- ensuite - Zeitschrift zu Kultur & Kunst - https://www.ensuite.ch -

Dilettanten, erhebet euch!

Von Julia Richter — Zum ersten Mal seit dem Tod des Kün­stlers Max Ernst im Jahre 1976 ist in der Schweiz, in der Fon­da­tion Beyel­er, eine umfan­gre­iche Ret­ro­spek­tive seines Werkes zu sehen. Die Ausstel­lung ver­mag durch die Viel­seit­igkeit des Werks zu begeis­tern und mit der bun­ten Düsterkeit der Bilder ein wenig zu irri­tieren. Let­zteres hätte Max Ernst wohl genau so gewollt.

Eine Bestie aus bun­ten Stoff­fet­zen – Vogel, Men­sch und Drache in einem – ver­nichtet alles, was ihr in den Weg kommt. Sie strahlt mit geschlosse­nen Augen und gefletscht­en Zäh­nen eine unge­heure Destruk­tiv­ität aus. Max Ernst malte das sur­re­al­is­tis­che Bild «Der Hausen­gel» 1937 als Reak­tion auf den faschis­tis­chen Bürg­erkrieg in Spanien. Wie ein aus der Tiefe kom­mendes Unge­heuer bre­it­ete sich der Faschis­mus über ganz Europa aus, und Max Ernst engagierte sich als Mit­glied der kün­st­lerischen Avant­garde in Paris gegen den Auf­stieg der faschis­tis­chen Bewe­gung. So erin­nert die Hal­tung des «Hausen­gels» auch an ein Hak­enkreuz und ist damit eine Verkör­pe­rung der Kriegss­chreck­en und des durch men­schlich­es Han­deln ent­stande­nen Grauens.

Dass er seinem Gemälde zwei Jahre später einen anderen Namen und damit eine andere Bedeu­tung gab, ist charak­ter­is­tisch für die Ruh­elosigkeit des Kün­stlers, der sich sein Leben lang als «Suchen­der» sah; der sich, sowohl in kün­st­lerisch­er als auch in zwis­chen­men­schlich­er Hin­sicht nie fes­tlegte, und dessen Werk facetten­re­ich und wider­sprüch­lich ist: Aus dem «Hausen­gel» wurde «Der Tri­umph des Sur­re­al­is­mus», und das Werk stand damit sym­bol­isch für den rev­o­lu­tionären Anspruch sur­re­al­is­tis­ch­er Kun­st das sich in der men­schlichen Psy­che ver­ber­gende Unbe­wusste und Unheim­liche zum Vorschein zu brin­gen.

Das Bild ist das Aushängeschild der Ausstel­lung in der Fon­da­tion Beyel­er, die über 160 Skulp­turen, Gemälde und Col­la­gen umfasst. Die Ret­ro­spek­tive gibt einen Überblick über die ver­schiede­nen Schaf­fen­sphasen des Kün­stlers – was den Besucherin­nen und Besuch­ern die Gele­gen­heit ver­schafft, die Verän­derun­gen in der Kun­st Max Ern­sts mitzu­ver­fol­gen.

In der ersten Phase kün­st­lerisch­er Tätigkeit des 1891 in Brühl bei Köln gebore­nen Max Ernst wur­den seine Bilder kaum beachtet – obwohl er auf rev­o­lu­tionäre Art und Weise tra­di­tionelle Bil­dauf­fas­sun­gen angriff und das Ziel ver­fol­gte, mit den Wert­be­grif­f­en des Wil­helminis­chen Kaiser­re­ichs zu brechen. Dabei war es für ihn nie das Ziel sein­er Kun­st, den Men­schen zu gefall­en – vielmehr wollte er sie schock­ieren, wollte sie zum «Aufheulen» brin­gen.

