Von Lukas Vogelsang – Es ist für mich immer noch nicht verständlich, wie viele Kulturbetriebe von Juni bis Oktober Ferien machen können. Das sind 5 Monate – fast ein halbes Jahr. Mit dem Argument, dass bei schönem Wetter die Zuschauer nicht vorbeikommen, habe ich Mühe. Und dass diese Kulturbetriebe dann auch nicht fähig sind, wenigstens während dieser Pause die Presse-arbeit und Vorbereitungen zu erledigen – das ärgert mich regelrecht. Das hat nichts mit Geld zu tun, nichts mit dem Publikum. Oftmals ist das einfach unprofessionell.
Wer Kultur anbietet ist ein Gastgeber. Kulturinstitutionen — und dazu zähle ich auch jedes Restaurant, Kino, jeden öffentlichen Anlass — «bewirten» Publikum. Man verdient Geld damit, dass man Gäste bei sich aufnimmt und ihnen nach bestem Wissen und Können einen angenehmen Aufenthalt verschafft. Allerdings macht man das normalerweise so geschickt, dass nicht das Geldverdienen im Vordergrund steht und das Publikum wieder kommen will. Sie lachen jetzt vielleicht – doch erlebe ich oftmals, dass ich ausser einer Ticketkasse und einem dunklen stickigen Raum nicht viel mehr zu sehen kriege. Ich habe schon vor zehn Jahren erklärt, dass nicht nur das künstlerische Event auf der Bühne, sondern auch der Ort und die Menschen drumherum wichtig sind. Wir sind in der Schweiz kulturell übersättigt und geniessen die Freiheit, unser Freizeitprogramm wählen zu können. Das bedingt natürlich, dass man sich als Veranstalter hervorheben oder charakterisieren muss. Das scheint bei vielen Kulturanbietern vergessen gegangen zu sein. Verstanden haben das die Club-BetreiberInnen, die ohne diese Spezialisierung gar kein Überleben hätten.
Kultur formiert immer Gruppen, bildet Mengen, verbindet und trennt. Dies ist hauptsächlich der Grund, warum Kultur wichtig ist: Wir lernen uns zu definieren, was wir sind, sein wollen und was nicht. Durch Gruppierungen gelingt es uns, eine Identität zu erhalten oder anzunehmen. Versuchen sie das mal alleine, es ist ziemlich schwierig. Natürlich verbinden wir uns auch über das Bühnenprogramm, der Kunst, wieder mit Gruppen. Der Mechanismus ist der Gleiche.
Viele Kultur-Gastwirte laden heute einfach per E‑Mail ein. Die Gruppen existieren nur in einer Mailingliste oder im Facebook. Das ist so unpersönlich und seelenleer, dass es kaum meine Aufmerksamkeit erhält. Vor allem fühle ich mich nicht persönlich eingeladen, werde als Gast anonym behandelt. Das ist nicht gastfreundlich. Dabei gilt bei der Gastfreundschaft immer auch die umgekehrte Seite: Man erhofft sich, dass der Gast sich revanchiert.
Das klingt natürlich etwas abstrakt und lustlos, ist unromantisch, aber auf dem Boden. Und diese Zusammenarbeit gilt eben auch für die Presse: Wie wollen die Kulturschaffenden uns Presseschaffende für sich gewinnen, wenn sie uns nur ein E‑Mail senden? Wenn sie immer «last-minute»-Promo machen? Viele VeranstalterInnen und KünstlerInnen sehen es als die Pflicht der Medien an, dass wir über sie schreiben müssen. Wozu? Warum? Und sagt jetzt nicht: «Weil es wichtig ist!» Das fühlt sich an, wie der Staubsaugerverkäufer oder die Zeugen Jehovas vor der Haustüre.
Ich habe im Oktober das Verständnis von Gastfreundschaft auf eindrückliche Weise erleben dürfen: Ich wurde an eine Ausstellungseröffnung nach Paris eingeladen, Flug und Hotel wurden bezahlt. Nicht einmal während der gesamten Zeit wurde eine Bedingung an uns Medienschaffende gestellt, noch wurden wir darauf angesprochen, über die Ausstellung zu schreiben. Für den Gastgeber war es selbstverständlich, dass er die Medien aus aller Welt einfliegen liess (schön, wenn man das Geld dazu hat). Die internationale Presse hatte dadurch Zeit, sich in aller Ruhe mit der Sache auseinanderzusetzen. Keine Forderungen – nur Einladungen. Das hat Stil und gibt uns Medienschaffenden eine faire Freiheit zurück – diese dürfen und können wir wiederum mit unseren LeserInnen teilen. Also, liebe VeranstalterInnen: fertig Ferien. Um die Gunst der Presse muss man sich bemühen. So geht das.
Foto: zVg.
Publiziert: ensuite Ausgabe Nr. 107 Bern, November 2011