Von Antonio Suárez Varela — Ein junger Türke aus Bern macht mit einer trendigen Radioshow auf sich aufmerksam. Im Untergrund ist er schon längst eine feste Grösse. Jetzt will er mit seinem Comedy-Programm auch die Limmatstadt erobern. Ein Porträt.
«Ein Mann, ein Mikrofon, eine Stadt, eine Liebe.» So lautet der Prolog einer Erfolgsgeschichte, die es eigentlich nicht geben kann, nicht geben dürfte? Eine Geschichte, wie man sie aus Amerika kennt und weniger aus einem Land wie der Schweiz, wo gerade in der Medienbranche manchmal der Mut zu Neuem fehlt und wo man sich noch zu oft mit dem Mittelmass zufrieden gibt.
Bern – Zürich, einfach Ausgerechnet hier also schafft es ein Mann mit Migrationshintergrund und C‑Ausweis, noch dazu ohne nennenswerte zertifizierte Spezialausbildung, dafür mit Primarschulabschluss, ohne Demut und Bescheidenheit, dafür mit einem übergrossen Ego und einer vorlauten Klappe; ausgerechnet so ein Mann also schafft es vom unbezahlten Amateursendungsmacher bei einem Berner Alternativlokalsender zum Einstieg als Profimoderator bei einem Zürcher Privatradio.
Es geht um einen Türken aus dem Berner Wylerquartier, deren Eltern sich ihr Brot hart verdienen und — wie die meisten Einwanderer — ohne Rücklagen eine Existenz aufbauen mussten. Es scheint, als käme dieser Mann direkt aus dem Ghetto: Denn von dort hat er zwar nicht viel Kohle und Connections mitgebracht, dafür eine Idee, ein Ziel, die Musik und… die Nestwärme. Er nennt sie «Love» und verlangt von seinen Hörern, dass sie ihm diese Liebe gefälligst ins Studio bringen, damit man es besser aushält in dieser Stadt.
Fünfzehn Monate lang war er jeden Donnerstagabend im lokalregionalen FM-Bereich zu hören. Selbst als er wegen einer Diskushernie rekonvaleszent im Spitalbett lag, liess er seine treuen Hörer nicht im Stich und moderierte ganz einfach per Telefon. Er hat sich über das Mikrofon seine Stadt erobert, seine Community um sich geschart. Black Music & Comedy waren sein Programm. Am Ende hinterlässt er seiner Heimatstadt eine untröstliche Fangemeinde und dem Lokalsender Radio RaBe real nicht existierende Traumquoten. Am Abend seiner letzten Sendung, es war der Donnerstag, 29. Mai, kurz nach 22.00 Uhr, nennt er den Titel seines letzten Songs. Er lautet «Money Makes The World Go Round». In Bern ist er gross geworden. Und Zürich wirbt ihn nun ab.
Rebellischer Farbtupfer im Meer der Formatradios Der Mann, der sich als Farbtupfer im Meer der Formatradios sieht und den Draht zur Jugend hat, verdient nun sein Geld mit dem, was er am liebsten macht: Radio. Er hat es also geschafft. Er hat seine Eltern nicht enttäuscht. Und sie haben nie aufgehört, an ihn zu glauben.
Die Semih Supreme Show auf Radio RaBe war ein Renner. Und deren Moderator ist erfrischend anders, so ziemlich genau das Gegenteil dessen, was man sonst so im Äther vernimmt. Und er ist verdammt gut! Wenn er ans Mikrofon tritt, dann erwacht selbst der grösste Phlegmatiker aus der Lethargie. Er ist — ganz unbernerisch — «die schnellste Fresse von Bern» (Eigenwerbung). Sein Name: Semih «Supremo» Yavsaner.
Er ist kein unbeschriebenes Blatt, hat er es doch vor fünf Jahren einmal zu nationaler Prominenz gebracht, und zwar mit einem Song, der zum offiziellen Soundtrack des Schweizer Kinofilms «The Ring Thing» erkoren wurde, eine Blödelparodie auf «Herr der Ringe». Er hatte einen Plattenvertrag in der Tasche. Doch die eingeschlagene Popkarriere schlug eine «falsche Richtung» ein, sagt er im Gespräch mit ensuite — kulturmagazin. Er, der mit vierzehn Jahren im Jugendtreff «Graffiti» angefangen hatte zu rappen, hatte keinen Bock auf dieses «hyperkommerzielle Ding», weil sie ihm die Freiheit nahmen, sich selbst zu sein.
