Von Lukas Vogelsang – Der Wunsch nach Veränderung rief mich im Frühling, nachdem ich beim Anhören eines U2-Albums über das Wort «Desire» stolperte. Unser bisheriges Erscheinungsbild von ensuite – kulturmagazin war für ein Printprodukt mit ungefähr 40 Seiten entwickelt worden, nie aber für 72 Seiten. So stiessen wir immer wieder an Grenzen und es stellte sich eine gewisse visuelle Langeweile ein. Ich habe mir die alten Platten aus den 70er-Jahren hervorgeholt und bin ein wenig in Nostalgie versunken. Das war in der Tat der Nährboden für das neue Layout.
Alles muss zeitgenössisch sein – obwohl diese Definition in sich selber hinkt. Im Zeitungs- und Magazinlayout hat «Modernes» überhand. Im empfinde das Meiste davon allerdings unterkühlt und sie stossen meiner Ansicht nach die Leserschaft vom Print mehr weg, als dass sie zum Lesen animieren und reinziehen. Bei dieser Betrachtung hat das Wort «Desire» eine neue Bedeutung erhalten. Ich habe ein paar Schritte zurück gemacht, um an der Kreuzung einen anderen Weg einzuschlagen. Man darf sich durchaus eingestehen, in eine Sackgasse geraten zu sein – aber man darf diesen Zustand auch korrigieren.
Ein Kulturmagazin ist ein seismographisches Messinstrument. Es pendelt in einem Umfeld zwischen verschiedenen Fronten und Welten und versucht im Ansatz eine Abbildung, ein kleines Manifest eines Momentes in der Zeitgeschichte, festzuhalten. Das klingt schwerfällig. Ein Kulturmagazin muss sich aber selbst stetig neu erfinden und definieren – wenn dies unterlassen wird, stirbt damit der Sinn und Zweck und die Berechtigung eines solchen Produktes — es wird gar surreal und wirklichkeitsfremd. Das ist mitunter ein Grund für das Aussterben dieser Mediengattung. Das «Desire» hat mich unter den Fingernägeln gejuckt und es war mir Zeichen genug für eine neue Bewegung. Doch wohin? Vorerst genügt die Frage als Antwort.
Über 500 Journalisten sind in den letzten Monaten in der Schweiz entlassen worden. Mehrere Zeitungen stehen gemäss eigenen Aussagen vor einem Abgrund, Produkte werden eingestellt. Bei der Tamedia macht man daraus keinen Hehl: Ein Verlagsprodukt muss als Profitcenterprodukt rentabel sein und Gewinn abwerfen. Die Leserschaft ist dabei nicht interessant. Unter dieser Definition spielen auch der Züritipp und der neue Tagi-Bund für die nächsten Jahre ein gefährliches Überlebensspiel. Gespart wird bei den Menschen und dem Inhalt – just den Teilen, welche eigentlich für den Sinn und Zweck einer Zeitung verantwortlich wären. Niemand liest Papier – aber alle lesen, was Menschen geschrieben haben. Es ist mir also unverständlich, dass die Jammer-Verlage nicht als ersten Sparschritt versuchen, dem Inhalt mehr Charakter zu geben und stattdessen diesen reduzieren. Ich zweifle an der Kompetenz gewisser Chefredaktoren und Verlagschefs – sie haben den wahren Grund und Zweck der Medien vergessen und nur noch das Business im Kopf.
Und dann kam ein fast 60-Jähriger nach Bern, füllte ein Hallenstadion und erklärte vor 40’000 Menschen, dass man ein Haus nicht nur «rocken» kann, sondern man mit allen Zuschauern leicht gleich ein neues bauen könnte. Wenn wir all die Sorgen und Schmerzen zusammennehmen würden, hätten wir genug Baumaterial dafür. Bruce Springsteen trifft damit einen noch gesunden und ungebrauchten Nerv der Zeit. Dieser heisst uns, miteinander bauen lernen. Eben grad das Gegenteil von dem, was wir momentan «zeitgenössisch» erleben. Nicht die Masse ist wichtig, sondern das einzelne Individuum in der Masse. Bruce Springsteen hat diese Hoffnung kraftvoll nach Bern gebracht – vielleicht werden wir etwas davon umsetzen lernen.
Ich wünsche einen wundersamen Kultursaison-Start und bin gespannt auf Feedbacks zum neuen Layout: leserbrief@ensuite.ch
Lukas Vogelsang
Chefredaktor
Foto: ©Lukas Vogelsang
Publiziert: ensuite Ausgabe Nr. 80, August 2009