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Disconnect

Von Andreas Meier — Das Inter­net kann einen verbinden – mit weit ent­fer­n­ten Orten und Per­so­n­en, die man son­st nie getrof­fen hätte; es kann einen jedoch auch blind machen für die Welt um den Bild­schirm herum. Das Inter­net ermöglicht wie kein anderes Medi­um den freien Fluss von Infor­ma­tion, doch dieselbe Frei­heit öffnet auch etlichen Miss­bräuchen die Tür. Es ist das demokratis­chste aller Medi­en, aber auch das anar­chis­tis­chste.

«Dis­con­nect» zeigt das Begehren nach der pos­i­tiv­en, verbinden­den Seite des Inter­nets, und die ver­heeren­den Kon­se­quen­zen der schlecht­en. Der Film beste­ht aus drei, the­ma­tisch lose miteinan­der ver­bun­de­nen Geschicht­en von inti­men Inter­netkatas­tro­phen: Eine Repor­terin, die für eine Newssto­ry Kon­takt mit einem Teenag­er aufn­immt, der sein Geld vor der Web­cam ver­di­ent. Ein Fall von Inter­net­mob­bing, in dem ein Junge mit dem gefälscht­en Face­book-Pro­fil ein­er ange­blichen Mitschü­lerin in die Demü­ti­gung gelockt wird. Und ein Ehep­aar, das nach dem Ver­lust ihres Babys auseinan­derzu­driften dro­ht und Trost in online Glücksspie­len und Selb­sthil­fe-Cha­t­rooms sucht, bevor sie Opfer eines ruinösen Kred­itkarten­in­for­ma­tions-Raubs wer­den. In allen dreien ver­drehen sich die Hoff­nun­gen der Pro­tag­o­nis­ten schnell in ihr Gegen­teil.

«Dis­con­nect» ist ein gut gemachter Film, dessen einzelne Sub­plots fast durchge­hend fes­sel­nd und rührend sind, nicht zulet­zt dank den aus­nahm­s­los aus­geze­ich­neten Schaus­piel­ern und dem zumeist eben­so glaub­haften Script. Das The­ma Inter­net und Tech­nolo­gie wird tech­nisch clever in die cineast­is­che Sprache einge­bun­den, wenn etwa das Tip­pen im Chat über das Bild einge­blendet wird und so stumme Kon­ver­sa­tio­nen entste­hen, die so span­nend sind wie die gesproch­enen.

Doch «Dis­con­nect» ist lei­der bere­it, einen Teil der Glaub­würdigkeit, die er sub­til auf­baut, dem drama­tis­chen Effekt zu opfern. Da ist etwa die exzes­sive Schwarz­malerei, die sog­ar den Pes­simis­ten im Pub­likum etwas zu dunkel scheinen dürfte. Es ist kaum zu bestre­it­en, dass das Inter­net Gefahren birgt und Miss­bräuche erlaubt, die ohne Inter­net nicht denkbar wären, und man kann den Film kaum dafür kri­tisieren, dass er sich auf die neg­a­tiv­en Seit­en konzen­tri­ert. Auch kann man schlecht behaupten, dass «Dis­con­nect» eine Ver­teufelung des Inter­nets darstellt – mod­erne Tech­nolo­gie ist im Film eine Art Katalysator für men­schliche Schwächen und Fehler, und nicht die Ursache. Den­noch ist das Inter­net hier immer ein neg­a­tiv­er Fak­tor, der die Wün­sche der Pro­tag­o­nis­ten nach Verbindun­gen in Alb­träume ver­wan­delt, und alle unab­hängig von der Tech­nolo­gie schon beste­hen­den Prob­leme noch weit­er ver­schlim­mert. Natür­lich ist der Film als «cau­tion­ary tale», als War­nung gedacht, aber dadurch wirkt er bald recht ein­seit­ig, und man muss sich fra­gen, ob diese Schwarz­malerei dazu da ist, einen Punkt zu machen, oder das Melo­dra­ma zu steigern. Eine aus­geglich­enere Auseinan­der­set­zung mit dem The­ma hätte nicht nur die Kom­plex­itäten und Wider­sprüch­lichkeit­en der Real­ität bess­er einge­fan­gen, son­dern hätte wohl auch einen noch inter­es­san­teren Film ergeben, der zudem weniger erdrück­end gewirkt hätte.

Dazu kommt noch eine recht naive Blind­heit gegenüber der poten­tiellen Böswilligkeit und Immoral­ität des Men­schen. Das mag nach dem Vor­wurf der Schwarz­malerei para­dox klin­gen, doch die meis­ten Katas­tro­phen im Film entste­hen nicht durch bösen Willen, son­dern durch Gedanken­losigkeit, oder sog­ar durch gute Absicht­en. Im Grunde sind (bis auf einen abwe­senden) alles gute Men­schen in diesem Film, und sog­ar der Cyber-Mob­ber bereut schnell was er angerichtet hat. Es ist zweifel­haft, ob der durch­schnit­tliche Mob­ber so viel Fein­füh­ligkeit und Reue besitzt wie in diesem Film. Am Schluss wer­den die Täter-Opfer-Rollen umge­dreht, und alle wer­den zum Opfer.

Die Frage ist, von wem. Vom Inter­net? Von ein­er Tech­nolo­gie, die sie nicht kon­trol­lieren kön­nen? Diese Antwort drängt sich auf, ist aber etwas unbe­friedi­gend, da zu sim­pel. Einem neuen Medi­um die Schuld in die Schuhe zu schieben ist schon seit Jahrtausenden eine beliebte Tak­tik, um sich nicht wirk­lich mit den Prob­le­men beschäfti­gen zu müssen. Egal ob nach der Erfind­ung der Schrift, des Buch­drucks oder des Inter­nets: das primäre Prob­lem sind die Men­schen, nicht die Medi­en, die sie nutzen.

«Dis­con­nect» ist ein Film mit drei gelun­genen Geschicht­en, die sich lei­der nicht völ­lig zu einem kohärenten Ganzen zusam­men­fü­gen, und der selb­st nicht so genau zu wis­sen scheint, was er eigentlich sein will. Er ist ein wenig zu melo­drama­tisch, ein biss­chen zu ein­seit­ig, und vol­lkom­men sehenswert.

Regie: Hen­ry Alex Rubin. Drehbuch: Andrew Stern. Darsteller: Jason Bate­man, Hope Davis, Frank Gril­lo, Alexan­der Skars­gard u.a. Laufzeit: 115min. USA 2012.

Foto: zVg.
ensuite, Okto­ber 2013

 

Artikel online veröffentlicht: 29. Juni 2019