.2012 statt.
Infos: www.theaterspektakel.ch
Foto: zVg.
ensuite, August 2012