Von Simone Weber — Endlich ist er hier. Und schön ist er, der Sommer. Aber bisweilen auch ganz schön heiss! Da drängt sich schon früh morgens die Frage nach einem hübschen und bequemen Outfit auf, das nicht mittags schon komplett durchgeschwitzt ist.
Zuhause ist das eben nicht wie in den Ferien. Die Hot Pants sind fürs Büro zu kurz, das Unterhemd zu unverschämt, das luftige Kleidchen zu aufreizend. Abgesehen davon will besonders Frau im heimischen Revier vielleicht nicht gleich jedem Darhergelaufenen ihre Celluliteschenkel auf den Gartentisch knallen. Auch Männer sollen ja von Eitelkeit nicht verschont geblieben sein.
Ganz verloren in der gleissenden Sonnenglut sind wir aber trotzdem nicht, denn es gibt ein Material, das unsere überhitzte Sommerhaut mit seiner sanften Kühle zu liebkosen vermag. Und dabei auch noch sehr schön aussieht.
Die Rede ist von Leinen. Bereits vor Jahrtausenden hüllten sich die Ägypter, Mesopotamier und Phönizier in kostbare Leinentücher. Neben Fell und Wolle zählt Leinen zu den ältesten Materialien, aus denen Kleider gemacht werden. Im alten Ägypten wurden Leinenkleider tunika-artig um den Körper gewickelt, oder auch wie Wickelröcke um die Hüften geschlungen. Weisses Leinen galt als Zeichen göttlicher Reinheit. Selbst mumifizierte Tote sollten sich in diesem wundervollen Stoff auf ihre letzte Reise begeben. Die edlen Frauen trugen dünne, enganliegende Kleider aus dem Flachsmaterial. So filigran konnten die Leinenfasern verarbeitet werden, dass der gewobene Stoff durchscheinend war. Dieses feine Leinentuch wurde «gewobenes Mondlicht» genannt. Und was, bitte, könnte sich auf überhitzer Sommerhaut besser anfühlen, als gewobenes Mondlicht?
Bis ins tiefe Mittelalter blieb Leinen der Stoff, aus dem Kleider gemacht wurden. Damals war Leinen die einzige bekannte pflanzliche Faser. Das daraus gefertigte Gewebe war besonders für seine Stärke und Schmutzresistenz bekannt. Auch feine Festkleidung, Fürstenröcke und edle Königsgewänder wurden daraus gefertigt.
Die Herstellung des Stoffes ist seit jeher relativ aufwändig. Leinen wird aus Flachs gewonnen. Von dieser feinen Pflanze mit ihren lieblichen, blauen Blüten werden nur die Stängel benötigt. Diese werden erst getrocknet, dann entsamt und in diversen, zeitintensiven Arbeitsschritten so behandelt, dass am Ende nur die Fasern übrig bleiben. Diese werden gesponnen, und anschliessend verwoben. Im alten Ägypten war die ganze Stoffproduktion ausschliesslich Frauensache. Heute werden Hände durch Maschinen ersetzt.
Die grosse Beliebtheit von Leinen änderte sich erst mit dem Import eines anderen, aus Pflanzenfasern gefertigten Stoffes, der heute gross beworbenen Baumwolle. Mit deren Siegeszug Mitte des 19. Jahrhunderts wurde das alte Gewebe in der Meisterschaft der Bekleidungs-Stoffe auf die Ersatzbank geschickt, und beinahe vergessen. Heute aber findet mit dem zunehmenden Umweltbewusstsein eine Wiedergeburt von Leinenkleidern statt, denn Flachs ist bestens befreundet mit der Natur. Mit seinem Anbau kann der Boden geschützt werden. Bei der Verarbeitung wird aus-serdem das Ökosystem berücksichtigt, und der daraus hergestellte Stoff ist biologisch abbaubar.
Über das erneute Aufkommen von Leinen sollten wir uns wirklich freuen. Denn er ist nicht nur schön, sondern hat auch ein paar äusserst praktische Eigenschaften. Da Leinen unglaublich reissfest und unelastisch ist, sind Kleider aus diesem Material sehr formbeständig, und unglaublich langlebig. Eine starke Saugfähigkeit zeichnet das Material ebenfalls aus. (Vielleicht wird er auch deshalb vorzugsweise im Sommer getragen?). Diese Saugfähigkeit macht ihn besonders einfach und intensiv färbbar. So werden Leinenkleider oft in den intensivsten Farbnuancen angepriesen. Den typischen Schimmer behält der Stoff immer bei, denn der entspringt einem leichten Wachsüberzug der glatten Leinenfasern. Auch antiallergische Eigenschaften werden dem Leinenstoff nachgesagt, weshalb er besonders gesund und sanft zur Haut ist.
Für Kleider gut geeignet ist Leinen auch deshalb, weil er fein spinnbar, und so gut wie fusselfrei ist. Weil der Stoff sehr viel Luftfeuchtigkeit aufnimmt, und diese Feuchtigkeit mit der Umwelt austauscht, wirkt er auffallend kühlend.
Genau deshalb lieben wir sie so, unsere Leinenhose, an Sommertagen wie diesen. Wenn die Hitze schon im Kopf staut, dann wenigstens nicht noch um die Beine. Eigentlich sollte es Ganzkörper-Leinenanzüge geben, mit hübschen Aussparungen für Augen, Nase, Mund und Ohren.
Blöd ist nur, dass das Zeug so schnell zerknittert und ständig gebügelt werden muss. Aber je öfter wir es waschen, desto weicher und leuchtender wird es. So fein wie im alten Ägypten werden wir heute jedoch keinen Leinenstoff erfühlen dürfen. Diese Feinheit, die den Namen des Mondlichts verdiente, vermochten nur die liebevoll flinken Frauenhände von damals zu erschaffen. Unsere modernen Maschinen bringen das leider nicht zustande.
Foto: zVg.
ensuite, August 2010