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EDITORIAL Nr. 98: Unsinnige Verhältnisse

Von Lukas Vogel­sang – Stolz hat die Stadt Bern, Abteilung Kul­turelles, Anfang Jahr veröf­fentlicht, dass sie wieder 50’000 Franken für den Bere­ich «Musik der Jun­gen» (so definiert die Stadt Bern noch immer alle Musik­stile zwis­chen Rock, Pop, Hip Hop, Tech­no, Folk usw.) zur Ver­fü­gung stellt. Dieses Geld wird für Daten­träger-Pro­duk­tio­nen reserviert – und erst noch in zwei «Hal­b­jahre­stranchen» aufgeteilt. Dass die Gesuche zusät­zlich in fünf Exem­plaren ein­gere­icht wer­den müssen zeigt, wie mod­ern diese Struk­turen sind.

Ein Blick auf die gesproch­enen Beiträge aus dem Jahre 2010 zeigt, dass sich diese Beiträge zwis­chen 1’000 und 3’000 Franken bewe­gen. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich bei Gesuch­stel­lerIn­nen um DJs mit Plat­ten­spiel­er oder eine 15-köp­fige Band han­delt, und Stu­diomi­ete und wöchige Auf­nahme­ses­sions sind eben­falls egal. Wer mit diesen Beiträ­gen eine einiger­massen pro­fes­sionelle Pro­duk­tion machen will, würde den Druck und die Grafik vom Book­let bezahlen kön­nen – nicht aber die Musik. Hier wer­den keine Löhne gerech­net, keine Prober­aum­mi­eten, keine Stu­diomi­eten, keine Arrangeure, geschweige denn ein anständi­ger Ton-inge­nieur, der die Tech­nik einiger­massen so hinkriegt, dass eine CD-Pro­duk­tion die Chance erhält, von einem nationalen Radiosender gespielt zu wer­den. Das ist ein trau­riger Fakt und zeugt nicht von viel Förder­willen. Zum Schluss: Es erhal­ten so etwa 20 Gesuch­steller zu wenig, um etwas Anständi­ges zu machen.

Anders sieht es bei The­ater- und Tanzschaf­fend­en aus. Diese erhal­ten doch meis­tens etwas mehr Geld. Obwohl nicht ersichtlich ist, warum The­ater­schaf­fende wesentlich mehr Geld aus dem Förderungskäs­seli erhal­ten, als Tanzschaf­fende. Das Spek­trum bewegt sich hier von 1’000 Franken (Gast­spiele) bis zu 40’000 Franken (haupt­säch­lich The­ater­pro­duk­tio­nen). Eine Tanzkom­panie wird zum Beispiel mit 15’000 Franken für zwei Jahre unter­stützt, ein Per­for­mance-Fes­ti­val erhält gle­ich viel für ein sech­stägiges Fes­ti­val. Eine The­aterkom­panie – egal wie viele Leute mit­spie­len – erhält im Schnitt ca. 20’000 Franken für eine einzige Pro­duk­tion. Zuzüglich Geldern vom Kan­ton Bern, der in etwa gle­ich viel beis­teuert, wird ein The­ater sich­er real­isier­bar­er, da die Tech­nik, Req­ui­siten und Proberäume nicht so teuer sind. Musik­erIn­nen sind also fast um das 10-fache weniger unter­stützt und gefördert, als Schaus­pielerIn­nen. Eine unver­schämte Wer­tung.

Im direk­ten Ver­gle­ich des Bere­ich­es Tanz mit Zürich muss sich Bern ver­steck­en: Dort erhält eine Tanzkom­panie für eine Pro­duk­tion gute 20 – 25’000 Franken, oft mehr, und min­destens drei Kom­panien erhal­ten Drei­jahresverträge zu 150’000 Franken. Das sind paradiesis­che Zustände. Übertrof­fen wer­den diese nur noch vom Kan­ton Bern: Anna Huber erhielt 360’000 Franken für das Pro­duk­tion­s­jahr 2010 aus­bezahlt.

Eine inter­es­sante Rech­nung ergab sich, als ich den Namen und Pro­duk­tio­nen auf den Lis­ten von Stadt und Kan­ton Bern gefol­gt bin, und bei ein­er kleinen Kinder-The­ater-Pro­duk­tion auf einen Förder­beitrag von min­destens 210’000 Franken gestossen bin. Meine Güte, was ist hier geschehen? Es hat sich her­aus­gestellt, dass die betr­e­f­fende «Fördergeld-Beschaf­ferin» eine pro­fes­sionelle Mar­ket­ing- und Fun­dris­ing-Frau ist. Alle Ihre Pro­jek­te wer­den mit den max­i­mal möglichen Geldern gefördert. Das ist ins­beson­dere unfair, da nicht jede Gruppe, jede® Musik­erIn, jede Tanzkom­panie über diese Fachkom­pe­tenz ver­fü­gen kann. Wer also ein «pro­fes­sionelles» Bud­get vor­weist, erhält mehr Geld. Dazu kommt, dass bei Bud­gets immer ver­sucht wird, ca. 15 Prozent mehr anzugeben, als wirk­lich benötigt wird, damit der schlussendlich gesproch­ene Beitrag einiger­massen erträglich ist, und man die Fun­dris­erIn­nen auch noch bezahlen kann. Das ist ein unsin­niges Sys­tem und deklassiert jeglich­es Kul­turschaf­fen – vor allem aber deklassiert es die Fachkom­pe­tenz der jew­eili­gen Jury.

Natür­lich wer­den jet­zt viele sagen, man könne Kul­turelles nicht miteinan­der ver­gle­ichen. Stimmt: Es gibt in der Tat keine vernün­fti­gen oder logis­chen Anhalt­spunk­te, nach welchen Kri­te­rien Fördergelder verteilt wer­den, und der Ver­gle­ich wird unmöglich. Das bet­rifft die sub­ven­tion­ierten Häuser wie die freie Szene. Das Faz­it: Die heutige Kul­tur­förderung­sprax­is ist unfair, ungerecht, unl­o­gisch, poli­tisch motiviert, und wird sich­er nicht inhaltlich und fachkundig geführt. So wird in jed­er Stadt eine andere Prax­is ange­wandt, macht jede Kul­tur­sub­ven­tions-insti­tu­tion, was ihr beliebt. Die Intrans­parenz, wie und warum Gelder verteilt wer­den, macht den Erk­lärungsnot­stand noch gröss­er. Die SteuerzahlerIn­nen wer­den nicht informiert, die Poli­tik wird instru­men­tal­isiert. Es erstaunt, dass es im Jahr 2011 keine Gew­erkschaft oder Vere­ini­gung gibt, die auf solche Missstände hin­weist.

 


Foto: zVg.

Pub­liziert: ensuite Aus­gabe Nr. 98, Feb­ru­ar 2011