Davor, dazwischen und danach war er eine Zeitlang in der Telekommunikationsbranche tätig, jobbte sich durch, war zeitweise arbeitslos und verschuldet. Der Grat zwischen Erfolg und Misserfolg ist schmal. Die Perspektiven sahen nicht immer gut aus für diesen frischgebackenen Familienvater. Einer seiner Jingles, die er für die Sendung produziert hat, legt beredtes Zeugnis davon ab: «Eine Stunde Black Music und Comedy. Für alle Leute, die es im Leben nicht geschafft haben, und für all jene, die es nicht schaffen werden.» Seine Beharrlichkeit hat sich bezahlt gemacht. Jetzt macht er das, was er schon immer wollte.
Dabei hatte Semih das Medium Radio erst spät für sich entdeckt. Ein Tape mit einer aufgezeichneten Sendung des texanischen Radiosenders K104, das ihm sein Bruder — seines Zeichens türkischer Basketball-Internationaler — aus den Vereinigten Staaten mitbrachte, entfachte in ihm das Feuer. «Der Moderationsstil fuhr mir unter die Haut. Ich wusste sofort, dass ich etwas in der Richtung machen musste», erinnert er sich, «denn so etwas gab es hier in der Form nicht».
«Wir kommen aus Quartieren und wuchsen in Elternhäusern auf, wo nach der Schule niemand zu Hause war, weil alle arbeiten mussten. Mein Bruder, meine Schwester und ich teilten ein Zimmer. Wir hatten wenig, aber dieses Wenige hat uns menschlich weitergebracht. Heute haben viele Leute sehr viel, aber geben sehr wenig.»
Die Sprache der Strasse Punkto Format und Struktur bieten seine Sendungen nicht viel Neues. Auch sie leben von Erkennungssignet, Jingles, Teasern, Songtiteln, Studiogästen, An‑, Zwischen- und Abmoderation. Es sind vor allem Stil und Sprache, die seine Sendungen auszeichnen. Er nimmt kein Blatt vor den Mund und spricht, wie ihm der Schnabel in den Secondos-Vierteln gewachsen ist. Er bedient sich ganz selbstverständlich englischer Einsprengsel der Hip-Hop-Kultur und benutzt Floskeln wie «Weisst du, was ich meine» oder Wörter wie «Mann!» oder «okay». Es ist die Sprache der Strasse. Er nennt sie ironisch «primitive Sprachkultur». Es ist die Sprache der untersten sozialen Schichten.
«Wir kommen aus Quartieren und wuchsen in Elternhäusern auf, wo nach der Schule niemand zu Hause war, weil alle arbeiten mussten. Mein Bruder, meine Schwester und ich teilten ein Zimmer. Wir hatten wenig, aber dieses Wenige hat uns menschlich weitergebracht. Heute haben viele Leute sehr viel, aber geben sehr wenig.» Oft wurde er wegen seines Slangs nicht ernst genommen. Doch Semih konnte seinen Sprachstil nicht ändern, ohne seine Identität zu leugnen. «Ich kann meine Stories nur in dieser, meiner Sprache erzählen! Es geht darum, dass wir einmal uns selber sein können. Der Grundgedanke meiner Sendungen ist: Authentizität und Wahrheit, keine Künstlichkeit.»
Robocop-Radio Von dieser Künstlichkeit nämlich gibt es schon genug. «Man führt ein Robocop-Leben, kommt nach der Arbeit nach Hause und hört Robocop-Radio. Es fehlt das Menschliche. Die Menschen durchschauen die platten TV- und Radioformate.» Diesem «peinlichen Flow da draussen» musste er etwas entgegenhalten. Semih «disst» Leute wie Mike Shiva und andere Scharlatane. «Es ist mir ein Rätsel, dass der Staat überall eingreift, aber wenn man in den Unterhaltungsmedien die Leute für dumm verkauft, passiert nichts. Es gibt Leute, die solchen Schund glauben und solche wie ich, die etwas dagegen unternehmen», sagt er überzeugt.
«Viele Radiomoderatoren können sehr oberflächlich sein. Mir ist es Wurst, ob einer dieser Moderatoren ein grosses Tier ist, solange ich ihn als Menschen nicht spüre. Die meisten versuchen es erst gar nicht, eine Connection mit den Hörern herzustellen, wie ich es tue. Sie spüren den Menschen nicht und sehen nur das Raster: ‹Wie heisst du? Woher rufst du an? Was machst du gerade? Warum willst du den Preis gewinnen? Schön, hast du angerufen. Willst du jemanden grüssen?› Mit diesem typischen Formatradio stirbt alles.»
