Von Lukas Vogelsang – Die neuen Kulturverträge werden zur Zeit ausgehandelt. Kunstmuseum, Bernisches Historisches Museum, Zentrum Paul Klee und, vor allem, das neue «Musik-Theater Bern» sollen durch 81 Agglomerationsgemeinden, Stadt und Kanton Bern mit rund 55,8 Millionen Franken subventioniert werden. Vor kurzer Zeit wurde durch die Presse verbreitet, dass die Freilichttheater die Stadttheater besuchermässig überrunden. In diesem September versucht die SVP die Berner Reitschule zum fünften Mal zu verkaufen, und greift damit das lokale Gewerbe frontal an: Das Kulturhaus soll einem Kommerztempel weichen, was unweigerlich fatale Folgen für das Innenstadt-Gewerbe hätte. Verkehrte Welt.
Das Wort «Relevanz» turnt seit Monaten in meinem Kopf. Alle diese verschiedenen Sichtweisen, all diese verschiedenen Meinungen basieren immer wieder auf relevanten Konzepten, Daten, Ideologien und Geschichten, die nicht für alle ersichtlich und begreifbar sind. Doch was ist denn wirklich relevant? Und für wen?
In den oben genannten Beispielen wäre die Schlussfolgerung naheliegend, dass die städtischen Theater sich mehr dem Programm der Freilichtbühnen anpassen sollten, damit die Kassen stimmen. Das Aufbegehren vieler Kulturschaffender, dass diese grossen Kulturinstitutionen zu viel Geld verprassen, ist auch verständlich, wenn man nach effektiven Spuren in der Geschichte zu suchen beginnt. Viele kleine Institutionen und die vielen Menschen aus der «Freien Szene» haben mehr für die kulturelle Artenvielfalt und die Aufmerksamkeit darauf getan. Oder täuscht das? Gibt es Studien, die das Gegenteil belegen?
Dies ist kein Appell an die Politik, Geld einzusparen. Vor allem die SVP muss ich auch enttäuschen: Durch das Einsparen in kulturellen Belangen verlieren wir unsere Geschichte – das habe ich im August-Editorial bereits erläutert. Und mit dem Verlust unserer Geschichte, verlieren wir auch unsere Tradition und das nationale Kulturgut. Die grossen, teuren Kulturhäuser stehen aber genau für diese Geschichte und für Tradition – somit müsste die SVP alles dran setzen, dass diese erhalten bleiben. Mehr noch: Die Reitschule ist eines der markantesten kulturellen Zeitzeugnisse der Berner Geschichte der letzten 30 Jahre. An ihr lassen sich mehr Zeitgeistbewegungen ablesen, als im Parteibuch der SVP. Sie hat vielen Menschen mehr «Heimatgefühl» und persönliche Identität vermittelt, als es je ein Bild von Anker im Kunstmuseum vermitteln kann. Dass dies politisch nicht immer eine allgemeingültige Meinung darstellt, ist korrekt und hat den Dialog und diese Identitätsfindung erst möglich gemacht. Und das ist doch relevant!
Kommerzielle Erfolge oder Absichten sind – so haben wir dies deutlich in den letzten 2 Jahren miterleben dürfen – nicht relevant. Geld ist ein unstabiler Wert. Er fällt und steigt unberechenbar – und wird ironischerweise gerade durch moralische Werte, wie Vertrauen, Kultur und Tradition gestützt. Das sind relevante Werte. Wie können wir diese also sichtbar machen? Es wird relevant, dass wir Kultur und Kunst für die Politik, aber auch für uns persönlich, frisch definieren. Erst dann werden wir uns als Gesellschaft wieder ernst nehmen. Deswegen: Die Reitschule bleibt – das Kunstmuseum, das Bernische Historische Museum, das Zentrum Paul Klee, und vor allem das neue «Musik-Theater Bern» auch.
Foto: zVg.
Publiziert: ensuite Ausgabe Nr. 93, September 2010