Von Lukas Vogelsang – Sie halten das neuste ensuite und artensuite – neu sind beide Magazine in einem Heft vereint – in den Händen. Wir haben alles umgedreht und neu überdacht, und das Resultat wird jetzt selbst für uns eine grosse Überraschung sein. Nach monatelanger Arbeit am Bildschirm und in unseren Köpfen ein physisches Ergebnis zu sehen wird spannend – uns geht es jetzt wie Ihnen, liebe LeserInnen.
In den zwölf Jahren unserer Existenz ist viel geschehen. Ich habe versucht, auf Seite 8 etwas davon festzuhalten, und ein paar damit zusammenhängende Gedankengänge zu teilen. ensuite ist nicht – wie fälschlicherweise die Berner Zeitung verbreitete – kleiner geworden. Im Gegenteil: ensuite vergrössert. Man müsste halt Pressemitteilungen richtig lesen können. Unserem Entschluss, ensuite «national» zu machen, sind viele Gedanken vorausgegangen. Zum Beispiel, dass man sich einer Stadt nicht aufdrängen muss – das habe ich inzwischen gelernt. Und wenn wir grad dabei sind: Welcher Stadt? Ist nicht alles ein wenig provinziell hier in der Schweiz? Und was heisst das schon?
Ich habe es immer wieder geschrieben: Kultur ist in der Wahrnehmung eine sehr individuelle und persönliche Sache, und funktioniert nur in der Gemeinschaft als Kultur. «Kultur» ist nicht einfach «wichtig» – denn «Kultur» haben und leben wir immer irgendwie. Den Zustand der Kulturlosigkeit gibt es nicht. Deswegen ist «Kultur» nicht ein Thema des Geldes, sondern des Inhaltes. Ein Kulturmagazin ist also hier, um einen Dialog mitzuführen – ich glaube sagen zu dürfen, dass wir mit ensuite bis heute einen guten Boden gelegt haben.
Am Kulturangebot teilzunehmen, als BesucherIn oder KünstlerIn, heisst, sich für die Gemeinschaft zu engagieren. Und dies ist in einer Zeit der «Selfies» ziemlich kompliziert geworden. Das bedeutet für uns Medien, wenn wir den «Presseauftrag» ernst nehmen und nicht einfach ein Werbemagazin sein wollen, dass die potentielle Leserschaft kleiner wird wenn wir nichts unternehmen, weil sie sich immer mehr für sich selber als für die Gemeinschaft interessiert. Ich habe von Magazinen gehört, welche pro Jahr rund 10 % der AbonnentInnen verlieren. Das macht mir Angst. Wenn wir eine Zukunft haben wollen als Kulturmagazin, gemeint ist auch dessen Funktion, müssen wir uns mitverändern.
Diesen Frühling war ich für ein paar Tage in Paris, und während der Rückfahrt erschien mir mein Wahl-Heimatdorf Bern sehr klein. In der gesamten Schweiz leben weniger Menschen, als in der Stadt Paris mit Agglomeration. Und dabei läuft alleine in Bern, im Verhältnis und kulturell gesehen, mehr als in Paris – aber haben wir deswegen verhältnismässig auch mehr LeserInnen? Und warum nicht? Oder anders rum: Warum gibt es kaum noch Kulturmagazine? Und warum ist ensuite mit seiner Auflage von 10 000 Exemplaren immer noch das grösste unabhängige Kulturmagazin in der Schweiz?
Jedes Dorf versucht in diesem Land, seine kulturellen Schwerpunkte in den Vordergrund zu stellen. Ginge es nicht darum, das Dorf in die Welt zu bringen, oder besser: All die Dörfer zu einer gemeinsamen kulturellen Identität, oder zumindest einer Zugehörigkeits-Wahrnehmung zu bringen? Oder überhaupt, miteinander zu kommunizieren? Das ist der Grund, warum wir auf der neuen Titelseite ein (kleines) Schweizerwappen tragen. Das soll uns an unsere Gemeinsamkeiten erinnern. Wir nennen uns neu «Zeitschrift» – weil dies die Dokumentation unseres Raums und unserer Zeit beschreibt. Ebenso sagen wir nicht: «für» oder «über» Kultur & Kunst, denn wir schreiben für unsere LeserInnen und begleiten sie mit Themen, über die sie sich selber eine Meinung bilden sollen. Nicht wir, die Redaktion, bestimmen, was Kultur oder Kunst ist – das wäre überheblich. Aber wir können zu erklären versuchen, was uns wichtig und spannend erscheint, oder wie man Dinge auch betrachten kann. Wir können unsere LeserInnen nur begleiten in «Kultur & Kunst».
Und zu guter Letzt wollten wir die Begriffe Kultur und Kunst getrennt nennen. Kultur haben wir alle – aber Kunst machen nicht alle. Kunst ist ein Handwerk und mehr, nicht einfach nur eine kreative Idee. Wenn etwas auf einer Bühne gezeigt wird, heisst das nicht, dass es Kunst oder künstlerisch wertvoll ist. Wir müssten besser unterscheiden lernen, welche Kulturbegriffe wir wie verwenden. Als Gesellschaft sollten wir unsere Sprache differenzierter verwenden lernen. Dies würde den Unterschied machen.
Diese Überlegungen, und natürlich noch viele mehr, haben zum Ergebnis geführt, welches Sie, liebe LeserInnen, jetzt in den Händen halten. Noch wissen auch wir nicht genau, wohin uns unser Weg führen wird, und es liegt viel Arbeit vor uns. Alles haben wir noch nicht im Griff. Wir sind überzeugt, dass dieses neue ensuite seine Einzigartigkeit nicht verlieren wird, und den Kulturdialog in der Schweiz mitgestalten kann. Und für jene, welche die Kulturagenda suchen: Wir sind dabei, online das Angebot auszubauen. Im Herbst werden wir auch da wieder den vollen Service bieten. Ich wünsche viel Spass beim Lesen und freue mich auf Feedbacks.
Bild – Titelseite Nr. 140: Simon Pegg im Interview mit Sonja Wenger: «Der Weg zum Glück hat nichts damit zu tun, dem Unglück auszuweichen» Foto: zVg.
Publiziert: ensuite Ausgabe Nr. 140, August 2014