In seinen jun­gen Jahren gehörte Max Ernst dem Kreis um den expres­sion­is­tis­chen Kün­stler August Macke an. Zusam­men mit Hans Arp grün­dete er später die Köl­ner DADA-Bewe­gung, gab sich selb­st den Kün­stler­na­men min­i­max­dadamax und war Mither­aus­ge­ber der DADA-Zeitschrift «die scham­made – Dilet­tan­ten, erhe­bet euch!». Diese Phase war prä­gend für die kün­st­lerische Entwick­lung von Max Ernst – sie diente ihm nach seinem Ein­satz als Artillerist im Ersten Weltkrieg dazu, die Absur­dität und die Grausamkeit «dieses blödsin­ni­gen Krieges» zu ver­ar­beit­en. Er malte bewusst hart und dilet­tan­tisch und sah die Auf­gabe sein­er Kun­st darin, sich mit ihren Mit­teln dem Elend der Welt zu stellen.

Max Ern­sts Ein­tritt in die sur­re­al­is­tis­che Phase war mit einem Ortswech­sel ver­bun­den – als er 1922 nach Paris emi­gri­erte, stand der Kün­stler schnell im Dia­log mit dem Kreis der Paris­er Sur­re­al­is­ten um André Bre­ton und wurde zu einem der Pio­niere der sur­re­al­is­tis­chen Bewe­gung.

1941 war Max Ernst gezwun­gen, in die USA zu emi­gri­eren. Nach ein­er kurzen Ehe mit der Kun­st­mäzenin Peg­gy Guggen­heim zog er sich zusam­men mit der jun­gen Malerin Dorothea Tan­ning in ein Haus in Ari­zona zurück. Auch dort war der Kün­stler aus­ge­sprochen pro­duk­tiv. So ent­stand dort beispiel­sweise die Stat­ue «Capri­corne», ein aus der griechis­chen Mytholo­gie entlehntes Mis­chwe­sen aus Sti­er und Fisch, das in der Fon­da­tion Beyel­er zen­tral am Ein­gang zur Ausstel­lung platziert ist.

Max Ernst hin­ter­lässt ein viel­seit­iges Werk. Er wusste sich gekon­nt ver­schieden­er kün­st­lerisch­er Aus­drucks­for­men zu bedi­enen, entwick­elte auto­di­dak­tisch neue Tech­niken und Kun­st­stile, und wurde damit vie­len Kün­st­lerin­nen und Kün­stlern zur Inspi­ra­tionsquelle. Fasziniert von natür­lichen Struk­turen, bedi­ente er sich beispiel­sweise der «Frot­tage»: Er rieb Holzbö­den und andere Mate­ri­alien auf Papi­er durch und arbeit­ete mit den dadurch ent­stande­nen For­men. Zudem set­zte er immer wieder das Instru­ment der Col­lage ein, um damit Gegen­stän­den durch eine andere als die gewohnte Kon­tex­tu­al­isierung eine neue Iden­tität zu geben.

Obwohl er sich nie in die Mech­a­nis­men der «kon­ven­tionellen» Kun­st fügen wollte und sich mit stur­er Auto­di­dak­tik am Rande der Gesellschaft und der Kün­stlerkreise bewegte, kon­nte Max Ernst in den let­zten zwanzig Jahren seines Lebens grosse kün­st­lerische Erfolge verze­ich­nen – etwa als ihm 1954 in Venedig der Preis der Bien­nale für Malerei ver­liehen wurde. Zu Recht wird er als ein­er der bedeu­tend­sten Kün­stler der Mod­erne beze­ich­net – seine Werke ver­sprühen Intel­li­genz, Inno­va­tion und eine fast kindliche Lust an der Dauer­pro­voka­tion und am Scheindilet­tan­tismus. Manch­mal hin­ter­lassen sie zudem, wie das Bild «Der Hausen­gel», auch den Ein­druck ein­er merk­würdig faszinieren­den Ästhetik des Grauens.

Foto: zVg. / Bild: Hausen­gel
ensuite, August 2013