Entertainment, Comedy und ein Schuss Sozialromantik In den letzten Jahren hat er verbissen an seinen Skills gearbeitet, lernte Jingles zu produzieren und mit einem Sequenzer umzugehen. Wenn er eine Idee hat, dann muss er sie sofort umsetzen. Er kann nicht eine Woche warten, bis ein Techniker Zeit hat. Deshalb hat er sich sein eigenes Studio eingerichtet.
Mit der Kombination von Satire, Unterhaltung und Black Music glaubt Semih den Jackpot geknackt zu haben. Er ist überzeugt von seinem Sendeformat. Und die «schweizweit phänomenalen Feedbacks» geben ihm recht. «Ich mache Radio so, wie ich es selber gerne hören würde. Und ich habe den Geschmack vieler Leute getroffen.»
In seinen Sendungen werden vorwiegend Hip-Hop- und R&B‑Hits gespielt. Auch seine Jingles und Eigenproduktionen (darunter gesungenes Material) greifen auf Genre-Klassiker zurück: Man erkennt Songs wie den G‑Funk-Evergreen «Regulate» von Warren G, den 80er-Jahre-Hit «Gotta Get You Home Tonight» von Eugene Wilde oder Michael Jacksons «Thriller». Die Jingles sind professionell produziert und erinnern an Kino-Trailer. Es wird mit der grossen Kelle angerührt. Der Hörer wird umschmeichelt mit Ansagen wie «Enjoy the Semih Supreme Show. Be part of a movement!». Der einzige Unterschied zu professionellen Radioshows ist der, dass Semihs Sendungen nicht von grossen Werbeträgern gesponsert werden, sondern von merkwürdigen Institutionen wie dem «Verein für fehlgeschlagene Integration», der «Notschlafstelle Tägertschi», der «Alkoholliga Bern» und dem «Obdachlosenverein Lorraine West».
«Ich mache Radio so, wie ich es selber gerne hören würde. Und ich habe den Geschmack vieler Leute getroffen.»
Semih geht es darum, «das Ohr der Zuhörer zu erobern», und das geht am einfachsten mit Humor, «denn die Leute lachen gerne». Sein Zielpublikum ist eher jung, trotzdem umfasst es mehrere Generationen: Vom 13-jährigen Teenager im Wiederholungskurs bis zum 37-jährigen Kadermann einer Versicherungsfirma. Semih Yavsaner ist überzeugt, dass Hip-Hop den Lifestyle von Jugendlichen zwischen 16 und 26 Jahren bestimmt. «Hip-Hop ist allgegenwärtig!» Doch es sei oft sehr schwierig, diese Leute zu erreichen. Er macht sich Gedanken, was im Kopf eines Jugendlichen oder eines jungen Erwachsenen vor sich geht und spricht Themen an, über die oft geschwiegen wird, aber gerade in der derzeitigen Katharsis des neoliberalen Kredit- und Finanzsystems aktuell sind. Zum Beispiel das Thema Schulden, eine Sorge, die «unsere Generation» beschäftigt, denn «wir haben uns mit dem Aufkommen von Handys, Flachbildschirmen, Computern, Internet und Leasingprodukten verschuldet». Die gesellschaftliche Realität und der soziokulturelle Background der Menschen interessieren ihn.
Semih versucht seine Identität nicht etwa zu kaschieren, um angepasst zu wirken und ja nicht aufzufallen. Im Gegenteil: Er singt aus voller Kehle von seiner türkischen Identität und beschreibt, mit welchen Vorurteilen man sich als Ausländer konfrontiert sieht. Einer seiner Texte lautet: «Si luege mi a i dr Beiz / Wüu ig ä C‑Uswis ha / Kene seit sälü wie geihts / U kene fragt, was ig äch gmacht ha / Mit schüche Blicke luege si di vo obe bis unde a / Frage sech was ig für eine bi / U was ig hie verlore ha / Ha geng e chli Schulde, viu Teer uf dr Lunge u rassistischi Sprüch tüe mir lang nümme weh (2x) / Wüu ig e Türk bi (7x)». Dieser von Göläs Hit «Büetzer» abgekupferte und angepasste Songtext ist Semihs Antwort auf die Frage nach der sozialen Heimat. «Dieses Lied von Gölä sprach vielen Schweizern aus dem Herzen. Ich dachte mir: Wenn es für einen Türken so ein Lied gäbe, welchen Text müsste es wohl haben?», erinnert sich Semih.
