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EDITORIAL Nr. 129: Schöne neue Welt

Von Lukas Vogel­sang – Der Kolum­nist Jakob Aug­stein schrieb im «Spiegel» zum neuen Buch von Frank Schirrma­ch­er, «Ego – Das Spiel des Lebens», fol­gende bemerkenswerte Zeilen: «Es ist die Auf­gabe von Intellek­tuellen, auf Ideen zu kom­men. Schirrma­ch­ers neues Buch erin­nert daran, dass wir gar nicht so viele Leute im Land haben, denen mal ein Licht aufge­ht.» Ich über­lege mir, welche Schweiz­er Intellek­tuellen heute zu nen­nen wären – und ich meine damit die Leben­den. Mir kom­men Jean Ziegler und vielle­icht noch Peter Bich­sel in den Sinn – dann zieht eine dürre Wüste durch meine Erin­nerung. Und wie ste­ht es mit dem «Nach­wuchs»?

Das Buch «Ego – Spiel des Lebens» ist in der Tat eine irrsin­nige Reise durch die Geschichte (seit dem Kalten Krieg) und die men­tale Evo­lu­tion des Men­schen. Der Autor Frank Schir­m­mach­er, Jour­nal­ist und Her­aus­ge­ber der «Frank­furter All­ge­meinen Zeitung», ver­ste­ht es sehr überzeu­gend, die «Spiel­regeln» zu erk­lären, und man erschrickt dabei, wenn man seine eige­nen Hand­lun­gen in seinen Aus­führun­gen erk­lärt sieht. Das Buch ist aber alles andere als eine psy­chol­o­gis­che Abhand­lung über den Men­schen. Bei Schirrma­ch­er klingt das näm­lich so: «Irgend­wie ist uns in Europa ent­gan­gen, mit welchen gigan­tis­chen Hoff­nun­gen die Wall Street ihre Physik­er empf­ing: als Men­schen, die gemein­sam mit den Ökonomen etwas schaf­fen wür­den, das der Atom­bombe gle­ichkäme. (…) Es war die Ver­schmelzung von Ökonomie, Physik und Gesellschaft­s­the­o­rie zu ein­er neuen Prax­is der sozialen Physik.» Schirrma­ch­er zeich­net eine gefährliche und reale Matrix auf – und wir ver­ste­hen, worauf im gle­ich­nami­gen Film «Matrix», oder aber auch dem «5. Ele­ment» ange­spielt wurde. Das klingt nach Ver­schwörungs­the­o­rien? Lesen Sie das Buch – man erschrickt dabei.

Ich frage mich allerd­ings über den aktiv­en Willen dieser «sozialen Physik». Wer designt denn solche Mas­ter­pläne, wie sie Schirrma­ch­er beschreibt? Gibt es über­haupt einen wil­lentlichen Ursprung, oder sind das alles in der Tat die selb­st­gestell­ten Fall­en des Men­schen, in die er rein­fällt? Sind die Amerikaner­In­nen schuld oder ein­fach nur blind? Mir fehlt ein Hin­weis auf «das Super­hirn». Die NSA-Affäre und die Aufdeck­un­gen der Whistle­blow­er geben hier allerd­ings eine irri­tierende Antwort: Edward Snow­den, Julian Assange, Bradley Man­ning sind Schuldige und wer­den verurteilt, ger­ade weil sie die Exis­tenz dieser, von Frank Schirrma­ch­er beschriebe­nen, mächti­gen Drahtzieher offen­gelegt haben. Wer noch tiefer gräbt, wird viel schlim­mere Dinge ent­deck­en. Bis jet­zt haben wir nur das Offen­sichtliche erspürt. Und wie es die Wer­bein­dus­trie ver­spricht: Das war noch nicht alles!

