Von Lukas Vogelsang – In der Kulturförderung redet man hauptsächlich vom Geld, welches «in die Kultur» gesteckt wird. Wir reden über Subventionen und darüber, welche «rentabel» sind und wo das investierte Steuergeld zu wenig fliesst. Wir reden darüber, wo wir noch mehr Geld brauchen. In der Wirtschaftswelt würde dies unter dem Thema «Wirtschaftsförderung» diskutiert. Und Kultur möchte ja, wie die Wirtschaft auch, Steuererleichterungen, Sozialversicherungen und Ferientage berechnen. So begründen heute Kulturschaffende selber die Wichtigkeit der Kultur: Sie schaffe Arbeitplätze. Ein Unterschied, mal abgesehen von der inhaltlichen Diskussion, besteht also nicht wirklich zwischen den beiden Gebieten.
Aber lassen wir das mal so stehen und bleiben wir noch beim Geld. Kulturförderung dreht und windet sich ja nur um Geld. Es gibt keine moralische oder inhaltliche Kulturförderung. Und sie nennt sich selber ja Kulturförderung und nicht Kunstförderung. Ich habe aber noch nie von einer Instanz gehört, die kulturellen Inhalt begleitet oder ausarbeiten hilft. Es gibt unterdessen Kulturmanager-Ausbildungen – aber deren AbsolventInnen sind eher für die Kommunikation, Planung, Produktion und für das Geld zuständig. In der Kunst haben wir wenigstens Hochschulen und Universitäten, die eine Basis schaffen helfen – aber ausserhalb dieser Institutionen ist dann auch mal Schluss. Zudem: Ein «kulturelles» Coaching ist nicht das Gleiche wie eine künstlerische Begleitung – auch die Kulturbüros, wie sie die MIGROS betreibt, helfen da nicht weiter.
Wir definieren nicht jedes Musik-CD-Projekt als ein Kunstobjekt. Viele Arbeiten sind mehr im sozialen Zusammenleben zu definieren, also in der kulturellen Funktion. Ein Theaterfestival vermittelt sicher einen künstlerischen Wert und wird eine entsprechende Leitung vorweisen, aber wer überwacht die kulturelle Funktion?
Die meisten Veranstalter fallen übrigens in die Kategorie Kultur und nicht in die Kunst. Doch auch hier reden wir selten über Funktion. Und die einzigen Institutionen, welche Kultur in der Funktion bewerten, sind also die öffentlichen oder privaten Kulturförderungsinstitutionen. Das sind aber oft reine Verwaltungsstellen, welche Budgets «verteidigen» müssen. Sie diskutieren nicht über kulturellen Inhalt und schieben diese Diskussion gar in die Politik.
Für Kunstfragen werden dann im besten Fall Kommissionen eingesetzt und wir machen ein Kreuz an die Decke, wenn diese Kommissionen mit den «KulturförderInnen» die gleichen Gespräche auch noch einmal führen. Der Nachteil dieser Prozeduren liegt auch auf der Hand: Nur wer ein Projekt eingegeben und sich gut sichtbar gemacht hat, erhält eine Chance. Wer dazu nicht fähig ist, aber kulturell oder künstlerisch was Grosses bieten könnte, bleibt unsichtbar. Eben: Kultur und Kunst sind keine messbaren Werte – umso schwieriger die Wertung, Abgrenzung und eine faire Behandlung von Gesuchen – und «Nicht-Gesuchen».
Schlussendlich können wir anhand der meist einigermassen öffentlich zugänglichen Förderlisten nachvollziehen, welche Kultur in welcher Region als solche anerkannt wird. Die Pop-Gruppe «So und So» hat also 2 000 Franken für die erste CD-Produktion, das Theater-ensemble «XYZ» 10 000 für das Theaterstück, dieser schreckliche Film hat doppelt so viel wie der gute DOK-Film hier erhalten. Diese Listen sind dann eine Art Spiegel des kulturellen und künstlerischen Verständnisses – und jenes der zustimmenden PolitikerInnen –, repräsentativ für eine ganze Gesellschaft. Dafür wäre eigentlich auch ein Kulturkonzept brauchbar – allerdings sind diese Papiere oftmals sehr frei interpretierbar und zeigen nur Stossrichtungen auf – oder ein Budget.
Mich würde jetzt interessieren, was in diesen Förderungsprozessen durch die Maschen fällt, wer oder was es in dieser pragmatischen Budgetwelt nicht schafft, sich einzunisten. Aus der bildenden Kunstszene wissen wir, dass die grossen Namen oftmals erst nach einem armseligen und erbärmlichen Leben zu Ruhm und Ehre gekommen sind – sprich, die Nachwelt sich am Leid eines Künstlers bereichert hat. Was verliert also eine Stadt, eine Region oder gar die Welt durch Absagen von Gesuchen? Was geschieht mit den Ideen, Projekten, wenn sie abgelehnt werden? Interessant wäre dann auch zu wissen, mit welchen Begründungen diese Absagen erfolgt sind und wer, oder welche Instanz, entschieden hat.
Senden Sie mir also Ihre abgelehnten Gesuche zu, liebe LeserInnen. Wir würden uns freuen, mehr darüber zu erfahren. Ich vermute, dass, wie in der Musik, in der Stille ganz viel Musik schlummert.
Foto: zVg.
Publiziert: ensuite Ausgabe Nr. 90/91, Juni/Juli 2010