Viele seiner Texte und Radio-Sketches beschäftigen sich mit dem kulturellen Gegensatz zwischen Schweizern und Ausländern. Aus diesen Gegenüberstellungen und der Überzeichnung gängiger Klischees und Stereotypen erzeugt er Humor und Situationskomik. Es geht Semih aber darüber hinaus auch um die Bekämpfung von Vorurteilen.
Kampf gegen Klischees und Vorurteile Ausländer der ersten und zweiten Generation werden medial oft in Verbindung gebracht mit dem Themenkomplex Kriminalität, Drogen, Gewalt, Armut, Bildungsdefizite und Konvenienzehen. Diese ständige Assoziierung zementiert oft bereits bestehende Denkmuster. Semih kann es nicht ausstehen, dass Ausländer im «Schmarotzerlicht» stehen. «Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Mensch so beschränkt sein kann, von einer Schlagzeile in den Medien auf eine ganze Bevölkerungsgruppe zu schliessen.»
Semih Yavsaner spricht aus eigener Erfahrung. Er kann nicht verstehen, dass ein Kroate, nennen wir in Goran, von seinen Arbeitskollegen mit der Frage provoziert wird: «Ist es normal bei euch, 300 km/h zu fahren?», bloss weil eine Boulevardzeitung davon berichtet, dass ein kroatischer Jugendlicher durch die Wohnzone gerast ist. «Ich selbst habe das erlebt. Es gab Fälle von häuslicher Gewalt und Ehrenmorden unter Türken. Als diese Meldungen in den Medien waren, bekam ich eine Mail von einem Arbeitskollegen einer anderen Abteilung, der mich darauf ansprach, bloss weil ich zufällig Türke bin.» Semih hat dieses Schubladendenken satt. «Das sind dumme und einfältige Leute, die oftmals zu meinem eigenen Erstaunen wohlhabend sind und gesellschaftlich angesehene Positionen haben. Sie haben aber keine Ahnung, wovon sie sprechen.» Hinter seiner Radioshow steckt keine politische Motivation, betont Semih. «Die Message ist wichtig; wenn das schon politisch ist, dann ist es halt so», meint er lakonisch.
Der zweifelsfrei grösste Clou ist Semih bei der Erschaffung seiner Kunstfigur gelungen: Müslüm. Seine Telefonscherze sind bereits Legende. Müslüm ist ein Mittvierziger aus der Türkei, ohne starke familiäre Bindungen. Er hat die Schweizerin Roswitha geheiratet — man ist sich nicht sicher, ob er das wegen der Schweizer Niederlassung getan hat. Mit den Schweizer Sitten ist er nicht sehr vertraut, weshalb er ab und zu mit dem Gesetz in Konflikt gerät, obwohl er ein anständiges Leben führen möchte. Er ist eine Art Loser vom Bosporus.
Müslüm — ein moderner Robin Hood aus Anatolien Semih spricht in einer tieferen Tonlage, wenn er Müslüm spielt. Er hat die Rolle so sehr verinnerlicht, dass viele Hörer gar nicht glauben, dass Semih persönlich dahinter steckt. «Das beste Feedback überhaupt ist, wenn mir Hörer sagen, dass sie nicht glauben, dass ich Müslüm spiele. Meine Angst war, dass ich den Charakter falsch umsetzen würde. Ich wollte ihn so authentisch wie möglich machen.» Der türkische Antiheld spricht kein akzentfreies Deutsch und ist eher schlecht integriert. Für den eigenwilligen Charakter hat er sich in seinem Umfeld umgeschaut. Einiges konnte er von seinem Vater abkupfern: «Ich stelle mir meinen Vater in den Endsiebzigern vor, mit Frau und drei Kindern, wie er am Telefon fast verzweifelt versucht, einen Termin mit dem Friseur zu vereinbaren, was ihm nicht gelingt, weil er nicht Herr über die Sprache ist.»
Semih hat oft solche Momente der Frustration erlebt. Auch Müslüm ist nicht besonders schlagfertig und deshalb oft desorientiert. Müslüm ruft bei seinen Telefonscherzen den Service-Desk-Mitarbeiter einer Sprachschule an, plaudert am Telefon über Sexpraktiken mit der Geschäftsführerin eines Bordells, bewirbt sich auf eine Annonce bei der Kantonspolizei, bewundert einen unerpressbaren Waffenhändler und Libanonkriegveteranen und bietet einer Drogerie seine Dienste als Drogenkurier an. Die Naivität macht den Charakter komisch und liebenswert zugleich. Er ist doppelt benachteiligt, weil er erstens Ausländer ist und zweitens die Sprache nicht beherrscht. Der Türke kommt also eher schlecht weg. «Ich habe das Privileg, mich über mein eigenes Volk lustig machen zu können», meint Semih.
