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EDITORIAL Nr. 101

Von Lukas Vogel­sang – Jet­zt kommt’s auf SIE an, liebe Bern­er LeserIn­nen. Am 15. Mai müssen sie über die Bud­gets von den fünf grossen Kul­turin­sti­tu­tio­nen der Bern­er Haupt­stadt abstim­men. Falls Sie Zweifel haben, so sind diese selb­stver­ständlich und auch berechtigt. Stim­men sie aber trotz­dem auf jeden Fall 5 x JA! Alles andere wäre pur­er Unsinn.

Bei dieser Abstim­mung geht es nicht, wie oft fälschlicher­weise disku­tiert wird, um die Konzepte dieser Insti­tu­tio­nen, strate­gis­che Führungs­for­men, Inhalte, um Besucher­men­gen oder um Sinn und Unsinn von Ver­anstal­tun­gen. Das hat nichts mit der Frage zu tun: «Welche Kul­tur wollen wir?» (Mon­tag, 2. Mai; 18:30 Uhr; im Hotel Bern, Zeughaus­gasse 9). Wir haben mit einem JA oder NEIN keinen Ein­fluss auf diese Entschei­dun­gen. Abstim­men kön­nen wir nur über Zahlen, Bud­gets und Verträge. Der parteilose Stad­trat Jimy Hofer hat­te an der Stad­tratsab­stim­mung vom 3. März recht: Es geht nicht um Leis­tungsverträge, son­dern nur um ein­fache «Verpflich­tungskred­ite», wie es so schön in der Abstim­mungs­botschaft heisst. Deswe­gen ist es falsch von Kul­tur­rat­ing zu sprechen, es ist falsch, diese Insti­tu­tio­nen gegen­seit­ig zu ver­gle­ichen und gegeneinan­der auszus­pie­len, und es ist auch falsch zu meinen, dass Geld ges­part würde, wenn man NEIN stimmt. Ein NEIN zu ein­er Insti­tu­tion hätte keine weit­eren Fol­gen, als dass ein neues Bud­get erstellt wer­den müsste, ver­tragslos­er Zus­tand herrschte, und die Verträge mit den 82 Gemein­den der Regionalen Kul­turkon­ferenz Bern in Wass­er fie­len. Dadurch entstün­den unnötige Mehrkosten. Das grösste The­ater im Espace Mit­tel­land wird nicht eingestellt, wenn die Zahlen abgelehnt wer­den, und dafür, die Zusam­men­le­gung mit dem Bern­er Sym­phonieorch­ester zu stop­pen, ist es jet­zt zu spät. Genau­so ste­ht es um die anderen Insti­tu­tio­nen. Auch der Bern­er Stad­trat stimmte am 3. März ein­deutig 5 x JA!

Und was ist, wenn sie nicht ein­ver­standen sind mit diesen Insti­tu­tio­nen und dies kund­tun möcht­en? Dann ist es an der Zeit, dass sie diese Insti­tu­tio­nen besuchen. Sehen sie sich die darge­botene Kun­st an und kri­tisieren sie diese – öffentlich, im Dia­log mit ihren Fre­un­den und Bekan­nten. Set­zen sie sich mit diesen Insti­tu­tio­nen direkt in Kon­takt und ver­suchen sie, ihre eige­nen Ideen und Ansicht­en öffentlich zu machen. Sie dür­fen sich gerne an die ensuite-Redak­tion wen­den, wir wer­den ihre Vorschläge und Texte gerne ent­ge­gen­nehmen und auch veröf­fentlichen. Das ist, was Kul­tur braucht: Ern­stzunehmende Kri­tik und den Aus­tausch mit Men­schen, die wis­sen wovon sie sprechen. Es genügt nicht, sich pauschal gegen kul­turelle Aktiv­itäten ein­er Stadt zu stellen, ohne diese neg­a­tive Kri­tik bele­gen zu kön­nen. Ich kri­tisiere auch nicht eines Mau­r­ers Arbeit, ohne je sel­ber den Mör­tel aufge­tra­gen zu haben. Wenn ich so etwas tue, dann aus Hil­flosigkeit und weil ich mich unver­standen füh­le.

Sich­er: Es gibt viele Dinge, die nicht gut laufen – ger­ade in der Kul­tur­förderung kön­nen wir ein paar Lieder anstim­men. Doch dies geschieht haupt­säch­lich deswe­gen, weil wir als Gesellschaft eben diesen Kul­tur­dia­log nicht mehr gemein­sam öffentlich führen, und sich die Kul­turszene gerne «unter seines­gle­ichen» präsen­tiert. Wir haben zwar jede mögliche Kom­mu­nika­tions­form per­fek­tion­iert – wis­sen aber nicht mehr, wie wir uns mit­teilen kön­nen. Kul­turelles gehört nicht mehr per se zur «Bil­dung» oder ist «wichtig». Kun­st ist schon lange nicht mehr ein­fach oder schön, und viele Bilder möchte man nicht hin­ter seinem Sofa hän­gen sehen. Nack­tes Geschrei von den Büh­nen­bret­tern, welche die Welt bedeuten sollen, treiben auch mich in die Flucht. Ich käme aber nie auf die Idee, deswe­gen ein The­ater zu schliessen oder den Geld­hahn abdrehen zu wollen. Ich bin nicht das Mass aller Dinge – meine Ansicht­en noch weniger.

Kul­tur ist Hoff­nung, keine Leis­tung. Eine Stadt ohne Kul­tur ist ohne Hoff­nung, ohne Zukun­ft. Wenn wir auf die kul­turellen Wahrze­ichen unser­er Stadt verzicht­en wollen, so kön­nen wir gle­ich die Kof­fer pack­en – intel­li­gent wäre das nicht.

Was hat also diese Abstim­mung vom 15. Mai für einen Zweck? Ist sie deswe­gen sinn­los? Nein, im Gegen­teil: Der 15. Mai ist eines der grössten High­lights der Bern­er Kul­tur in diesem Jahr. Nie wer­den sich ähn­lich viele Men­schen für einen Moment dem The­ma Kul­tur wid­men. Wir wer­den uns alle für einen kurzen oder lan­gen Moment unser­er Kul­tur, Ansicht­en, Absicht­en und Ideen bewusst und darüber nach­denken. Das ist ein­fach fan­tastisch – wir soll­ten ein Volks­fest daraus machen.


Foto: zVg.

Pub­liziert: ensuite Aus­gabe Nr. 101, Mai 2011