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EDITORIAL Nr. 131: Denn sie wissen nicht, was sie tun

Von Lukas Vogel­sang – Kun­stschaf­fen irri­tiert Kun­stschaf­fen – etwa so musste sich die Inter­ven­tion von Green­peace ange­fühlt haben, welche am Sam­stag, 19. Okto­ber vor der Ton­halle in Zürich stat­tfand: Ein Cel­list, eine Bal­lett­tänz­erin, welche den ster­ben­den Schwan in ein­er Öllache tanzte und eine kleine Wer­bekulisse im Hin­ter­grund, welche den Haupt­spon­sor „Gazprom“ und dessen Tätigkeit­en in der Antark­tis an den Pranger stellte, bracht­en die Botschaft kon­se­quent rüber. Der Ver­anstal­ter hätte sich einen Polizeiein­satz gewün­scht – obwohl das Pub­likum andächtig der Insze­nierung zusah. Eine ziem­lich groteske Sit­u­a­tion.

Ähn­lich schwierig war dies im Kun­st­mu­se­um Bern mit der Hol­cim-Ausstel­lung „Indus­tri­ous“ im Jahr 2012. Diese war von ein­er Wer­beagen­tur für den Hol­cim-Konz­ern konzip­iert und der Direk­tor vom Kun­st­mu­se­um Bern wurde sog­ar von dem Konz­ern nach Asien in die Ferien ein­ge­laden, nur damit das Prädikat „kün­st­lerisch wertvoll“ gegeben sein wird. Eine Def­i­n­i­tion, die gemäss dem Direk­tor „eine Sache der Direk­tion“ ist. Noch Fra­gen? Allerd­ings soll dies jet­zt nie­man­den anschuldigen, son­dern nur zeigen, wie kom­pliziert diese Gefüge sind.

Eben­so irri­tierend empfinde ich es näm­lich, wenn sich nach ein­er Pre­miere im Stadtthe­ater Bern die Belegschaft der Insti­tu­tion sich sel­ber beklatschen. Ist ihnen dies schon mal aufge­fall­en? Ich kenne auch keine Bau­fir­ma, die nach­dem sie das Gerüst aufge­baut hat, ein Freude­tänzchen auf­führt. Aber im The­ater, nach ein­er Vorstel­lung wird vor dem nor­malen Pub­likum immer wild gep­fif­f­en und Stim­mung gemacht – fast immer aus dem Parterre, den hin­teren Rei­hen. Die halbe Belegschaft des Stadtthe­aters mit Fre­un­den und Fre­un­des­fre­un­den sitzen da und ani­mieren das Pub­likum. Ver­suchen sie im Anschluss, etwas Kri­tis­ches über die Insze­nierung zu äussern… Dies ist kaum noch möglich und da geben sich sog­ar einge­sessene Kri­tik­erIn­nen der Tageszeitun­gen sehr „diplo­ma­tisch“ mit der Stück­kri­tik.

Aber das ist noch lange nicht alles. Die Beispiele aus der Kul­tur­förderung beschreibe ich ja schon seit Jahren und in diesen Kreisen wird man nie müde, sich sel­ber auf die Schul­tern zu klopfen. Oder haben sie, liebe LeserIn­nen, jemals gehört, dass zuständi­gen Behör­den­stellen das eigene Amt schlechtre­den? Hat Regierungsrat Pul­ver je zugegeben, dass ihm die Kul­tur­abteilung – und seien wir ehrlich, auch die Bil­dungsabteilung – ziem­lich schw­er liegen? So viel Ehrlichkeit fällt nicht mal dem Bun­de­samt für Strassen ein, welch­es erst ger­ade durch einen 60-Mil­lio­nen-Skan­dal in die Schlagzeilen ger­at­en ist. Das sei doch weltweit so – kön­nten man jet­zt sagen. Nur entschuldigt dies lei­der gar nichts.

Es ist ein Teil des Men­schen, unser­er Kul­tur, liegt in unseren Genen, zu lügen und gutzure­den, was schon längst aufgedeckt falsch ist. Anders kann man das nicht mehr erk­lären. Es zieht sich durch die gesamte Gesellschaft und selb­st das Face­book-Pro­fil ist eine schöngestellte Insze­nierung eines son­st vielle­icht unbescholte­nen Users. So sitzen wir im Pub­likums­bere­ich des The­aters und wollen auch nichts anderes sehen, als schönin­sze­nierte Lügen. Wer möchte schon im Face­book umgeben sein von der Wahrheit – diesen Spiegel wollen wir nicht. Wir wollen zu den Guten gehören. Wir wollen keine ehrliche Kri­tik, die beschreibt, was wirk­lich gese­hen wurde, son­dern wir wollen, dass die gesellschaftliche Illu­sion aufrecht bleibt.

Um doch noch ein wenig „Selb­stkri­tik“ vorzu­gaukeln, wer­den poli­tisch einzelne The­men her­auf­fokussiert und zu Spiel­bällen. Mal gewin­nt rechts, mal links, aber so gut wie nie geht es um die Sache sel­ber. Die 1:12 Ini­tia­tive beispiel­sweise liefert hier­für ein gutes Schaus­piel. Ger­ade mal 0.4 % von Unternehmungen wären von ein­er neuen Geset­zesvor­lage betrof­fen, aber min­destens 312‘861 Unternehmen wür­den zusam­men For­mu­la­re von min­destens eins bis zwei Ton­nen Papi­er aus­füllen, es gäbe einen neuen Abteilungschef für ein ca. 15-köp­figes Team und einen Juris­ten-Stab, der sich mit den Prob­le­men befassen müsste. Ich bin nicht gegen 1:12 im Denkansatz, aber die Lösung ist es nicht. Ein abso­lut sur­real­er Aufwand für eine so kleine Min­der­heit von Egozen­trik­ern, die sich sel­ber moralisch aus der Gesellschaft gemogelt haben. Die Emo­tion­al­ität aber brodelt in bei­den poli­tis­chen Lagern über. Es geht um Punk­te. Doch sind wir ehrlich: Würde sich irgen­det­was verbessern in der Welt, wenn die Ini­tia­tive angenom­men würde? Nein. Das Einzige, was wir damit bewirken ist, dass wir eine weit­ere Illu­sion kreiert hät­ten, die „Guten“ und die „Bösen“ näher zueinan­der zu brin­gen. Doch das Gegen­teil wäre erre­icht: Diese Polar­isierung weckt nur die Miss­gun­st in uns. Und so wer­den die Lager rasch ein neues Reizthe­ma voran­führen, um die Punk­te wieder auszu­gle­ichen…

Wir leben in ein­er Welt der Illu­sio­nen. Wir haben das so entsch­ieden und sind allem Anschein glück­lich darin. Stellen sie, liebe LeserIn­nen, ein­fach keine Fra­gen. So bleiben die Illu­sio­nen erhal­ten — jede gestellte Frage, rüt­telt an diesem Gerüst. Denn wir wis­sen nicht, was wir tun.


Foto: zVg.

Pub­liziert: ensuite Aus­gabe Nr. 131, Novem­ber 2013

Artikel online veröffentlicht: 1. November 2013 – aktualisiert am 13. März 2024