Von Lukas Vogelsang – Generationen wechseln, Hand in Hand, von einer unbemerkt in die andere, taschendiebisch, ohne etwas zu sagen, ohne sich zu verabschieden – weg. Was «zu unserer Zeit» noch üblich war, ist nicht mehr, unverständliche Blicke dafür hin zu uns und umgekehrt. Neues ist da. Neue Gesichter mit neuen Ideen. Neue Ansichten.
Das Generationenspiel dreht unaufhörlich im Hamsterrad — und dies tückisch: Wenn man dem «Alten» nachtrauert, gilt man als konservativ rückständig, wenn man sich dem «Neuen» verschreibt als verzweifelt jungbemüht und traditionslos. Entweder repräsentiert man Bewegung oder aber Stillstand. Man gehört dazu oder nicht, und wenn man nicht dazugehört, gehört man zu den anderen, wo man sich nicht einordnen wollte. Man ist selber kulturelles Elitegut oder gehört zu den Möchtegern-LangweilerInnen. Kultur macht wirr – und das Generationenspiel hilft uns dabei nicht weiter.
Ich kann mich noch erinnern, selbst irgendwo als Kleinkünstler tätig, wie wir über Kunst und die Welt diskutierten und für die Proben eines Theaterstücks fast gestorben wären. In modrigen Proberäumen unter härtesten Bedingungen folgten wir einer untoleranten Kunst. Diese war noch Welt und nicht Selbstdarstellung – wir arbeiteten an unserer Existenz. Innigkeit, Intensität, Denken und Perfektion waren die Voraussetzungen. Die Kunst wurde neu erfunden, immer wieder. Heute suche ich dieses Fieber. Die Schweinegrippe ist es nicht. Die Visionen sind rar geworden, Ziele werden nicht mehr so konsequent weiterverfolgt und die Diskussionen um Kunst gehören nicht mehr in den Alltag. Dazwischen liegen vielleicht 13 Jahre. Die Zeit des Aufbruchs ist schon lange abgeklungen und was jetzt noch spielt, spielt um des Spielens willen, nicht aber für ein höheres Ziel. Es scheint, dass der menschliche Geist müde geworden ist. Wir lassen uns noch tragen im Entertainment, dem Satz «We love to entertain you!» vertrauen wir uns an. Stillstand.
Was mich bewegt ist die unverständliche Sprache der «Jugend». Das gehört wohl zu meinem Alterungsprozess – obwohl ich noch nicht Moos angesetzt habe. Tröstlich, dass ich selbst meine Worte, die ich vor Jahren zu Papier brachte, kaum wiedererkennen kann. Hauptsächlich verstehe ich da nur die Gedanken nicht mehr – wohl aber den Sinn. Was ich aber in der Redaktion von viel jüngeren Menschen zu lesen bekomme, ist oftmals weit weg von Geist, Körper, Seele — und Sinn… Nur leere, wortgefüllte Hüllen.
Vor einigen Wochen überlegte ich, wann ich das Wort «Revolution» zum letzten Mal gehört habe. Ein Mitschreiber brachte dieses Unwort mit meinem letzten Editorial in Verbindung. Revolution? Kein junger Mensch denkt noch an Revolution. Wenn etwas nicht passt, so wird blind zerstört, ohne politische oder gesellschaftskritische Auseinandersetzung – oder man gibt auf und passt sich an. Mit Bierflaschen parkierte Autos zu beschädigen oder einen Feuerlöscher von einer Brücke zu werfen ist weder Ausdruck von Revolution noch verbirgt sich dahinter ein intelligenter Gedankenansatz. Es ist einzig das Ergebnis von dem, was wir «Vorbilder» erzieherisch erreicht haben: Die ältere Generation lebt ihre Träume und hat die nächste Generation in der Realität zurückgelassen. Ich bin froh, dass wir «Erwachsenen», wie in dieser Krise, zwischendurch scheitern.
Foto: zVg.
Publiziert: ensuite Ausgabe Nr. 82, Oktober 2009