Von Lukas Vogelsang – Das Editorial, welches ich schrieb, habe ich soeben gelöscht. Ein schwieriger Sommer war das bis jetzt, und heute sieht die Welt noch düsterer aus. Wir fliehen in die Ferien, und während wir unsere Stranderlebnisse auf Facebook präsentieren, läuft einer in Oslo Amok, sprengt Regierungsgebäude und erschiesst Jugendliche. Gleichzeitig sind Züge entgleist, um Fukushima wurden weitere Häuser evakuiert. Amerika kämpft noch immer gegen den Bankrott, Griechenland hat ihn bereits, in Italien kommt nichts besser, und der Rest von Europa beginnt sich in den Lösungen langsam zu verheddern. Amy Winehouse, begnadete Sängerin, ist heute mit siebenundzwanzig Jahren gestorben. Und demnächst platzt die Internetblase, spätestens dann nämlich, wenn die Investoren begreifen, dass man 750 Millionen registrierte User nicht besitzen, und noch weniger mit ihnen etwas anfangen kann. Der Mensch bleibt immer ein Individum, auch in der Masse, und dieses Individuum bleibt immer unabhängig und verletzlich, irgendwo. Das heisst Mensch sein.
Man kann diesen Planeten nicht besitzen, und schon gar nicht steuern. Das ist kein Auto. Man kann mit der Erde nur zusammen sein und mit dem Rest darauf auskommen. Da können wir noch so fremdenfeindlich trotzen, oder ignorant Öl ins Meer schütten. Für unsere Egos Geld zu scheffeln bringt nichts, und es hilft einfach nicht, wenn wir Amok laufen. Wer die Toleranz anderen Meinungen gegenüber nicht hinkriegt, der hat ein ernstzunehmendes Problem. PolitikerInnen sollten lernen, über die Dinge nachzudenken, und nicht nur über die Punkte, welche sie sammeln können. Wir alle müssen lernen, uns der Welt anzupassen, und nicht umgekehrt. Die Intelligenz des Menschen ist ja: Er könnte, wenn er wollte. Dieser Wille unterscheidet uns von vielem hier. Doch wo ist dieser Wille, Mensch zu sein?
«Kultur» ist ein Begriffskonstrukt. Als Individuum haben wir keine eigene Kultur, das definiert sich nur über die Gemeinschaft. Und Gemeinschaften soll es viele geben – nicht nur eine. Viele Gemeinschaften bringen diese Spiegelbilder der Gesellschaften zustande, jene welche der «Kultur» immer wieder zugesprochen werden. Viele Gemeinschaften bedeuten viele Ansichten, bedeuten viel Toleranz und viel Nachdenken und Reflektieren. Kultur ist Inhalt, nicht Form. Kultur ist Sein, nicht Haben.
Was also geschieht mit uns, wenn wir diesen Planeten vereinheitlichen? Wenn wir die Individuen neutralisieren? Was geschieht, wenn nur noch eine Meinung herrscht, oder nur noch einer die Entscheidungen fällt? Wie können wir versucht sein, unsere Meinung anderen aufzudrängen? An der «Macht über Kultur» sind schon viele Menschen krank geworden.
Ich muss leider einen Notruf verkünden: Dieser Ausgabe liegt ein Einzahlungsschein bei und es wäre sehr wichtig, wenn Sie, liebe LeserInnen, mit oder ohne Abo, uns einen kleinen Beitrag spenden könnten. Der Grund: Wir haben erst nach acht Monaten, im Juni erfahren, dass wir in diesem Jahr keine Kulturförderung erhalten. Zum einen ist da die Stadt Bern – lesen Sie unbedingt auf Seite 6 –, und dann noch der Kanton Bern, welcher nur noch «subsidiär» Beiträge spricht. Das heisst, wenn keine weiteren öffentlichen Gelder gesprochen werden, gibt es eben «subsidiär» vom Kanton Bern auch nichts. – Zürich will seit Jahren ein eigenes Kulturmagazin herstellen – und darüber die Kontrolle besitzen – so wie über alle Kultur die Stadt wacht – von ihr gibt es auch nichts.
Ich hoffe auf ein letztes bisschen Demokratiebewusstsein unserer LeserInnen. Bitte helfen Sie uns jetzt! Wir brauchen jede finanzielle Unterstützung: Insgesammt müssen wir über 50’000.- Franken auffangen! Sie können spenden, Probeabos lösen, Abos verschenken, Fördermitglied werden… Ein Einzahlungsschein liegt dieser Ausgabe bei.
Foto: zVg.
Publiziert: ensuite Ausgabe Nr. 104 Bern, August 2011