Von Lukas Vogelsang — In Bern wird zur Zeit öffentlich über Kultur gesprochen, dass jede andere Schweizer Stadt vor Neid erblassen müsste. Allerdings ist das, was an die Oberfläche dringt, nicht grad ein Hochstand der Evolution. So quälen wir uns mit farb- und kraftlosen, vor allem aber visionslosen PolitikerInnen und KulturverwalterInnen herum. Ich persönliche finde es dabei bedenklich, dass sich die KulturdirektorInnen der grossen Institutionen kaum der Öffentlichkeit stellen und diesen Dialog prägen, oder die Verantwortung mittragen helfen. Sie schweigen unisono – sind beschäftigt mit ihren Häusern und nicht mit der Gesellschaft. Die Kulturverbände sind sich uneinig und hampeln orientierungslos und schlecht abgesprochen – ein Chaos. Damit tut sich die ansonsten reichhaltige Kulturszene der Hauptstadt der Schweiz keinen Dienst. Im Gegenteil. Glücklicherweise ist der gesamte Haufen so berntypisch langsam, dass wir keine Angst haben müssen, dass irgendetwas Elementares geschieht.
Trotzdem: Die Leiterin der städtischen Kulturabteilung der Hauptstadt der Schweiz hat sich im Interview mit der Berner Zeitung vom 9. September 2013 selber ein Grab geschaufelt. Es ging dabei unter anderem um eine neue Kulturstrategie für die Stadt Bern. Frau Veronica Schaller findet es nicht nötig, eine solche zu erstellen: «Ein solches Papier ist was für Politik, Öffentlichkeit und Medien, nicht für Kulturschaffende.» Genau, Frau Schaller. Und deswegen braucht Bern unbedingt rasch ein solches Papier. Es ist momentan nicht mal möglich, gegen eine Entscheidung eine Beschwerde einzureichen – ohne Konzept herrscht die totale Willkür, oder das Ego einzelner EntscheiderInnen.
Frau Schaller präzisierte, dass sie den Begriff Kulturstrategie nicht verwende, sondern diese «Strategie der Kulturförderung» nenne. Selbst Alexander Tschäppät redet von einer «Kulturstrategie», und auch der Kanton Bern, Amt für Kultur, nennt das hauseigene Konzept «Kulturstrategie». Nett, dass sich Frau Schaller nach fünf Jahren Amtszeit wahrscheinlich zum ersten Mal zu einer kulturellen Begriffsdefinition hinreissen liess. Man kann dieses ominöse Papier auch «Kulturkonzept» nennen, oder wie in Zürich ganz pragmatisch «Kulturförderungsleitbild». Gemeint ist bei all den Begriffsdefinitionen genau das Gleiche.
Die einfache Definition: Ein Konzept ist ein grober, nicht bis in Details ausgeführter Plan (gemäss Wikipedia). Eine Strategie ist dann «ein längerfristig ausgerichtetes Anstreben eines Ziels unter Berücksichtigung der verfügbaren Mittel und Ressourcen» (Wikipedia). Die Begriffe «Strategie der Kulturförderung» und das «Kulturförderungsleitbild» erklären sich so von selbst. Alle Begriffe verwenden wir für die gleiche Funktion: Eine Stadt, wie Bern oder Zürich, gibt Geld aus für kulturelle Institutionen und für kulturelle Entwicklungen. Dieses Geld wird aus Steuereinnahmen der Abteilung Kulturelles zur Verfügung gestellt, welche es gemäss Vorgaben der Stadt zu verwalten hat. Da gibt es Beträge, die fix von den StadträtInnen oder gar vom Volk definiert ausgegeben werden müssen. Das betrifft meistens ein paar grosse Kulturinstitutionen oder Organisationen. Ein Stadttheater wird beispielsweise nicht gefördert, sondern es hat einen von der Stadt gegebenen Auftrag, den es umzusetzen gilt. Dann gibt es einen Topf Fördergeld, der nicht fix zugeordnet ist, sondern der Abteilung Kultur zur fairen und mehr oder weniger freien Verteilung zusteht. Gefördert werden damit kleinere KünstlerInnenkollektive, Organisationen, der künstlerische Nachwuchs, oder Infrastrukturen, Kultur-Preisausschreibungen, etc… Um diese Beiträge zu verteilen gibt es Fachkommissionen. Und spätestens jetzt brauchen wir mindestens ein Konzept, damit die Abteilung Kulturelles, welche ja eben nicht nur aus einer Person besteht, einigermassen transparent und nach einem Plan dieses Geld optimal verteilen kann. Das heisst, man muss – da ja nicht alles, was in einer Stadt künstlerisch produziert wird, mit Steuergeld unterstützt wird – eine gewisse Selektion (Qualitätskriterien, quantitative Definitionen und kulturelle und künstlerische Stossrichtungen) vornehmen. Ohne Konzept fahren wir ohne Kompass in die Wüste und schütten das Wasser unterwegs in den Sand.
Frau Schaller wehrt sich uneinsichtig gegen ein Kulturkonzept oder wie das Papier heissen soll. Dabei ist es das elementare Werkzeug für ihre Arbeit. Wir haben alle gesehen, was passiert, wenn ein Kapitän ein Schiff «frei» steuert. Die Bilder der Costa Concordia sind uns vertraut, wir haben uns alle an die Stirn gegriffen. Und wir wissen auch, dass es viel kostet, solche Fehler wieder gerade zu biegen.
Um ein Konzept zu erstellen brauchen wir eine Ausgangslage, ein Ziel, und einen Umsetzungsplan. Diese drei Punkte müssen nachvollziehbar erklären, wie und warum Geld von A nach B fliesst. Das kann man auf mehr oder weniger detaillierte Art machen, bei der Interpretation sollte allerdings nicht alles offen sein. Sonst erfüllt das Konzept seine Aufgabe nicht.
Schlicht falsch ist die Annahme von Frau Schaller, dass die KünstlerInnen und Institutionen die kulturellen Stossrichtungen einer Stadt vorgeben. Frau Schaller ist nicht die Verwalterin der Kunst, sondern der städtischen Kultur. Künstler-Innen geben höchstens eine künstlerische Richtung vor – und dies ist erst noch szenenabhängig. Aber, ob wir Pyramiden bauen oder zusammen auf den Strassen Lieder singen ist mitunter auch eine Frage der Gesellschaft. Kultur ist ein Spiegel der Gesellschaft – das schliesst das Publikum und auch das Nicht-Publikum mit ein. Trends, weltweite Entwicklungen müssen genauso mit beobachtet werden. Auch hier haben wir eine Art ökonomischer Kreisläufe, die ebenfalls in die Kulturverwaltung einfliessen und von dieser in neue Bewegungen gebracht werden. Ohne Denken und kontinuierliche kulturelle Auseinandersetzungen, Standortbestimmungen und Kursoptimierungen kann eine Abteilung Kulturelles gar nicht arbeiten. «Verwalten» hat hier auch einen intellektuellen, moralischen und philosophischen Ansatz, denn es muss auch beraten werden.
Und nicht zuletzt: Frau Schaller muss das Konzept nicht selber schreiben, sondern es ist ein gemeinsames Werk, welches sich aus vielen Teilen zusammensetzt. Dann lasst uns damit beginnen.
Foto: zVg.
ensuite, Oktober 2013