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EDITORIAL Nr. 138/139: Der digitale Hype ist vorbei – endlich

Von Lukas Vogel­sang – In diesem Win­ter fiel es der Welt wie Schup­pen von den Augen: Der Hype ist vor­bei! Die Dig­i­tal-Gurus gehen in die Knie und erk­lären öffentlich ihren Fehler: Das dig­i­tale Ver­sprechen war falsch. Und just ist damit ein neuer Hype geboren.

«Dig­i­tal» ist von mir aus gese­hen – und das sage ich als ein Com­put­erkid, das seit über 31 Jahren mit dem Com­put­er lebt – in der Tat das grösste Missver­ständ­nis des Plan­eten. Oder anders rum: Logisch ist der Com­put­er keine Lösung, er ent­stand ja aus men­schlichen Denkmustern…

Das Grund­prob­lem lässt sich ein­fach­er erk­lären: Der Men­sch hat die dig­i­tale Welt erschaf­fen, weil er/sie/es in der realen, physis­chen Welt nicht fähig war, einige Dinge zu tun. Das Kern­prob­lem find­et seinen Ursprung in der Indus­tri­al­isierung – allerd­ings finde ich, dass diese Zeit dur­chaus physis­che Fähigkeit­en hat­te, die Maschi­nen real waren und eine Art Ästhetik demon­stri­erten. Man kön­nte also noch von gesun­der men­schlich­er Intel­li­genz sprechen. Aber das Denken war bere­its vergiftet. Und dann wollte man schneller rech­nen …

Heute schreiben wir mit Textver­ar­beitung­spro­gram­men, die den Text sel­ber kor­rigieren. Wir bedi­enen Foto­bear­beitung­spro­gramme, weil wir nicht mehr im Entwick­lungsla­bor die hohe Kun­st des Prozessen­twick­elns ler­nen wollen. Selb­st Fehler in den Bil­dauf­nah­men kön­nen wir retuschieren, nachträglich die Schärfe verän­dern. Wir spie­len dig­i­tale Spiele, um in den virtuellen Wel­ten fliegen zu kön­nen, und sitzen dabei unbe­weglich in lul­li­gen Ses­seln mit Chips und Cola. Wir sind die Super­heros in der Welt der Bits und Bytes – in der realen Welt fehlt aber oft­mals das Knowhow, die ein­fach­sten Auf­gaben lösen zu kön­nen. Wir sind sog­ar soweit, dass wir die «Schnürlis­chrift» dem dig­i­tal­en Schrift­bild opfern, nur damit der Unter­schied zwis­chen Com­put­er und Men­sch, von der Real­ität und Vir­tu­al­ität eine nicht zu grosse Dif­ferenz aufweist. Faz­it: Die dig­i­tale Welt haben wir erschaf­fen, um unsere men­schlichen Män­gel zu kaschieren. Doch lei­der sind die geblieben. Zum Glück sind die geblieben!

«User» sind mehrheitlich bere­its hochdig­i­tal­isierte Men­schen, welche zwis­chen den Wel­ten in fliessenden Gren­zen leben. Medi­enun­ternehmen schla­gen sich schon lange mit dem The­ma herum: Wie kann man diese virtuellen User in Geld ver­wan­deln. Es wer­den Mil­lio­nen­in­vesti­tio­nen getätigt für User-Plat­tfor­men, für User-Web­seit­en mit User-Inhal­ten. Der User ist der Kunde. Lei­der ist vergessen gegan­gen, dass einst die «LeserIn­nen» die wichtig­sten Kun­den der Medi­enun­ternehmen waren, und es eben die «LeserIn­nen» waren, welche die Medi­en­be­triebe zu Medi­en­be­trieben macht­en. Nicht die User. User sind eine ganz eige­nar­tige und schwierige Spezies. User wählen immer den gün­stig­sten Weg und wech­seln die Gewohn­heit­en «nach­haltig» von ein­er Sekunde zur anderen. User wollen sich nicht auseinan­der­set­zen mit den Din­gen, sie wollen durch einen Klick bewirken und han­deln. User lesen nur kurze Texte – als Infor­ma­tion, um han­deln zu kön­nen. Unter diesen Bedin­gun­gen kön­nen die schw­er organ­isierten Medi­en­be­triebe schlecht mithal­ten – Start-Ups machen da die schlanke Fig­ur – aber oft eben nicht lange. Und User sind nicht inter­essiert daran, für Dinge zu bezahlen – der gün­stig­ste und ein­fach­ste Weg entschei­det. Faz­it: Man ver­liert heute Geld nicht «am», son­dern «über» User. Und so gese­hen haben die wenig­sten Ver­lage noch ein physis­ches Inter­esse am wirk­lichen User – nur wis­sen sie das nicht.

Doch warum ist der Hype um das Inter­net jet­zt gestor­ben? Warum weinen die Gurus? Weil die Erfind­ung ihre Gren­zen gefun­den hat. Seit Jahren drehen wir uns in dig­i­tal­en Kreisen, und es geschieht nichts mehr. Es gibt keine neuen Tech­nolo­gien, welche neue Illu­sio­nen ver­sprechen und mit denen man viel Geld ver­di­enen kann. Unsere «Sec­ond World» ist ent­tarnt wor­den: Sie ist wed­er eine Scheibe, noch eine Kugel, noch end­los. Im Gegen­teil: Dig­i­tal heisst kon­trol­liert, ges­teuert, manip­uliert, pro­gram­miert. Die dig­i­tale Welt ist nur noch das Abbild der inzwis­chen sehr beschränk­ten Denk­fähigkeit des Men­schen. Es ist gut, dass wir das erken­nen. Weinen wir gemein­sam mit den Gurus und fan­gen wir an, liebe LeserIn­nen, die Dinge wieder physisch anzu­pack­en.


Foto: zVg.

Pub­liziert: ensuite Aus­gabe Nr. 138/139 Bern, Juni/Juli 2014

Artikel online veröffentlicht: 1. Juni 2014 – aktualisiert am 26. März 2024