Von Lukas Vogelsang – In der Jubiläumsschrift vom Kornhausforum Bern vom Oktober 2013 schreibt Christoph Reichenau, ehemaliger Kultursekretär der Stadt Bern und Gründer der Berner Kulturagenda: «Erst durch die Werke der Kunst werden wir ganze Menschen und Bürger. Sie bilden unsere Sinne, sie öffnen uns die Augen.»
Solche Definitionen finde ich haarsträubend und sie ärgern mich, weil ich seit jeher dieses elitäre Kulturdenken aufbrechen will. Die Gesellschaft darf nicht in Klassen aufgeteilt, und Kultur und Kunst nur für «bessere Gesellschaften» definiert werden. Wer kein Geld hat und mühselig arbeiten muss, um überhaupt die Familie über die Runden bringen zu können, hat mit grösster Wahrscheinlichkeit weniger Zeit für Kunst, und ist nach der obengenannten Definition weniger Mensch und weniger BürgerIn? Das ist arrogant in Anbetracht der Besucherzahlen von Kunstinstitutionen. Das ist weltfremd in Anbetracht der Multikulti-Gesellschaft, die wir heute nun mal sind.
Obwohl öffentlich dementiert, hat die Stadt Bern (gemäss unseren Informationen) bereits seit Herbst 2013 ein neues Kulturkonzept für die Zeit ab 2016 geschrieben. Im Januar soll eine grosse Anhörung mit Kulturinstitutionen stattfinden, wobei da nicht alle, sondern nur ausgewählte Institutionen eingeladen sind. Das neue Konzept hat noch niemand offiziell gesehen – die Anhörung findet allerdings bereits zu spät statt. «Kultur» wird in Bern von der Stadt, dem Kanton und der Regionalen Kulturkonferenz definiert – und diese sind politisch motiviert, funktionell und auch personell nicht unabhängig voneinander. Vor allem aber geht es um Geld – und nicht um Inhalt.
Dadurch, dass Kultur und Kunst individuell wahrgenommen werden, allerdings die gesamte Gesellschaft beeinflussen und von ihr finanziell getragen werden, ist dieses Vorgehen nicht ideal. Sehr viele Organisationen, Institutionen und auch MitdenkerInnen werden übergangen. Es fehlt an der öffentlichen Auseinandersetzung und bleibt schlussendlich nur bei einer Insider-Geldverteilung. Das kann kein idealer Plan für ein Kulturkonzept sein. Zumal auch der Begriff «Kultur» nur auf Subventionsgeld und Veranstaltungsprogramme reduziert wird. Ein Kulturkonzept ist kein Budget, sondern eine Art Gesellschaftsentwurf. Sicher, im Alltag muss ein solches Konzept als Werkzeug dienen um öffentliches Geld für privates Schaffen für alle fair verteilen zu können. Doch: Aus Geld allein entstehen kaum Visionen für eine kulturelle Weiterentwicklung einer Gesellschaft.
Wir können niemandem einen Vorwurf machen – auch wenn ich persönlich der Meinung bin, dass die Kulturämter diese Aufgabe übernehmen müssten. Es hat schlicht noch nie jemand eine inhaltsbasierte Kulturinstitution geschaffen, eine, die sich um Gehalte bemüht. Es gibt sehr wohl Diskussionsgruppen und Veranstaltungen, welche sich den Themen der Kultur widmen. Aber noch nie gab es meines Wissens eine Institution, welche sich permanent die öffentliche Auseinandersetzung mit kulturellen Inhalten zum Ziel gesetzt hat und dabei alle Kultursektoren anspricht: Bühne, Literatur, Musik, Kinderkultur, Kunst, Museen, Alternativkultur, Quartierkultur, etc…
Und genau das wird es ab Januar in Bern geben: Die «Berner Kulturkonferenz». Carola Ertle, Bernhard Giger und ich machen den Start, zusammen mit einer bereits breiten Trägerschaft. Die «Berner Kulturkonferenz» ist keine Konkurrenz zu den bestehenden Organisationen oder Kulturämtern, sondern eine Ergänzung zu ihnen. Das erste Ziel ist, ein inhaltliches Kulturkonzept für Bern zu erarbeiten. Und dabei ist das Motto: «Es geht um Inhalt. Es geht nicht um Geld» massgebend. Alle beteiligten Institutionen, aber auch neue DenkerInnen, sind dabei aufgefordert, ihren Input einzubringen. Wir suchen in erster Linie Informationen und Menschen mit kulturellem Fachwissen und Funktionen, die wir in einem späteren Schritt in Arbeitsgruppen vereinen können. Den Start macht im Januar unsere Webseite, wo man sich einträgt und die als Briefkasten für Inputs dienen soll. Am 6. März 2014 findet die erste grosse öffentliche «Berner Kulturkonferenz» statt, mit spannendem und fachkundigen Referenten, die das Thema «Kulturkonzept» vertiefen werden. Die «Berner Kulturkonferenz» ist als Organisation zu verstehen. Kulturschaffende, KünstlerInnen und VeranstalterInnen, das Publikum, Philosophen und DenkerInnen sollen mitarbeiten können. Was bisher hinter verschlossenen Türen gedacht und beschlossen wurde soll öffentlich und transparent werden. Wir wollen Fachleute, die sich in den Themen auskennen, einbinden – und nicht über sie hinweg entscheiden. Wir werden Kompromisse erarbeiten müssen – aber gemeinsam. Strategien werden erarbeitet und neue Kulturstrukturen aufgebaut. Und da wir dies als Organisation tun, miteinander, bilden wir eine starke Stimme, die politisch massgebend wird. Die Kulturszenen können nicht immer fordern, dass andere für sie Konzepte schreiben – wir müssen das selber anpacken. Die Berner Kultursekretärin Veronica Schaller hat dies in all ihren Amtsjahren immer wieder selber öffentlich gewünscht. Die «Berner Kulturkonferenz» wird diese Visionsstätte sein. Wir sammeln also jede Idee und jeden Input – wir hören zu. Bei uns wird niemand ausgeschlossen.
Es ist uns selbstverständlich klar, dass viel Arbeit auf uns zukommen wird. Umso wichtiger ist es, dass wir alles systematisch angehen. Zentrale Informationsplattform wird die Webseite kulturkonferenz.ch sein. Mehr Informationen werden jeweils dort veröffentlicht oder per Newsletter versandt. Selbstverständlich können wir jede Unterstützung, materiell, arbeitstechnisch, wie auch finanziell brauchen.
Ich freu mich sehr auf diesen Start.
Foto: zVg.
Publiziert: ensuite Ausgabe Nr. 133, Januar 2014