Von Sandro Wiedmer — Während seiner bereits über dreissigjährigen Karriere hat der englische Multi-Instrumentalist, Komponist und Ausnahme-Gitarrist Fred Frith schon so manche Grenze überschritten und dabei Neuland erschlossen. Als Mitbegründer der Formation Henry Cow war er einer der Initianten der Bewegung «Rock in Opposition», der Reaktion auf die frustrierenden Erfahrungen mit der Musikindustrie, indem anfänglich vor allem in Europa ein Netzwerk sozial engagierter MusikerInnen aufgebaut wurde, welche sich zum Ziel setzen, einander gegenseitig mit Auftrittsmöglichkeiten und Tonträger-Publikationen behilflich zu sein.
Die Zustände haben sich alles andere als verbessert, und die Bewegung ist mittlerweile weit über Europa hinaus aktiv. Dass Frith einer von ihren Exponenten ist, lässt sich seit jeher auch an seinen eigenen Projekten, an der langen Liste der Leute ablesen, mit welchen er zusammengearbeitet hat, wobei er stets seine unverwechselbare musikalische Stimme in den verschiedensten Gefilden eingebracht hat. 1990 haben ihm Nicolas Humbert und Werner Penzel mit «Step Across The Border» ein filmisches Denkmal gesetzt, ein immer wieder begeisterndes Gedicht aus Bild und Ton, ein Schnappschuss aus seinem Leben, welcher ihn in – und Europa, Nord-Amerika und Japan auf und neben der Bühne zeigt.
Neben festen Formationen, nach Henry Cow mit Art Bears, Skeleton Crew, Massacre, Keep The Dog, dem Fred Frith Guitar Quartet, Death Ambient, Auftritten als Gastmusiker, zum Beispiel mit The Residents, John Zorn’s Naked City, Rova Saxophone Quartet, unzähligen improvisierten und komponierten Zusammenarbeiten, Scores für Filme, Theater und Tanz-Performances, hat er unter eigenem Namen eine Reihe prägender Alben veröffentlicht, wobei er mit einem eindrücklichen Cast eine Art «Urban Folk» geschaffen hat, Musik, die aus Elementen von progressivem Rock, Jazz, Klassik, Avant Garde und Folklore eine unverkennbare Klangwelt kreiert, welche gleichzeitig leichtfüssig freudvoll und tiefgründig nachdenklich ländliche Natur und grossstädtische Strassenschluchten evoziert, Bodenständigkeit und Traum, ausgelassene Freude und verhaltene Melancholie. Herausragend «Gravity» (1980), auf welchem unter anderem Leute der schwedischen Bands Zammlas Mammas Manna und Looping Home Orchestra von Lars Hollmer zu hören sind, «Speechles» (1981), welches mit den französischen Etron Fou Leloublan, dem New Yorker Umfeld von Material, Golden Palominos und Massacre eingespielt wurde, und «Cheap At Half The Price» (1983), auf welchem Songs mit Texten die Hauptrolle spielen, drei zu Klassikern gewordene Meilensteine, mit welchen er sich als Engländer auch in der sich zu jener Zeit festigenden Downtown Szene New Yorks festschrieb.
An diese Alben knüpft er mit seinem neuen Projekt Cosa Brava an, 2008 ins Leben gerufen, bisher live und mit «Ragged Atlas» (2010) und dem soben erschienenen «Letter» in Erscheinung getreten, beide vom Label Intakt in Zürich herausgebracht. «Cosa Brava is about Storytelling», meint Frith in den Liner Notes, manche mit, manche ohne Worte, Geschichten wie im Vorbeigehen erblickte Szenerien, Fragmente von Filmen, Rufe aus der Ferne. Es geht um Reisen, unterwegs sein, den ständigen Wechsel. Zu erzählen hat er sich Zusammengetan mit «fellow Nomads and experienced Collaborators», einigen der besten Geschichten-ErzählerInnen die es gibt, nämlich mit Zeena Parkins, mit welcher er schon verschiedentlich gearbeitet hat, unter anderem als sie das Duo Skeleton Crew zum Trio erweiterte, und mit Carla Kihlstedt, Shahzad Ismaily und Matthias Bossi, welche ihrerseits mit ihrem Trio Causing A Tiger das Leben auf Tour thematisieren, das sie zum Beispiel in der Formation Sleepytime Gorilla Museum zur genüge erlebt hatten. Fred Frith ist an der Gitarre zu hören, sein zweites Instrument, die Geige überlässt er Carla Kihlstedt, welche diese neben den erwähnten und vielen weiteren in das Projekt Tin Hat einbringt, zu welchem, nachdem Rob Burger, als Gründungsmitglied Akkordeonist und Pianist des ursprünglichen Trios, 2004 ausstieg, auch Zeena Parkins an eben jenen Instrumenten gestossen ist. Shahzad Ismaily, wahlweise als Gitarrist, Bassist, Schlagzeuger und Perkussionist unterwegs, unter anderen mit den Secret Chiefs 3 und Marc Ribot’s Ceramic Dog, steuert hier den Bass bei, und Matthias Bossi bearbeitet die Felle. Wenn es das Lied erfordert bringen alle ihre Stimme ein. Dabei spielen die Worte nie eine tragende Rolle, sie sind einfach ein weiteres Insrument in der Ausdrucks-Palette, wie der Mann an den Reglern, der sich The Norman Conquest nennt, und den Sound auch schon mal manipulierend ins Geschehen eingreift. «Du willst es nur, weil du es nicht erreichen kannst, und kriegst du es trotzdem, willst du es nicht mehr», heisst es einmal. Nun, wenn Du es gehört hast, das Konzert, willst du sie, die CD, und wenn du sie gekriegt hast, willst du sie nicht mehr hergeben!
Cosa Brava, «The Letter» (Intakt)
www.intaktrec.ch
Foto: zVg.
ensuite, Mai 2012