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EDITORIAL Nr. 130: Kultur ohne Kopf, Geist und Seele

Von Lukas Vogel­sang – In Bern wird zur Zeit öffentlich über Kul­tur gesprochen, dass jede andere Schweiz­er Stadt vor Neid erblassen müsste. Allerd­ings ist das, was an die Ober­fläche dringt, nicht grad ein Hoch­stand der Evo­lu­tion. So quälen wir uns mit farb- und kraft­losen, vor allem aber vision­slosen Poli­tik­erIn­nen und Kul­turver­wal­terIn­nen herum. Ich per­sön­liche finde es dabei beden­klich, dass sich die Kul­tur­di­rek­torIn­nen der grossen Insti­tu­tio­nen kaum der Öffentlichkeit stellen und diesen Dia­log prä­gen, oder die Ver­ant­wor­tung mit­tra­gen helfen. Sie schweigen unisono – sind beschäftigt mit ihren Häusern und nicht mit der Gesellschaft. Die Kul­turver­bände sind sich uneinig und ham­peln ori­en­tierungs­los und schlecht abge­sprochen – ein Chaos. Damit tut sich die anson­sten reich­haltige Kul­turszene der Haupt­stadt der Schweiz keinen Dienst. Im Gegen­teil. Glück­licher­weise ist der gesamte Haufen so bern­typ­isch langsam, dass wir keine Angst haben müssen, dass irgen­det­was Ele­mentares geschieht.

Trotz­dem: Die Lei­t­erin der städtis­chen Kul­tur­abteilung der Haupt­stadt der Schweiz hat sich im Inter­view mit der Bern­er Zeitung vom 9. Sep­tem­ber 2013 sel­ber ein Grab geschaufelt. Es ging dabei unter anderem um eine neue Kul­turstrate­gie für die Stadt Bern. Frau Veron­i­ca Schaller find­et es nicht nötig, eine solche zu erstellen: «Ein solch­es Papi­er ist was für Poli­tik, Öffentlichkeit und Medi­en, nicht für Kul­turschaf­fende.» Genau, Frau Schaller. Und deswe­gen braucht Bern unbe­d­ingt rasch ein solch­es Papi­er. Es ist momen­tan nicht mal möglich, gegen eine Entschei­dung eine Beschw­erde einzure­ichen – ohne Konzept herrscht die totale Willkür, oder das Ego einzel­ner Entschei­derIn­nen.

Frau Schaller präzisierte, dass sie den Begriff Kul­turstrate­gie nicht ver­wende, son­dern diese «Strate­gie der Kul­tur­förderung» nenne. Selb­st Alexan­der Tschäp­pät redet von ein­er «Kul­turstrate­gie», und auch der Kan­ton Bern, Amt für Kul­tur, nen­nt das hau­seigene Konzept «Kul­turstrate­gie». Nett, dass sich Frau Schaller nach fünf Jahren Amt­szeit wahrschein­lich zum ersten Mal zu ein­er kul­turellen Begriffs­de­f­i­n­i­tion hin­reis­sen liess. Man kann dieses ominöse Papi­er auch «Kul­turkonzept» nen­nen, oder wie in Zürich ganz prag­ma­tisch «Kul­tur­förderungsleit­bild». Gemeint ist bei all den Begriffs­de­f­i­n­i­tio­nen genau das Gle­iche.