Diese Diskus­sion passt, auch in der Kul­tur gibt es diese Spiel­regeln. Ich habe mich bere­its auf Face­book darüber aus­ge­lassen – wobei ich mir bewusst bin, dass ich mich damit auf dem gle­ichen Spielfeld der «Spielthe­o­rie» bewege. In Bern herrscht Sparzwang, und poli­tis­che Kreise wollen bei der Bern­er Kun­st Einsparun­gen machen: Das Kun­st­mu­se­um Bern und das Zen­trum Paul Klee soll­ten zu ein­er Insti­tu­tion ver­schmelzen, der Bern­er Kun­sthalle sollen die Sub­ven­tio­nen gekürzt wer­den, die Ren­o­va­tion des Konz­ertThe­ater­Bern ist zu teuer. Über die muse­ale Zusam­men­le­gung gibt es einen Bericht der klar aufzeigt, dass ein Zusam­men­schluss keinen Sinn ergibt. Dieser wurde noch im let­zten Jahr pub­lik gemacht und von der Pro­jek­tleitung im März 2013 bestätigt. Doch ein halbes Jahr später sind die Bera­terIn­nen noch immer auf der Suche nach ein­er Lösung. Welch­er Lösung?

In der Kul­tur – und natür­lich auch in allen anderen The­men, wie Energie, Sozial­we­sen, Wirtschaft, etc… – wird nicht nach Inhalt entsch­ieden, nicht nach Funk­tion, son­dern nach den Inter­essen einiger Grup­pen – in den sel­tensten Fällen sind dies aber die Kul­turschaf­fend­en sel­ber, denn diese haben wenig poli­tis­che und/oder wirtschaftliche Ambi­tio­nen – mal vom Über­leben­seinkom­men abge­se­hen. Und wir reden nicht von den freien Kul­turszenen, son­dern den Insti­tu­tio­nen, in welchen StiftungsrätIn­nen, Ver­wal­tungsrätIn­nen, Lei­t­ende Angestellte, Direk­torIn­nen, Man­agerIn­nen, Poli­tik­erIn­nen, Kunstsammler‑, oder Erb­mil­lionärIn­nen das Sagen haben. Es sind nicht die Intellek­tuellen, welche über Kul­turelles nach­denken und entschei­den, son­dern jene, welche die Spiel­re­gen so aufgestellt haben, dass der Prof­it in den eige­nen Rän­gen bleibt. Wir müssen da keine Illu­sio­nen haben. Kun­st ist ein Investi­tion­s­markt. Das ist mitunter der Grund, warum «Kul­turelles» immer nur als «wichtig» betra­chtet wird, und jegliche inhaltliche Diskus­sion oder konzeptuelle Form für die Stad­ten­twick­lung ver­nach­läs­sigt wird. Immer­hin hat in Bern dieser Ego-Prozess in der Kul­tur erst vor ca. 20 Jahren offiziell Fuss gefasst – vorher waren die finanziellen Prof­it­möglichkeit­en schlicht zu ger­ing und die Insti­tu­tio­nen zu mar­od. Mit dem Wech­sel in der Kul­tur­abteilung, als der Lib­er­al­is­mus in die Kul­tur ein­zog, wur­den das Geld und damit die Rollen der Pro­tag­o­nist-Innen neu verteilt. Sei­ther steigen die Geld­forderun­gen in Dimen­sio­nen, die vorher undenkbar waren. Es wer­den Mil­lio­nen verteilt, und par­al­lel dazu von den Steuerzahlern zurück­ge­fordert mit der Begrün­dung, dass «Kul­tur wichtig ist». Inter­es­san­ter­weise find­en wir jet­zt kaum noch kul­turell aus­ge­bildete Per­so­n­en in den Kul­turver­wal­tun­gen. Es gibt dafür neu Bera­terIn­nen und Man­agerIn­nen, welche die Ver­wal­tun­gen opti­mieren. Die Inhalts­diskus­sio­nen sind den Opti­mierungsregeln gewichen. Die Grun­dregel lautet jet­zt: «bess­er, gröss­er, schneller, effizien­ter als…». In Zürich sind all diese Prozesse schon viel länger aktiv, doch da fällt es nie­man­dem mehr auf, weil dieser Zus­tand bere­its als «nor­mal» gilt. Genau diese Mech­a­nis­men und Spiel­regeln zeigt Frank Schirrma­ch­er in seinem Buch auf. Doch meine Frage bleibt: Steckt dahin­ter Absicht, Wille, oder ist es eine men­schlich-evo­lu­tion­stech­nis­che Verblendung?


Foto: zVg.

Pub­liziert: ensuite Aus­gabe Nr. 139, Sep­tem­ber 2013