Von Lukas Vogelsang – Bern nähert sich der imposanten Kulturabstimmung: Im Mai wird die Berner Bevölkerung über die fünf grossen Kulturinstitutionen entscheiden. Allerdings, wenn ich mir das recht überlege und sehe, wie unkritisch, unmotiviert und vor allem wie unüberlegt das Stimmvolk zur Zeit die Wahlzettel verurnt, so wird gar nichts geschehen. Es wird sich kaum jemand ernsthaft Gedanken machen, es werden keine neue Konzepte entworfen, keine Diskussionen entfacht und überhaupt: Kulturdiskussionen erfüllen nicht mehr die erforderlichen Unterhaltungsfaktoren und sind abgesagt. Ob ein JA oder ein NEIN auf dem Wahlzettel steht, interessiert niemanden wirklich. Man nimmt es bestenfalls noch zur Kenntnis.
Dass wir fähig sind, gedankenlos JA oder NEIN zu stimmen, haben wir in den letzten Abstimmungen genug bewiesen. Können wir vielleicht mal die Schallplatte drehen? Das Lied geht auf die Nerven: Erst kommt die Strophe über die armen Menschlein, die so übel politisch unterdrückt werden, danach kommt der Refrain, der ICH, ICH, ICH und Profit, Profit, Profit posaunt. Wir schauen nach Ägypten und Klatschen in die Hände – und selber haben wir nicht den Mut, den Finger hochzuhalten und eine simple Frage zu stellen. Kopfnickerkultur für eine Kopfnickernation.
Es gibt ein «WIR», es gibt ein «UNS» und es gibt ein «Miteinander». Wenn wir zusammen denken, kommt ziemlich viel mehr raus, als nur kümmerliche Brösmeli oder politisches Gebrabbel. Wir müssen Kultur nicht zum politischen Mühlespiel verkommen lassen, sondern wir könnten selber aktiv werden: Kulturklubs gründen, Denkgruppen bilden, Künstlerkaffeehäuser eröffnen. Aber bitte: Überlassen wir unsere Kultur nicht den Behörden! Die ticken einfach anders.
Wir brauchen mehr individuelle Meinungen, unbedingt. Schliesslich haben wir alle nur erdenklichen Kommunikationsgeräte und Plattformen, um diese Meinungen auszutauschen kreiert. Das Einzige was uns allerdings auf diesen Plattformen in den Sinn kommt ist, die Hosen runterzulassen und zu schreien: «Ich bin ja soooo toll!» – oder dann polarisieren wir wieder mit links-rechts Sprüchen. Ist dies das Ergebnis von ein paar tausend Jahren Kultur? Ist das diese Bildung, die wir der Kultur zuordnen? Wo ist denn das höhere Kulturbewusstsein einer Gesellschaft? Vor allem: Warum müssen wir als Gemeinschaft überlegen, ob wir die Stadttheater-Orchester-Gesellschaft wollen, ob wir Museen wollen oder ein Kulturzentrum.
Dabei ist es erst noch falsch: Es geht nicht darum, OB wir diese Institutionen wollen – es ginge darum, WIE wir diese in der Gesellschaft zu führen gedenken. Und genau dies geschieht eben im Mai nicht. Es ist ein komplett bürokratischer und politischer Leerlauf um nichts. Aufgesetzt, blind und blöd.
Ein Beispiel: Früher wurden in den Städten Feste gefeiert, damit die Bauern, Volksmassen von nah und fern in die Zentren fuhren, dort ihr hart erarbeitetes Geld verprassten und noch ein gutes Gefühl dabei hatten. Das war ein sozialer Akt, gemeinschafts- und wirtschaftsfördernd. Ein Kreislauf, der in sich Sinn machte. Die Städte verdienten damit gutes Geld und das Volk war glücklich. Intelligent. Heute bezahlen die Agglomerationsgemeinden ebenfalls für die öffentlichen Verkehrsmittel, sie bezahlen die Parkplätze, sie bezahlen im Restaurant und im Glücksfall noch auf der Shopping-Tour. Aber sie bezahlen auch, um ein Theater zu besuchen. Die Gemeinden oder deren Steuerzahlende bezahlen das Theater gleich selbst durch die Regionalkonferenz-Beiträge. Es wirkt abgemagert traurig, wenn Hans Lauri, ehemals Finanzdirektor und SVP-Mitglied, Präsident der neuen Stiftung Konzert Theater Bern, in einem Werbetext meint, man «handle im Auftrag der Steuerpflichtigen». Kultur ist zur Ware geworden, zum Budgetposten, zum mühsamen, teuren und unwirtschaftlichen Betrieb. Das Kulturprogramm hat mit einer Stadt nichts mehr zu tun. Nie reden wir über Inhalte, doch genau damit repräsentieren wir unser kulturelles Sein. Kein Wunder, dass die Schweiz im internationalen Vergleich gerade auch in der Kultur schlecht abgeschnitten hat. Es ist wahr: Wir haben keinen Bezug zu unserem Selbst. Wir leben keine Kultur. Wir kassieren sie nur.
Fehlerteufelchen:
In der Februarausgabe hat sich im Editorial ein Fehler eingeschlichen. Die Förderbeiträge vom Kanton Bern an die annahuber.compagnie sind nicht wie angegeben 360’000 Franken pro Jahr. Die genauen Zahlen sind dieser Ausgabe auf der Seite 9 unter Menschen & Medien aufgeführt.
Foto: zVg.
Publiziert: ensuite Ausgabe Nr. 99, März 2011