Die ein­fache Def­i­n­i­tion: Ein Konzept ist ein grober, nicht bis in Details aus­ge­führter Plan (gemäss Wikipedia). Eine Strate­gie ist dann «ein länger­fristig aus­gerichtetes Anstreben eines Ziels unter Berück­sich­ti­gung der ver­füg­baren Mit­tel und Ressourcen» (Wikipedia). Die Begriffe «Strate­gie der Kul­tur­förderung» und das «Kul­tur­förderungsleit­bild» erk­lären sich so von selb­st. Alle Begriffe ver­wen­den wir für die gle­iche Funk­tion: Eine Stadt, wie Bern oder Zürich, gibt Geld aus für kul­turelle Insti­tu­tio­nen und für kul­turelle Entwick­lun­gen. Dieses Geld wird aus Steuere­in­nah­men der Abteilung Kul­turelles zur Ver­fü­gung gestellt, welche es gemäss Vor­gaben der Stadt zu ver­wal­ten hat. Da gibt es Beträge, die fix von den StadträtIn­nen oder gar vom Volk definiert aus­gegeben wer­den müssen. Das bet­rifft meis­tens ein paar grosse Kul­turin­sti­tu­tio­nen oder Organ­i­sa­tio­nen. Ein Stadtthe­ater wird beispiel­sweise nicht gefördert, son­dern es hat einen von der Stadt gegebe­nen Auf­trag, den es umzuset­zen gilt. Dann gibt es einen Topf Fördergeld, der nicht fix zuge­ord­net ist, son­dern der Abteilung Kul­tur zur fairen und mehr oder weniger freien Verteilung zuste­ht. Gefördert wer­den damit kleinere Kün­st­lerIn­nenkollek­tive, Organ­i­sa­tio­nen, der kün­st­lerische Nach­wuchs, oder Infra­struk­turen, Kul­tur-Preisauss­chrei­bun­gen, etc… Um diese Beiträge zu verteilen gibt es Fachkom­mis­sio­nen. Und spätestens jet­zt brauchen wir min­destens ein Konzept, damit die Abteilung Kul­turelles, welche ja eben nicht nur aus ein­er Per­son beste­ht, einiger­massen trans­par­ent und nach einem Plan dieses Geld opti­mal verteilen kann. Das heisst, man muss – da ja nicht alles, was in ein­er Stadt kün­st­lerisch pro­duziert wird, mit Steuergeld unter­stützt wird – eine gewisse Selek­tion (Qual­ität­skri­te­rien, quan­ti­ta­tive Def­i­n­i­tio­nen und kul­turelle und kün­st­lerische Stoss­rich­tun­gen) vornehmen. Ohne Konzept fahren wir ohne Kom­pass in die Wüste und schüt­ten das Wass­er unter­wegs in den Sand.

Frau Schaller wehrt sich unein­sichtig gegen ein Kul­turkonzept oder wie das Papi­er heis­sen soll. Dabei ist es das ele­mentare Werkzeug für ihre Arbeit. Wir haben alle gese­hen, was passiert, wenn ein Kapitän ein Schiff «frei» steuert. Die Bilder der Cos­ta Con­cor­dia sind uns ver­traut, wir haben uns alle an die Stirn gegrif­f­en. Und wir wis­sen auch, dass es viel kostet, solche Fehler wieder ger­ade zu biegen.

Um ein Konzept zu erstellen brauchen wir eine Aus­gangslage, ein Ziel, und einen Umset­zungs­plan. Diese drei Punk­te müssen nachvol­lziehbar erk­lären, wie und warum Geld von A nach B fliesst. Das kann man auf mehr oder weniger detail­lierte Art machen, bei der Inter­pre­ta­tion sollte allerd­ings nicht alles offen sein. Son­st erfüllt das Konzept seine Auf­gabe nicht.

Schlicht falsch ist die Annahme von Frau Schaller, dass die Kün­st­lerIn­nen und Insti­tu­tio­nen die kul­turellen Stoss­rich­tun­gen ein­er Stadt vorgeben. Frau Schaller ist nicht die Ver­wal­terin der Kun­st, son­dern der städtis­chen Kul­tur. Kün­stler-Innen geben höch­stens eine kün­st­lerische Rich­tung vor – und dies ist erst noch szenen­ab­hängig. Aber, ob wir Pyra­mi­den bauen oder zusam­men auf den Strassen Lieder sin­gen ist mitunter auch eine Frage der Gesellschaft. Kul­tur ist ein Spiegel der Gesellschaft – das schliesst das Pub­likum und auch das Nicht-Pub­likum mit ein. Trends, weltweite Entwick­lun­gen müssen genau­so mit beobachtet wer­den. Auch hier haben wir eine Art ökonomis­ch­er Kreis­läufe, die eben­falls in die Kul­turver­wal­tung ein­fliessen und von dieser in neue Bewe­gun­gen gebracht wer­den. Ohne Denken und kon­tinuier­liche kul­turelle Auseinan­der­set­zun­gen, Stan­dortbes­tim­mungen und Kur­sop­ti­mierun­gen kann eine Abteilung Kul­turelles gar nicht arbeit­en. «Ver­wal­ten» hat hier auch einen intellek­tuellen, moralis­chen und philosophis­chen Ansatz, denn es muss auch berat­en wer­den.

Und nicht zulet­zt: Frau Schaller muss das Konzept nicht sel­ber schreiben, son­dern es ist ein gemein­sames Werk, welch­es sich aus vie­len Teilen zusam­menset­zt. Dann lasst uns damit begin­nen.


Foto: zVg.

Pub­liziert: ensuite Aus­gabe Nr. 130, Okto­ber 2013

 

Artikel online veröffentlicht: 1. Oktober 2013 – aktualisiert am 13. März 2024