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EDITORIAL Nr. 123: Dialog & Inhalt

Von Lukas Vogel­sang — Nach dem Desaster in der kan­tonalen Ver­wal­tung, im Amt für Kul­tur in Bern, fol­gt die erste wirk­lich erfreuliche Nachricht seit Jahren: Hans Ulrich Glarn­er, der Kul­turchef von Aarau, übern­immt über­raschend als Vorste­her das Amt und erset­zt Ani­ta Bern­hard, welche seit dem 1. April 2009 fast unge­se­hen an dieser Posi­tion gewirkt hat­te und im Feb­ru­ar dieses Jahres wieder unter­tauchte. Der Scher­ben­haufen, der unter dieser Führung ent­standen ist, gren­zt ein­er kul­turellen Plün­derung: Die gesamte Abteilung Kul­tur­förderung wurde aus­gewech­selt – nie­mand ist jet­zt länger als zwei Jahre in dieser Abteilung, das gesamte Know-how ist ver­loren. Es ist gar absurd, dass Mitar­beit­er, welche bei Hans Ulrich Glarn­er gear­beit­et hat­ten und in Bern bere­its als High­light gal­ten, hier nur ein kurzes Gast­spiel aushiel­ten und diese Abteilung fluchtar­tig ver­liessen.

Zurück­ge­blieben ist jet­zt ein Team aus mehrheitlich jun­gen Ver­wal­tungsmi­tar­bei­t­erIn­nen, die geschichtlich mit dem Kan­ton Bern und dessen kul­turellen Tra­di­tio­nen nicht bewan­dert sind. Allein diese Tat­sache hätte schon längst einen Schrei der Entrüs­tung aus­lösen müssen und das hätte dem ver­ant­wortlichen Regierungsrat Bern­hard Pul­ver fast das Genick gebrochen. Zum Glück ist mit der Wahl von Glarn­er eine ele­mentare Weiche gestellt, die vor­erst Schlim­meres ver­hin­dert. Er ist – soweit ich das beurteilen kann – wohl der fähig­ste Kul­tur­mann für diese Gross­baustelle, und damit der Glücks­fall schlechthin für den Kan­ton Bern und für Bern­hard Pul­ver. Allerd­ings wird er nicht nur angenehm sein – aber dies wenig­stens mit sicheren und ver­ständlichen Argu­menten. Sein Mot­to, dass ein Amt «für die Kul­tur da sei» und nicht umgekehrt, ist bere­its ein Stein des Anstoss­es für Bern­hard Pul­ver, der lieber eine straffe «Lin­ien­führung in einem hier­ar­chis­chen Set­ting» sehen würde. Eine solche Führungs­de­f­i­n­i­tion basiert auf Weisungs­befug­nis­sen und Leis­tungs­beziehun­gen. Die inhalts­be­zo­gene und in der Kul­tur­förderung sel­ten anzutr­e­f­fende Dialog­bere­itschaft von Hans Ulrich Glarn­er wird also ver­wal­tungsin­tern erst noch Gehör find­en müssen. Ich trau ihm dies jedoch zu – aber es wird nicht ein­fach sein.

Eine weit­ere pos­i­tive Eigen­schaft, welche diese Wahl von Glarn­er mit­bringt, ist die neue Beziehungs­de­f­i­n­i­tion zwis­chen Kan­ton und Stadt Bern: Mit Glarn­er liegt die fach­liche Kom­pe­tenz jet­zt ein­seit­ig auf Kan­ton­sebene. Wenn sich die Stadt Bern punk­to Fach­wis­sen und kul­tureller Fed­er­führung in Zukun­ft in irgen­dein­er Weise behaupten will, muss sich die städtis­che Abteilung Kul­turelles drin­gend «updat­en» und neu posi­tion­ieren. Dies ist ger­ade im Zusam­men­hang mit der Ein­führung des neuen Kul­turge­set­zes vom Kan­ton, den insti­tu­tionellen Umverteilun­gen und dem fehlen­den Kul­turkonzept der Stadt Bern ele­men­tar. Kul­turell-ver­wal­tung­stech­nisch gese­hen hat die Stadt Bern min­destens zwei Jahre ver­schlafen, und sich in dieser Zeit sel­ber zu viele Baustellen in den Weg gestellt.
Das Kul­turkonzept der Stadt Bern ist denn auch das Kern­stück der Bewe­gung, welche die Stadt Bern machen muss. Endlich wer­den hier auch poli­tis­che Stim­men laut. Dabei müssen sich die Ver­ant­wortlichen bewusst wer­den, dass es in erster Lin­ie nicht ein Kun­stkonzept oder Bud­get braucht, son­dern ein richtiges Kul­turkonzept. Was damit gemeint ist, begin­nen wir in ein­er neuen Serie in dieser Aus­gabe zu beleucht­en. Die Diskus­sion über die Bernische Stadtkul­tur ist übri­gens eben­so wichtig für Zürich: Sel­ten kann man ein­er regionalen kul­turellen Entwick­lung so toll über die Schul­ter schauen. Die bevorste­hende «Tanz dich frei»-Bewegung im Mai wird auch in anderen Städten Diskus­sio­nen aus­lösen. Es soll nie­mand meinen, dass man sich im Zeital­ter der sozialen Medi­en und der gesellschaftlichen Deklassierun­gen ein­fach über die Dinge stellen kann, oder dass Geld alleine als Argu­ment genügt. Da grüsst jet­zt selb­st Herr Vasel­la.

Das Kul­tur­jahr 2013 hat bere­its seine Aus­rich­tung und Ziel angekündigt: Es geht jet­zt um Inhalte. Endlich mal.

Foto: zVg.
ensuite, März 2013

Artikel online veröffentlicht: 19. Juli 2019