Von Lukas Vogelsang — Im Zusammenhang mit einem Kulturmagazin steht das Thema «Kulturkritik» bei vielen DiskutantInnen an erster Stelle der Argumentation. An einer Sitzung – auf meine lapidare Frage an Franziska Burkhardt, abtretende Leiterin der Sektion Kultur und Gesellschaft des Bundesamtes für Kultur – was denn so wichtig an einer «Kulturkritik» sei, überkamen mich bei den Antworten Zweifel:
1. Die KünstlerInnen können anhand einer Kritik ihre Produktionen verbessern. Falsch: Kein Regisseur würde sein Stück verändern, seine künstlerische Freiheit anhand einer Kritik aufgeben. Stellen sie sich einen Maler vor, der nur noch malt, damit die KritikerInnen ihn loben, oder der Literaturkritiker schreibt dem Autor vor, was er wie scheiben muss. Geht gar nicht. Richtig ist, dass die KünstlerInnen und Künstlergruppen die Kritik brauchen, um dem nächsten Veranstalter beizubringen, dass man wichtig, relevant und seinen Preis wert ist. Alles andere ist pure Illusion. Es geht um den Marktwert. Die Kulturkritik ist in diesem Zusammenhang ein Verkaufsargument, eine Bestätigung der Produktionsleistung eines Veranstalters und damit die Rechtfertigung für Produktions- oder Subventionsgeld oder generell einfach Geld.
2. Die ZuschauerInnen können sich besser orientieren und die Produktionen werden verkaufstechnisch besser ausgelastet. Halbwegs richtig und doch falsch: Eine Kulturkritik ist eigentlich kein Ratgeber für das Wohlfühl-Unterhaltungsprogramm, kein Empfehlungsschreiben für Qualität und schon gar kein Verkaufsförderungsinstrument. Die Vorschau auf einen Kultur-Event ist hier ein grosses Problem: Das «jetzt werden sie irritiert» ist der Tod einer jeden Produktionsabsicht und ebenso jeder Kulturkritik.
Die irrige Annahme, dass eine Kulturkritik, von den Zeitungen und Medien als Gratis-Werbung publiziert werden muss, hält sich tief im gesellschaftlichen Bewusstsein fest. Die Forderung von den VeranstalterInnen dazu hat nur die Absicht, sich den eigenen Werbemassnahmen und Kulturvermittlungsaktivitäten zu entziehen und möglichst viel Umsatz ohne Werbeinvestition zu generieren. Beispiel: ensuite – kulturmagazin verarbeitet pro Monat in der Eventdatenbank ungefähr 3‘500 Veranstaltungen. Es ist nicht möglich, alle Veranstaltungen journalistisch zu begleiten. Jede Selektion schliesst einen grossen Teil von LeserInnen aus. Gleichzeitig würde die Leserschaft für diese Menge an Kritik einfach fehlen. Niemand interessiert sich gleichzeitig für alles, was in der Kultur läuft: Oper, Cabaret, Trashtheater, Punk und morderne Malerei, Literatur, Dichtung und Jazz.
3. Es kann ein Kulturdialog in der Gesellschaft ausgelöst werden. Schreibt eine KritikerIn über einen Publikumsliebling negativ, ist die Kritikerkarriere schnell vorüber. Die Leserschaft will vor allem lesen, was sie hören will. Mit der Realität hat das wenig zu tun. Die schauspielerische Qualitätskritik am Theater müsste seit Jahren katastrophal ausfallen – tut sie nicht. Bildende Kunst wird nie schlecht bewertet – niemand wagt es, inhaltliche Bedenken aufzuzeigen. Kultur ist apriori wichtig – und so muss Kultur auch immer «positiv» gewertet werden – alles andere wird als «Unwissen» mundtot gemacht.
Eine Kulturkritik sollte den Produktionsinhalt in einen Kontext zur gesellschaftlichen Realität setzen und uns dadurch menschlich weiterbringen. Als Bindeglied zwischen Kunst und Kultur sozusagen. Dies wird aber erst möglich, wenn wir uns auch damit auseinandersetzen – die Realität spricht aber nur von 2 % LeserInnen des Kulturteils in einer Tageszeitung. Mit vielen Freelance-AutorInnen können wir wenig erreichen – als KritikerIn muss man sich das Vertrauen der Leserschaft erst erarbeiten. Besser also, wir hätten wieder wenige, jedoch vertrauenswürdige KritikerInnen, deren Wort eine klare Handschrift und Nachvollziehbarkeit manifestierten – doch die sind teuer und werden heute eingespart. Eine einzige Kulturkritik ist in höchstem Masse manipulierend – Vorsicht ist also geboten. Die ZuschauerInnen müssen im Anschluss die Produktion selber auch noch betrachten und die Meinungen überprüfen.
Fazit: Alles dreht sich ums Geld. Nur wenn wir in der Gesellschaft entsprechend Plattformen bauen und erhalten, kann eine Vielfalt von Meinungen publiziert werden und die gewünschte «Reflexion» entstehen. Vorher ist eine einzelne Kritik nur eine persönliche Meinung von einer Person – egal, wie bekannt, vertrauenswürdig oder berühmt diese Person ist.
Mitunter ein Grund, warum ich gerne provokativ und kontrovers bleibe: Ich habe vor dieser Macht unheimlichen Respekt. Als Journalist muss ich glaubwürdig sein, sollte aber die LeserInnen dazu bringen, sich selber eine Meinung bilden zu können – und bitte nicht einfach meine. Dies ist unsere Aufgabe – als Journalisten, Kritiker und generell als Medienschaffende. Gerade in der Kultur.
Im Jahr 2013 müssen wir zudem daran denken, dass es erst Räume und Gruppen oder Gesellschaften braucht, welche bereit sind, über Kultur zu diskutieren. Die Zeit der Zünfte ist vorbei, Kulturvereine, gerade in Agglomerationen, aber auch in den Städten, bekunden Mühe, neue Mitglieder zu aktivieren, und die sagenumwobenen Künstlertreffs haben schon längst an Glanz verloren und bewirken kaum noch einen Kulturdialog (Theaterregisseur Samuel Schwarz mal ausgenommen). Dieses ganze Potpourri an Informationen noch zu verarbeiten ist ein Problem.
Und was heisst das jetzt alles? Geben wir jetzt einfach auf oder lernen wir mit der Entwicklung umzugehen? ensuite – kulturmagazin ist seit 10 Jahren meine persönliche Antwort auf diese Zweifel – ich würde mich freuen, wenn diese Verantwortung mit ihnen, liebe LeserInnen, geteilt werden könnte:
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Foto: zVg.
ensuite, August 2013