Doch Müslüm wäre kaum so beliebt, wenn er nicht auch etwas Liebenswertes an sich hätte. So ist er auch der Vertreter des kleinen Mannes, der sich nicht gerne bescheissen lässt. «Ich benutze diesen Charakter, um einen Überraschungsmoment zu kreieren. Denn das Gegenüber erwartet bei einem solchen Akzent nicht, dass man ihm Paroli bietet.» Was oft harmlos anfängt, endet meist in der Blossstellung desjenigen, der am anderen Ende der Telefonlinie ist. «Für uns Ausländer ist es ein geiles Gefühl, denn viele sagen sich, das kenne ich auch, das Gefühl, sich nicht verständlich machen zu können.»
Müslüm: «Ich bin aggressiv. Ich habe Komplexe. Adrenalin!»
Müslüm ist weder gegen Schweizer noch gegen Ausländer. Er macht es beiden recht, erklärt Semih. «Viele Leute machen die Faust im Sack. Müslüm macht das nicht. Er teilt aus. Er sagt genau das, was sich viele nicht trauen zu sagen.» Diese Unverfrorenheit gibt vielen Hörern eine unerhörte Genugtuung. «Müslüm ist eine Art Robin Hood», so Semih. «Er sagt das, was jeder gerne einmal sagen würde, dazu noch in einer Sprache, die sehr direkt ist und beleidigend wirken kann. Die Absicht dahinter ist es nicht, jemanden zu dissen. Dieses Element ist einfach zentral für den Charakter. Müslüm sagt nicht, ich bin heute nicht gut gelaunt, er sagt: Ich bin aggressiv.» Müslüms Standardsatz lautet: «Ich bin aggressiv. Ich habe Komplexe. Adrenalin!» Er spricht alle unterschiedslos mit «Kollege» (sprich: «Chollege») an.
«Ich mag alles an ihm», sagt Semih. «Müslüm hat Charme und zeigt guten Willen. Er ist direkt und sagt, was er denkt. Er ist liberal und tolerant.» Auf die Frage, ob der Charakter auch etwas Negatives hat, muss Semih lange nachdenken. Schliesslich sagt er, dass man ihn besser nicht imitieren sollte, denn er lässt manchmal die Fäuste sprechen und konsumiert regelmässig Alkohol.
Müslüm hat namhafte Fans aus der Promiszene. So ist zum Beispiel Marco Wölfli, der Stammgoalie der Berner Young Boys, den Semih in einem Sketch verulkt, in Mehmet umtauft und zum Drogenkurier von Müslüm macht, ganz hingerissen von Müslüm. Sogar der SVP-Jungpolitiker Erich Hess gehört zu jenen, die Müslüm angerufen hat. Auf die Frage, welche Musik Hess mag, sagt dieser, dass er gerne Ländler hört. Als Hess aber keinen Folklore-Schlager vorsingen kann, ist Müslüm enttäuscht und wirft dem jungen Rechtsaussenpolitiker vor, keine Kultur zu haben. Es sind diese Momente, die Semih am meisten geniesst.
Den emotionalsten Moment aber erlebte Semih «Supremo» bei seiner Abschlusssendung. «Etwa sechzig Homies reisten aus der ganzen Schweiz nach Bern, um bei meiner Supreme Block Party dabei zu sein. Kurz vor Sendebeginn kommt ein Vater in Begleitung seines blinden Sohnes. Er spricht mich an und erzählt mir, dass sein Sohn mein grösster Fan sei. Er war auch körperlich behindert. Ich liess ihn kurz moderieren. Er hat meinen Flow ziemlich gut rübergebracht und sogar improvisiert. Er war das Highlight des Abends. Es war ein berührender Moment. Einen Augenblick lang herrschte Sonnenschein in seiner kleinen dunklen Welt. Das war für mich das schönste Feedback überhaupt.»
Semih Yavsaner hat bereits an die Limmat disloziert und wird demnächst bei einer Zürcher Radiostation auf Sendung gehen, diesmal in einem ordentlichen Honorarverhältnis. Auf die neuen Geschichten von Müslüm und Co. wird man wohl auch in Zürich gespannt sein.
Foto: zVg.
ensuite, September 2009