Von Lukas Vogelsang – Der November ist diesmal als Wahlmonat definiert. Nur, wer wählt hier eigentlich? In Amerika scheinen die Wahlen mit den Wählern wenig zu tun zu haben. Wahlmanipulationen scheinen dort jedenfalls keine Millionenklagen auszulösen — noch nicht. Wenn dies mal eintreffen sollte, so könnte sich das Szenario vielleicht noch ändern. Nun denn, die Wähler haben wenig zu sagen und werden von den gekauften Medien hoffnungslos zugedröhnt. Die Allüren der Protagonisten gleichen einer Musicstar-Sendung — aber vielleicht sollten sie es tatsächlich mal mit Singen versuchen: Die Sympathien wären den Herren sicher. Nur bange, bange, wenn sich mal eine Frau dieser Etage singend nähern sollte: Ich glaube, das wäre das definitive Ende des amerikanischen Patriarchats. Wahlen finden auch in Bern statt. Hier noch nicht singend. Aber als ich so über die Zukunftspläne dieser Stadt grübelte, die Parteiparolen auswendig lernte und dabei farbenblind wurde, piekte mich eine kleine Zukunftsangst: Was soll hier nur aus mir werden? (Ziemlich pubertierende Frage für mein fortschreitendes Alter…) Welche Zukunft beschert mir der vergoldete Bahnhof wenn ich im Zug sitze oder das Monsterfussballeinkaufsstadion als Segler? Durch politisch provozierte Farbenblindheit werde ich nun auch mit dem Zentrum Paul Klee nicht ganz glücklich. Sicher, Bauarbeiter haben gute Chancen, die nächsten hundert Jahre Bern zu überleben. Die Stadt baut sich neu, das erkennt jeder, der mit dem Velo auf den Berner Strassen in eine der unzähligen Fallgruben gefahren ist. Und man fährt weit, denn die Wohnungen, welche noch bezahlbar sind, werden bald so weit weg sein, dass man sich schon jetzt an die nächste „Tour de Suisse“ anmelden kann. Beim Grübeln bin ich dann doch noch auf die Lösung gestossen: Ich werde Restaurantbesitzer. Ich glaube dies ist der einzige Beruf, bei welchem mit einem charmanten Lächeln jeder unliebsame Gast (in diesem Falle sind vor allem Musicstarteilnehmer aller Kategorien gemeint) vor die Türe gestellt werden kann. Das ist die wahre Macht der Wähler, frei nach Blocher. Und es macht besonders viel Spass, wenn’s wie im November regnet. Wetten dass es bald darauf eine Wurstbude unter dem bahnhöfischen Baldachin geben würde, mit einer Schar singender Herren darum? Ich wünsche auf jeden Fall einen wunderbaren, chaotischen und fragenden November. Kultur ist kontrovers.
Foto: zVg.
Publiziert: ensuite Ausgabe Nr. 23, November 2004